"Klare Warnung an jeden potentiellen Aggressor"

Landschaft der Bardenas. Bild: R. Streck

Mit Blick auf Russland und die Konflikte ums Mittelmeer führt die Nato das umfassendste Manöver seit dem Ende des "Kalten Krieges" durch

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Die DefenseNews machen sofort klar, worum es bei dem Nato-Großmanöver "Trident Juncture" geht. Es sind Muskelspiele angesichts der "russischen Präsenz an den östlichen und südlichen Grenzen und die Bedrohung durch einen zerfallenden Staat im nahegelegenen Libyen". Das Manöver ist wegen der Ukraine-Krise ausgeweitet worden und das Land nimmt auch teil, obwohl es kein Nato-Mitglied ist.

Militärstützpunkt Bardenas. Bild: R. Streck

Die heiße Phase wurde nun gestartet, verkündet die Bundeswehr. Vor allem in Spanien, Italien und Portugal werden über 36.000 Soldaten aus 30 Ländern mit 140 Kampfflugzeugen, sechzig Kriegsschiffen und viel Gerät einen Krieg vorbereiten. Die große Mehrzahl kommt der Soldaten kommen mit 20.000 in Spanien zum Einsatz, wogegen sich Widerstand regt.

"Wenn hier in den Bardenas geschossen und bombardiert wird, dann ist meist ein Krieg im Anzug", erklärt Yolanda Rubio gegenüber Telepolis, warum sie am Sonntag in der spanischen Kleinstadt Tudela demonstriert hat. Denn wie einst vor den Kriegen in Afghanistan oder im Irak wird nun wieder in der Halbwüste geschossen und bombardiert. Mehrere tausend Menschen zogen deshalb durch die Stadt, die nur wenige Kilometer entfernt am Rand der Bardenas liegt.

Es handelt sich um ein merkwürdiges Biosphärenreservat. Die Unesco erklärte die Halbwüste, in deren Zentrum das Bombodrom liegt, im Jahr 2000 zum besonders schützenswerten Gebiets. Doch das hat am Bestand der Militärbasis nichts geändert, die nun die neue Regionalregierung von Navarra abschaffen will. Mit dem Parlament hat sich auch die Präsidentin Uxue Barkos gegen das Nato-Manöver und gegen das Bombodrom ausgesprochen.

Viele Menschen in der Region im Süden Navarras haben die Nase voll von den Militärs. Deshalb nahmen an der Demonstration gegen Trident Juncture, gegen das Bombodrom und gegen die Kriegsvorbereitungen nun besonders viele Menschen teil. Gefährlich ist das für die Bewohner und für Touristen ohnehin, die das Naturschutzgebiet außerhalb des abgesperrten Militärgeländes besuchen. Erst im Juni wurde ein katalanischer Besucher verletzt. Ein Geschoß, abgefeuert aus einem Maschinengewehr eines Hubschraubers, durchschlug weit entfernt vom Übungsgelände das Blech seines Autos und verletzte ihn am Arm. Es soll sich um einen 64-jährigen Polizisten der katalanischen "Mossos d'Esquadra" gehandelt haben. Es war der zweite Vorfall in nur sechs Monaten.

Protest in Tudela. Bild: R. Streck

Auch im aragonischen Ejea de los Caballeros wären viele froh, wenn die Militärs aus der Nachbarschaft verschwinden würden. Während des Manövers, wenn spanisches, belgisches, türkisches und tschechisches Militär in den Bardenas schießen und bomben und Bomber oder Jäger über die kleine Stadt hinwegfegen, die etwa 25 Kilometer vom Bombodrom entfernt liegt, ziehen viele Bewohner die Köpfe ein. Die Scheiben bersten, wenn Tiefflieger die Schallmauer durchbrechen. Die Mindestflughöhe halten sie nicht ein, beklagen die Bewohner. Einmal rammte gar ein Kampfjet im extremen Tiefflug einen Mast mit Mobilfunkantennen und stürzte kurz hinter der Stadt ab. Immer wieder kollidieren die Flugzeuge nahe der Stadt in der Luft. Bei Unfällen wurden bisher mehr als 30 Piloten getötet. Abstürzende Flieger seien sogar noch gefährlicher, als von einem Geschoss oder einer Bombe im Biosphärenreservat tödlich getroffen zu werden, wie einst ein Schäfer.

So kamen einige Gründe zusammen, um gegen das Manöver zu protestieren. Ein junger Aktivist, der seinen Namen nicht nennen will, kritisiert, dass auch türkische Piloten auf Busse, Flugzeuge und Feuerwehrfahrzeuge schießen, die als Ziele im Bombodrom aufgestellt sind. Er meint, dass sie genau das auch in Kurdistan tun. "Sie können nun hier üben, wie sie die bekämpfen, die sich effektiv gegen den Terror des islamischen Staats stellen." Er und einige Demonstranten wollten es deshalb nicht beim Protest in Tudela belassen. Sie sind trotz der Zugangsbeschränkungen in diesen Tagen vor das Militärgelände, um auch dort am Nachmittag zu protestieren.

"Kein Bombodrom - Keine Manöver". Demobeginn. Bild: R. Streck

Überall in Europa sind Proteste geplant oder wurden schon durchgeführt, wo Trident Juncture durchgeführt wird. Entsprechende Aufrufe zum friedlichen Protest und zu zivilem Ungehorsam gibt es in allen Ländern, in denen die verschiedenen Übungen durchgeführt werden. So läuft auch nicht immer alles reibungslos im Manöver. Antimilitaristen verhinderten im Hafen von Sagunto, dass die Leopard-Panzer von Valencia nach Saragossa gebracht werden konnten.

Sie konnten nur mit Verspätung zum Truppenübungsplatz San Gregorio nahe Saragossa verfrachtet werden, wo auch die Bundeswehr an einem der Führungsstäbe mitwirkt. Hier befindet sich eines der Manöver-Hauptquartiere. Vom nahegelegenen Luftwaffenstützpunkt und aus Albacete starten die Maschinen zum Einsatz in Richtung Bardenas.

Gegen "Bedrohungen aus dem Süden und Osten"

Diese spanischen Basen gehören mit Beja (Portugal) und Trapani (Italien) zu den wesentlichen Stützpunkte für Kampfjets, wie F-16, F-18, Eurofighter, Tornado oder Mirage 2000. Geübt wird auch die Betankung in der Luft mit dem deutschen Airbus A-310 MRTT oder der spanische KC-130. Doch nicht nur auf der Beschuss und Bombardierungen aus der Luft bereitet sich die Nato vor, sondern ihr geht es um "alle denkbaren Einsatzszenarien", wie die Luftnahunterstützung, die Aufklärung, der Luftkampf oder das Absetzen von Fallschirmspringern.

Der Anspruch ist groß. Die Nato will mit Trident Juncture zeigen, dass sie zu einer großflächigen strategischen Kriegsführung fähig ist, die weit über die Grenzen der Mitgliedsländer hinausgeht. Nach Nato-Angaben handelt es sich um eine beispiellose Mobilisierung von Truppen nach dem Muster des "Federated Mission Network" (FMN). Es geht um ein großflächiges Manöver, wie es seit dem Ende des Kalten Kriegs nicht mehr durchgeführt wurde. Kombiniert werden diverse Elemente, um sich gegen "Bedrohungen aus dem Süden und Osten" behaupten zu können. Geprobt wird in der Mittelmeerregion vor allem die neue 5000 Mann schnelle Eingreiftruppe, die als "Speerspitze" fungieren soll.

Flugzeuge als Zielobjekte in Bardenas. Bild: R. Streck

Man will die Lektionen Afghanistan-Krieg gelernt haben und die Erkenntnisse nun in die Praxis umsetzen. So sei Trident Juncture bewusst "als Schlüsselereignis der NATO" ausgerichtet, denn die "NATO verschiebt nach mehr als einer Dekade sehr intensiver Aufstandsbekämpfung ihre Ausrichtung", erklärte Generals Phil Jones. Man beginne damit, die "Ausrichtung für die derzeitige Sicherheitslage neu zu kalibrieren."

Es gehe beim Manöver um eine "hochkomplexe Bedrohungslage" in einer angeblich fiktiven Region. Trident Juncture stelle "die Soldaten mit verschiedenen Bedrohungen wie hybrider Kriegsführung vor vielfältige Herausforderungen, erklärt die Bundeswehr. Geplant wird ausdrücklich ein "Krisenreaktionseinsatz außerhalb des NATO-Vertragsgebiets". Und kommt es einem nicht bekannt vor, dass ausgerechnet ein "Grenzkonflikt beendet" werden soll, bevor sich dieser auf die gesamte Region ausweitet? Warum die Nato in einen angeblichen Konflikt ums Wasser und kriegerisch und außerhalb der Mitgliedsstaaten intervenieren soll, bleibt völlig unklar. Hiermit wird bestenfalls klar, dass mit verstärkten Konflikten im Rahmen der Klimaveränderungen gerechnet wird, für die vor allem die Nato-Mitgliedsstaaten verantwortlich sind.

A political, military, economic, social, infrastructure and information (PMESII) framework was used to develop the comprehensive scenario (synthetic environment), which describes a very complex and unstable environment. Rising political instability, ethnic tension and persisting socio-economic challenges are climaxed by a blatant invasion of one state’s territory by another. Ultimately, the crisis leads to a UN-mandated and NATO-led, non-Article V Crisis Response Operation under Chapter VII of the Charter of the UN, in a region far from NATO’s home territory.

Nato-Szenario

Wenig verhüllt macht die Nato deutlich, gegen wen sich das Manöver vor allem richtet. Daran ändert nichts, wenn der Nato-Oberbefehlshaber General Philip Breedlove zum Auftakt des Manövers bestritt, dass man sich gegen Russland wende. Er behauptete, man wende sich gegen einen fiktiven Aggressor. Dabei sprach der stellvertretende Nato-Generalsekretär klar und deutlich von "Herausforderungen" durch die zunehmende Konzentration russischer Streitkräfte in Kaliningrad, im Schwarzen und im östlichen Mittelmeer". Dazu sorgte er sich auch über den Ausbau der russischen Militärpräsenz im Baltikum, auf der Krim und zuletzt auch in Syrien (Assad wurde von Putin einbestellt). Die Nato sieht darin eine Einschränkung ihrer Bewegungs- und Handlungsfreiheit.

Militärisches Sperrgebiet. Bild: R. Streck

Mit einem klaren Blick auf die Vorgänge in der Ostukraine erklärte er: "Das sendet ein klares Signal an jeden potenziellen Aggressor." Und er fügt in einem ähnlich drohenden Ton an: "Jeder Versuch, die Souveränität eines Nato-Staates zu verletzen, wird eine entschlossene Militäraktion aller Nato-Staaten nach sich ziehen." Und deshalb ist es sicher kein Zufall, dass die Ukraine an Trident Juncture teilnimmt, obwohl es kein Nato-Mitglied ist.

Neben dem Konflikt in der Ostukraine sorgt sich die Nato allerdings davor, dass der Krieg sich immer näher am Mittelmeer an die Bündnisstaaten heranschiebt, wie der zerfallende Staat Libyen sehr deutlich zeigt. Auch hier ist die Nato mitverantwortlich (Libyen-Krieg mit Satellitenaufklärung aus Neustrelitz), genauso wie am Desaster im Irak. Nun hat sogar der ehemalige britische Premierminister Tony Blair eingeräumt, am Aufstieg des IS mitverantwortlich zu sein. "Natürlich kann man nicht behaupten, dass jene von uns, die Saddam (Hussein) 2003 stürzten, keine Verantwortung für die Situation 2015 tragen", sagte.

Blair entschuldigte sich auch für die Planungsfehler und räumte ein, dass man die Lage, was nach dem Krieg geschehen würde, völlig falsch eingeschätzt habe. Mit Großbritannien war auch Spanien (anders als Deutschland) an dem illegalen Krieg gegen den Irak beteiligt. Dieser Krieg, der ebenfalls in den Bardenas vorbereitet wurde, war in der Öffentlichkeit mit Geheimdienstlügen über angebliche irakische Massenvernichtungswaffen gerechtfertigt worden (Unser Protest wird nicht müde).

"Ich entschuldige mich dafür, dass die Geheimdienstinformationen, die wir erhalten haben, falsch waren", sagte Blair. Zwar habe Saddam Hussein chemische Waffen gegen sein eigenes Volk und gegen andere eingesetzt. Ein Waffenprogramm aber, wie damals angenommen, habe nicht existiert. Unklar ist, auf welchen Einsatz er sich bezieht, denn beim Einsatz von Chemiewaffen gegen Kurden 1988 schaute der Westen geflissentlich weg, weil Saddam Hussein zu diesem Zeitpunkt ein Verbündeter gegen den Bösewicht Iran war.

Doch zurück zu Trident Juncture. Dieses Manöver zeigt, dass die Nato am Grundverständnis nichts geändert hat und die späte Selbstkritik von Blair in ihren Kommandozentralen bisher nicht angekommen ist. Das Manöver demonstriert eher, dass man sogar verstärkt militärisch zu intervenieren gedenkt. Und in den Machtspielen - in denen das Wasser durchaus durch andere Rohstoffe wie Öl oder Gas ausgetauscht werden darf - spielt Spanien eine immer stärkere Rolle, weshalb der Großteil der Übungen hier stattfindet.

Geschossen wird auf Feuerwehrfahrzeuge. Bild: R. Streck

Spanien wird zunehmend zu einem Vorposten aufgrund der Nähe zu den näher rückenden Konflikten. So kommen den US-Militärbasen in Andalusien inzwischen Schlüsselpositionen zu. In Morón de la Frontera sind Spezialkräfte der US-Marines stationiert und unter dem Eindruck der Krise und der massiven Arbeitslosigkeit in Andalusien wurde erst kürzlich mit den USA vereinbart, zusätzliche 3.000 Soldaten in Spanien stationieren, womit deren Zahl auf bis zu 7.750 ansteigen wird. Statt bisher "temporär" werden die US-Truppen nun in Morón de la Frontera unbegrenzt verbleiben und die Zahl der Soldaten auf der Basis wird um 850 auf 3.000 erhöht. Sie wird zum Führungsstab der USA für Afrika, um angeblich gegen den islamistischen Terror zu kämpfen. Dazu kommt noch die große Marinebasis in Rota, die als Unterstützung für alle US-Navy-Einheiten in Europa und Afrika dient.