Klima-Geld: Sozialstaat mit der Verpflichtung zum gläsernen Bürger
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Folgt Deutschland Indien mit der Digitalen Identität in einen übergriffigen Verwaltungsstaat? Wenn es nach den Vereinten Nationen und deren Agenda 2030 geht: ja. Ein Einwurf zur Debatte.
"Wir wollen mehr Demokratie wagen", lautet das berühmte Diktum von Bundeskanzler Willy Brandt (SPD). Es ist besonders im Kontext der Regierungserklärung vom Oktober 1969 von bemerkenswerter Aktualität:
(Die) demokratische Ordnung braucht außerordentliche Geduld im Zuhören und außerordentliche Anstrengung, sich gegenseitig zu verstehen. (…)
Die Regierung kann in der Demokratie nur erfolgreich wirken, wenn sie getragen wird vom demokratischen Engagement der Bürger. Wir haben so wenig Bedarf an blinder Zustimmung, wie unser Volk Bedarf hat an gespreizter Würde und hoheitsvoller Distanz.
Wir sind keine Erwählten. Wir sind Gewählte.
Willy Brandt: Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969
Ein halbes Jahrhundert nach der legendären Brandt-Rede für die Demokratie nehmen die deutschen Sozialdemokraten im Ampel-Koalitionsvertrag darauf Bezug. Nur mit anderem Zungenschlag. "Demokratie" ist gestrichen worden. "Mehr Fortschritt wagen", lautet dagegen der Titel des Dokuments von 2021.
Klima-Geld in der Warteschleife
Im Koalitionsvertrag findet sich unter der nun ahnungsvoll anmutenden Überschrift "sozial gerechte Energiepreise" folgende Passage zum sogenannten Klima-Geld:
"Um – auch angesichts höherer CO2-Preiskomponenten – für sozial gerechte und für die Wirtschaft wettbewerbsfähige Energiepreise zu sorgen, werden wir die Finanzierung der EEG-Umlage über den Strompreis beenden. (…)
Um einen künftigen Preisanstieg zu kompensieren und die Akzeptanz des Marktsystems zu gewährleisten, werden wir einen sozialen Kompensationsmechanismus über die Abschaffung der EEG-Umlage hinaus entwickeln (Klimageld).
Ampel-Koalitionsvertrag: Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit
Passiert ist seitdem: Nicht viel, wie die Tagesschau zuletzt Anfang August feststellte. Der Grund: Die Einnahmen der CO2-Bepreisung seien mittlerweile bereits "anderweitig verplant":
Das zeigt der in dieser Woche von der Bundesregierung beschlossene Wirtschaftsplan für den Klima- und Transformationsfonds (KTF), einen milliardenschweren Topf außerhalb des eigentlichen Bundeshaushalts. Finanziert werden aus dem Fonds Investitionen, die dem Klimaschutz dienen sollen: in Gebäudesanierungen, in das Schienennetz der Bahn und viele weitere Projekte. Der Wirtschaftsplan des KTF verplant seine Einnahmen bis 2027.
Zwei Jahre früher, 2025, endet die Legislaturperiode, und sollte dann tatsächlich ein Auszahlungsweg für ein Klimageld vorliegen, stellt sich die Frage: Welche Summe kann dann noch als Klimageld pauschal an alle Bürger ausgezahlt werden – wenn alle Mittel aus dem KTF anderweitig verplant sind?
Nach Ansicht des Bundeswirtschaftsministeriums stellt sich diese Frage jetzt noch nicht. Das Haus von Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) verweist auf Anfrage des ARD-Hauptstadtstudios darauf, dass der Auszahlungsmechanismus für ein Klimageld noch nicht bereitsteht ("Schritt 1"): "Erst dann stellt sich im Schritt 2 die konkrete Finanzierungsfrage." Haushaltsrechtlich liege bis dahin noch keine "Etatreife" vor.
Tagesschau
Und doch gibt es bereits konkrete Vorschläge für den genannten Auszahlungsmechanismus. Bereits vergangenen Dezember haben Bundestag und Bundesrat das Jahressteuergesetz 2022 (JStG) ratifiziert, in dem sich äußerst pikante Planungsabsichten finden.
Neue "Personenkennzahl" und "Waffengleichheit" zwischen Staat und Bürger
Der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) kommentierte den vorangegangenen Referentenentwurf des JstG wie folgt:
Mit Artikel 18 Nr. 6 des (Jahressteuergesetzes) JStG 2022 und damit der Änderung von § 139b der Abgabenverordnung will die Bundesregierung die rechtliche Voraussetzung schaffen, Kontoverbindungen (Internationale Kontonummer (IBAN) und ggf. Business Identifier Code (BIC) von Bürger:innen in einem Register zu erfassen und für Direktzahlungen an sie nutzen zu können.
In seiner Begründung gibt das (Bundesfinanzministerium) BMF an, dass mit dieser Änderung die Grundlage dafür geschaffen werden soll, das im Koalitionsvertrag aufgeführte Klima-Geld als sozialen Ausgleich für den "künftigen" Anstieg des CO2-Preises über die am 1. Juli 2022 erfolgte Abschaffung der EEG-Umlage hinaus umzusetzen und zwar unbürokratisch und missbrauchssicher.
Dazu soll die "IdNr-Datenbank, in der alle in Deutschland mit erstem Wohnsitz gemeldeten Personen enthalten sind und die eine eindeutige Identifikation jedes einzelnen Bürgers ermöglicht", als Grundlage dienen.
Die Kontonummern IBAN und ggf. BIC sollen erhoben, gespeichert, verarbeitet, übermittelt und genutzt werden dürfen, damit das Klimageld an die Bürger:innen ausgezahlt werden könne.
Kurzstellungnahme des VZBV zum Referentenentwurf des BMF
"Der VZBV begrüßt den Ansatz des BMF" und "fordert die Bundesregierung auf, das Klima-Geld spätestens zum 1. Januar 2023 einzuführen", hieß es weiter.
Auch der Bund der Steuerzahler machte Druck, war in Medien zu lesen. Allein: Daraus wurde nichts.
Für eine bestimmte Gruppe war das aber keine schlechte Nachricht: Datenschützer und Bürgerrechtler.
Verknüpfung von Steuer-ID und IBAN
Denn die Verknüpfung von Steuer-ID und IBAN heizt einen alten Streit zwischen (Regierungs-)Politikern und Datenschützern wieder an, der bereits im Zuge des sogenannten Registermodernisierungsgesetzes und der vermeintlichen Rückkehr der DDR-"Personenkennzahl" entbrannt war.
Wie heise.de berichtete, hatte der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber schon während des Gesetzgebungsverfahrens zum JStG "vergeblich" an die Abgeordneten appelliert, "verfassungsgemäße, mildere Mittel wie die Nutzung bereichsspezifischer Lösungen" zu gebrauchen oder auf bereits vorhandene Datenbestände zurückzugreifen.
Kelber wies dabei auf die gebotene "Waffengleichheit" zwischen Staat und Bürger sowie den Schutz des informationellen Selbstbestimmungsrechts hin.
Bilden von Profilen wird erleichtert
Die drohende "Einführung eines bereichsübergreifenden Personenkennzeichens", so Kelber weiter, erleichtere das Bilden von Profilen "übermäßig" und gefährde "den besonders geschützten geistigen Innenraum" der Bürger.
Er warnte, ein Missbrauch könne nicht effektiv verhindert werden – und die "Hemmschwelle zur Weiternutzung" (siehe: function creep bei der Corona-Warn-App) werde stark herabgesenkt. Trotz allem hat Deutschland hat mit der Energiepreispauschale für Studenten in Höhe von 200 Euro, die nur in Verbindung mit der BundID ausgezahlt wird, bereits einen Präzendenzfall gesetzt.
Es gibt bereits vergleichbare Systeme, in denen staatliche Kompensations- oder sonstige Sozialleistungen an einen sogenannten Unique Lifelong Identifier geknüpft sind, wie er auch gegenüber den EU-Plänen zu Digitaler Identität und Digitaler Zentralbankwährung kritisiert wird.
Indien: Das Aadhaar-Programm – lebenslange Identifikation
Sie finden sich in den Energie-Ausgleichszahlungen von Griechenland, den Rationierungen von Sri Lanka oder dem Digitalisierungs-Zuschuss in Thailand, über den Wirtschaftsjournalist Norbert Häring kürzlich berichtete.
Das System, das die Vereinten Nationen als das geeignetste auserkoren haben, um ihre in weiten Teilen kritikwürdige Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung (vgl. Sustainable Development Goals, SDGs) voranzubringen, wird in Indien bereits angewendet.
2009 hat dort die Behörde Unique Identification Authority of India (UIDAI) das Aadhaar-Programm ins Leben gerufen – eine biometrische Form der Authentifizierung, die nach Angaben der Behörde Datenduplikate, Betrug und einer ineffizienten Ausrichtung der Sozialleistungen vorbeugen soll.
Über das Programm, das zusammen mit der einflussreichen IT-Firma Infosys entwickelt wurde, hat Telepolis an anderer Stelle bereits berichtet.
Obwohl offizielle Stellen vielfach die freiwillige Anwendung des Identitätssystems betonen, sieht Abschnitt 7 des sogenannten Aadhaar-Gesetzes eine obligatorische Authentifizierung vor – und zwar bei der Inanspruchnahme von Subventionen, Vergünstigungen und Dienstleistungen.
Dazu kommt eine de-facto-Pflicht in anderen Bereichen des alltäglichen Lebens: Ohne Aadhaar können indische Bürger kein Bankkonto eröffnen, keine SIM-Karten kaufen und teilweise nicht am Schulunterricht teilnehmen.
Erst vor Kurzem erklärte die indische Regierung die Aadhaar-Registrierung für verpflichtend, um Zahlungen im Zuge des Mahatma Gandhi National Rural Employment Guarantee Act von 2005 (MGNREGA) zu erhalten, der für die arme Landbevölkerung "das Recht auf Arbeit" sichern soll.