Klimaveränderung führte zur Entstehung urbaner Kultur

Nicht Überfluss, sondern Mangel an Ressourcen durch Trockenheit erzwang, so die These eines Klimaforschers, die Bildung der ersten Städte und Staaten und den damit zusammenhängenden "Fortschritt" der Technik

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Der Klimaforscher Nick Brooks vom Tyndall Centre for Climate Change Research der University of East Anglia geht in seiner Forschung einer interessanten These zur Entstehung der menschlichen Zivilisation nach. Danach konnten sich komplexere Gesellschaften mit der beginnenden Urbanisierung und der damit einhergehenden Arbeitsteilung in der „neolithischen Revolution“ in Ägypten, Mesopotamien oder China nicht deswegen bilden, weil die Menschen die Landwirtschaft entdeckten und das günstige Klima gute Ernten ermöglichte, sie waren nach Ansicht von Brooks vielmehr eine Reaktion auf eine zunächst katastrophale Klimaveränderung. Normalerweise macht man Umweltkatastrophen oder dramatische Klimaveränderungen für den Untergang von Kulturen verantwortlich.

Während vielfach die nach der Eiszeit angeblich besseren und stabileren Klimabedingungen im Holozän vor 12.000 Jahren für die Entstehung von Landwirtschaft und komplexen, arbeitsteiligen Gesellschaften verantwortlich gemacht werden, glaubt Brooks hingegen, wie er den Stand seiner Forschung auf dem BA Festival of Science 2006 in Norwich schilderte, dass es die Klimaveränderung und vor allem eine damit einhergehende Trockenheit waren, die die Menschen zur Erfindung komplexer Kulturen zwangen. Das sind „hoch organisierte Kulturen, die einen hohen Grad an Verstädterung, sozialer Hierarchie, Arbeitsteilung und Machtkonzentration“ zeigen, wie sie in dem Band zwischen Nordafrika und China und dem nördlichen Südamerika vor 8.000 Jahren entstanden sind. Dort, wo sich auch heute wieder etwa die Sahara oder erstreckt, war im frühen Holozän eine feuchte und tropische Zone, die allmählich durch Fluktuationen der Erdumlaufbahn, die das Monsun-System veränderten, trockener wurde.

Parallel zur Ausbreitung von Steppen und Wüsten durch die Verschiebung der Monsunregen und die zunehmende Trockenheit hätten sich die vormals nomadisierenden Gruppen niedergelassen, um gemeinsam mit den geringer werdenden natürlichen Ressourcen dort auszukommen, wo es noch Wasser und fruchtbares land gab. Für die meisten Menschen sei das Leben schwerer und härter geworden, der Übergang zum Leben in Städten sei mit der Einschränkung von Freiheit und der Zunahme von Ungleichheit verbunden gewesen. Die Menschen hätten mehr arbeiten müssen, um zu überleben, gleichzeitig hätten sich neue Infektionskrankheiten ausgebreitet. Die Lebenserwartung sei nicht gestiegen und die organisierte Gewalt habe zugenommen. Ein besonders drastischer Einschnitt habe sich vor 10.000 Jahren für mehrere Jahrhunderte ergeben, in der einige einst feuchten und warmen Gebiete einer plötzlichen Kälte und Trockenheit ausgesetzt wurden.

Brooks belegt seine These, die er in Cultural responses to aridity in the Middle Holocene and increased social complexity (Quaternary International 151 (2006) 29–49) ausführt, vorwiegend aus der Erforschung des Zusammenhangs zwischen Klima und menschlicher Kultur in der Region Fessan, die in der Wüste Libyens liegt. Vor 10.000 Jahren haben dort die Menschen, bislang Jäger und Sammlern mit der zunehmenden Trockenheit begonnen, Rinderherden zu halten. Dazu kamen später Ziegen und Schafe, die besser mit den trockenen Bedingungen zurechtkommen. Veränderungen des Sozialverhaltens deuten sich in dieser Zeit auch mit der Ausbreitung von monumentalen Grabstätten aus. Die Trockenheit löste allerdings neben dem Trend zur Sesshaftigkeit in Oasen und Wadis, in denen es noch Wasser gab, bei anderen Gruppen erhöhte Mobilität in höheren Lagen aus. Der Druck zur Verstädterung durch die Trockenheit und die Etablierung von Handelswegen ließ schließlich die Kultur der Garamanten entstehen. Ähnlich Konzentrationsprozesse haben sich ebenfalls vor 7.000 Jahren auch in Ägypten sowohl am Nil, als auch in den Wadis und Oasen der austrocknenden Sahara abgespielt. Die Siedlungsdichte ging einher mit einer Intensivierung der Landwirtschaft, dem Ausbau der künstlichen Bewässerung und ebenfalls mit dem Bau von monumentalen Tempeln und Grabanlagen. Die Entstehung etwa der Naqada-Kultur in Oberägypten und der Herausbildung des vereinten ägyptisches Reiches aus der frühdynastischen Periode versteht Brooks als Anpassung an die seit dem 4000 v. Chr. zunehmende Trockenheit.

Und auch in Mesopotamien, die gerne als „Wiege der Kultur“ mit den ersten städtischen Gesellschaften bezeichnet wird, haben sich vor 8.000 Jahren mit den veränderten Klimabedingungen konforme regionale Verschiebungen von Dörfern zu Städten ereignet, während andere Gebiete wegen der Trockenheit verlassen wurden. Mit der Uruk-Kultur nahm die Arbeitsteilung in den Städten zu, die Töpferscheibe, die Schrift und Buchhaltung wurden erfunden, effektive Landwirtschaft und Bewässerungssysteme wurden eingeführt. Auch um den Indus herum, in Nordchina und Peru sieht Brooks vergleichbare Anpassungsprozesse an veränderte klimatische Bedingungen durch Entstehung einer komplexeren urbanen Kultur. Die verdichteten Bevölkerungsansammlungen in Gebieten mit besseren Umweltbedingungen erzwingen soziale Umschichtungen, neue Institutionen und andere Techniken, weil zunächst die Knappheit an Ressourcen überwunden wefrden muss. Komplexere Gesellschaften mit ihrer sozialen und technischen Dynamik sind im Holozän also kein Ergebnis eines Überschusses in der Lebensmittelproduktion, sondern Folge eines durch Klimaveränderungen entstandenen Mangels.

Da eine andere Antwort aber auch zunehmende Mobilität durch Annahme einer nomadische Lebensweise sein kann und urbane Kulturen sich auch in anderer Zeit und in anderen Regionen ausgebildet haben, ist Brooks These zur Entstehung von (urbaner) Zivilisation nicht ohne weiteres verallgemeinerbar, zumal eine Vielzahl weiterer Ursachen eine Rolle spielen kann. Und während vielleicht manche Gesellschaften aus bestimmten Gründen in der Lage waren, durch Ausbildung komplexerer Organisationen sich plötzlichen klimatischen Veränderungen anzupassen, können andere auch daran zugrunde gegangen sein. Allerdings steht Brooks These die Idee von einer linearen Evolution der menschlichen Kultur in Frage und weist daraufhin, dass auch in ihrer Entwicklung wie in der natürlichen Evolution zufällige äußere Ereignisse eine maßgebliche Rolle spielen können. Einmal eingetretene Veränderungen erhalten sich dann ebenso wie evolutionäre Entwicklungen in biologischen Systemen und unterliegen weiteren Anpassungsdrücken. Brooks warnt allerdings davor, die These auf die gegenwärtige globale Erwärmung durch Treibhausgase übertragen und optimistische Schlüsse daraus ziehen zu wollen. Damals habe es sich um ungeplante und unvorhergesehene Anpassungen gehandelt, während es jetzt darum gehe, antizipierbare Klimaveränderungen mit geplanten Anpassungsstrategien zu begegnen.