Koalitionspoker in Sachsen-Anhalt
CDU hat die Wahl. "Schwarz-Rot" mit hauchdünner Mehrheit möglich, FDP will kein "Reserverad" sein, AfD bietet sich wie saures Bier an
Sachsen-Anhalts gerade im Amt bestätigter Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) hat sich als Anhänger der Extremismusdoktrin bereits vor der Landtagswahl am Sonntag nach rechts wie nach links abgegrenzt und erklärt, er stehe für "die demokratische Mitte". Dementsprechend werde es auch ganz sicher keine Zusammenarbeit mit der AfD geben.
Die AfD als zweitstärkste Kraft im Lande beeindruckte das zunächst nicht. Ihr Ko-Vorsitzender Tino Chrupalla schien zum Polit-Stalking entschlossen: Am Wahlabend erklärte er in der Talksendung "Anne Will", das Ergebnis zeige den "Wählerwillen", dass seine Partei an der Seite der CDU das Land regieren solle. Im rbb-Inforadio betonte Chrupalla, seine Partei biete der CDU "Gespräche an", auch wenn es natürlich immer die Aufgabe der größten Partei sei, Gespräche anzubieten: "Wir stehen bereit."
Die CDU konnte am Sonntag 37,1 Prozent der abgegebenen Stimmen für sich verbuchen, die AfD 20,8 Prozent. Bei fast 40 Prozent Nichtwählern könnten die Ergebnisse beider Parteien aber nicht einmal dann den "Wählerwillen" zeigen, wenn tatsächlich alle CDU-Wähler sich genau diese Konstellation gewünscht hätten. Die aktive Zustimmung für die CDU unter Sachsen-Anhalts Wahlberechtigten lag bei rund 22,4 Prozent, die AfD wurde real von 12,5 Prozent gewählt. Haseloffs Partei kündigte dagegen an, "mit allen demokratischen Parteien" zu sprechen.
"Schwarz-Rot" mit hauchdünner Mehrheit möglich
Dank des Wiedereinzugs der FDP in den Landtag, der keineswegs sicher gewesen war, stehen der CDU auf der Suche nach Koalitionspartnern jetzt mehr Optionen offen als erwartet. Dank der demokratisch mindestens fragwürdigen Fünf-Prozent-Hürde könnte es aber trotz eines historisch schlechten SPD-Wahlergebnisses von nur 8,4 Prozent zu einer "schwarz-roten" Koalition kommen: 9,7 Prozent der abgegebenen Stimmen entfielen nämlich auf Kleinparteien, denen wegen dieser Hürde nun kein einziger der insgesamt mindestens 83 Sitze im Landtag zusteht.
Selbst ohne Überhangmandate könnten CDU und SPD auf eine hauchdünne Mehrheit von 42 Sitzen kommen. Mit Überhangmandaten stellen CDU und SPD 49 der 97 Abgeordneten - eine ebenso hauchdünne Mehrheit. SPD-Chef Norbert Walter-Borjans sieht diese Konstellation daher skeptisch. Auch seien "Zweifel an der Stabilität der CDU-Fraktion angebracht", sagte der Parteichef am Montag dem MDR. Die CDU-Fraktion habe sich in den vergangenen Jahren und Monaten "nicht als ganz stabile Brandmauer nach rechts erwiesen", so Walter-Borjans. Er wolle der SPD Sachsen-Anhalt die Entscheidung, ob eine stabile Koalition mit der CDU möglich ist, aber nicht vorwegnehmen. Während der vergangenen fünf Jahre "schwarz-rot-grüner" Koalition in Sachsen-Anhalt hatten wiederholt Mitglieder der dortigen CDU-Fraktion eine Öffnung der CDU zur AfD gefordert.
FDP-Spitzenkandidatin Lydia Hüsken, deren Partei bei dieser Landtagswahl 6,4 Prozent erreichte, rechnet dagegen mit der "schwarz-roten" Variante. Sie machte am Montag deutlich, dass sie keinen Wert darauf legt, die FDP als schwächstes Glied in einer "Deutschland-Koalition" mit CDU und SPD zu erleben: "Meine Erwartungshaltung ist, dass es ein Zweierbündnis gibt", sagte Hüskens auf einer Pressekonferenz. "Ich sehe uns definitiv nicht als Komfortpartner oder als Reserverad".
Die Grünen sind im Gegensatz zum bundesweiten Trend in Sachsen-Anhalt prozentual nach wie vor kein großer "Player": Sie kamen dieses Mal auf 5,9 Prozent beziehungsweise sechs Sitze im Landtag, werden aber von Haseloff zur "demokratischen Mitte" gezählt, zumal sie seit 2016 schon in einer "Kenia-Koalition" mit CDU und SPD das Land regierten. Rein rechnerisch wäre auch eine "Jamaika-Koalition" aus CDU, FDP und Grünen möglich.
"Herbe Niederlage" für Die Linke
Drittstärkste Kraft ist mit zwölf Sitzen beziehungsweise landesweit elf Prozent der abgegebenen Stimmen Die Linke, die allerdings 5,3 Prozentpunkte im Vergleich zu 2016 verlor und für Haseloff im Zweifel nur als zweites Schmuddelkind neben der AfD betrachtet wird. Nach den Worten von Bundestagsfaktionschef Dietmar Bartsch muss sich Die Linke jetzt "auf ihr Kernimage" konzentrieren. "Wir müssen unsere Hausaufgaben machen", sagte Bartsch am Montag im ARD-"Morgenmagazin". Die Linke sei die Partei für die soziale Gerechtigkeit. Die Linke müsse die Garantie sein, dass der Klimawandel sozial gerecht gestaltet werde. Das schwache Abschneiden der Linken in Sachsen-Anhalt nannte Bartsch eine "herbe Niederlage".
Während sich Sachsens-Anhalts Linke-Spitzenkandidatin Eva von Angern am Montag auf ihrer Facebook-Seite für das Vertrauen von immerhin 116.902 Wahlberechtigten bedankte und versprach, sich weiter "mit aller Kraft für gleiche Löhne und Renten in Ost und West" sowie vieles mehr einzusetzen, äußerte sich Ex-Parteichef Oskar Lafontaine ausführlicher.
Einerseits stellte er klar, dass Menschen aus einkommensschwachen Schichten entgegen ihrer eigenen Interessenlage AfD gewählt hätten, andererseits kritisierte er seine eigene Parteiführung in einem Atemzug mit der SPD: Das Führungspersonal beider Parteien weigere sich seit Jahren "ihre von den Wählern abgelehnte Politik zu ändern", schrieb Lafontaine, ohne konkreter zu werden, was Die Linke falsch mache. Im Fall der SPD ließ sich das leicht nachvollziehen, weil er auch das Stichwort "Hartz IV" nannte und die SPD für diese "Reform" verantwortlich war:
Die AfD hat wieder mehr Stimmen aus dem Arbeitnehmer-Lager erhalten als Linke und SPD. Das ist erstaunlich, weil die AfD Politik gegen die kleinen Leute macht. Sie stimmt im Bundestag gegen die Erhöhung des Mindestlohns, gegen eine Anhebung des Hartz IV-Satzes und gegen eine wirksame Mietpreisbremse.
(Oskar Lafontaine, Ex-Parteichef und Fraktionsvorsitzender der Partei Die Linke im Saarland)
Lafontaines Fazit: Am Auseinanderdriften der Gesellschaft durch wachsende Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen ändere die Wahl in Sachsen-Anhalt nichts. Die Stimmung für eine andere Politik sei zwar längst da, aber die Bevölkerung traue keiner der Parteien eine Politik für soziale Gerechtigkeit zu.
Im Fall der Partei Die Linke könnte das zwar auch an ihrer systemkompatiblen Performance bei Regierungsbeteiligungen auf Länderebene liegen - Thüringens linker Ministerpräsident Bodo Ramelow hatte zum Beispiel unlängst für eine zweite Amtszeit des SPD-Politikers Frank-Walter Steinmeier als Bundespräsident geworben, ohne sich diesbezüglich mit seiner Partei abzusprechen - aber dazu schrieb Lafontaine in seiner Wahlanalyse für Sachsen-Anhalt nichts. So blieb es zunächst Spekulation, ob er seiner Partei zu wenig Abgrenzung vom Establishment oder vor allem zu viel "Minderheitenpolitik" vorwerfen wollte, wie es seine Weggefährtin und Ehefrau Sahra Wagenknecht in ihrem Buch "Die Selbstgerechten" getan hat.
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