Koalitionstruppen sollen im Irak weiterhin Immunität genießen

Während der Versuch der US-Regierung gescheitert ist, Immunität gegenüber dem Internationalen Strafgerichtshof zu erhalten, scheint die irakische Übergangsregierung dies den Koalitionstruppen und privaten Auftragnehmern weiterhin gewähren zu wollen

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Nachdem deutlich wurde, dass die US-Regierung im UN-Sicherheitsrat für die Resolution auf eine weitere Verlängerung der Immunität von amerikanischen Soldaten keine Mehrheit erhalten würden, zog man diese lieber zurück. Allerdings drohte man gleich damit, dass damit auch die weitere Beteiligung an UN-Missionen zur Disposition stünde. Anders dürfte es aber im Irak zugehen. Auch hier will die US-Regierung die schon von der US-Verwaltung beschlossene Immunität für alle Angehörigen der Koalitionstruppen verlängern.

Nachdem die US-Regierung bereits zwei Mal vom Sicherheitsrat die Zusage für jeweils ein Jahr erhalten hat, dass amerikanische Soldaten und Regierungsmitarbeiter nicht vom Internationalen Strafgerichtshof (ICC) belangt werden können, wollte sie nun in einer neuen Resolution eine zeitlich unbefristete Immunität erhalten. Gerade nach dem Folterskandal im Irak und dem willkürlichen Umgang mit Gefangenen, die als "feindliche Kämpfer" bezeichnet werden, warnte auch UN-Generalsekretär Kofi Annan davor, die Vereinten Nationen in ihrer Glaubwürdigkeit zu beschädigen, wenn der Sicherheitsrat der amerikanischen Forderung nachkommen würde.

Die Bush-Regierung hatte bereits versucht, die Etablierung des ICC zu verhindern, und Staaten unter Druck gesetzt, dem Statut von Rom entweder nicht zu ratifizieren oder den USA Immunität zu garantieren (US-Regierung droht der EU wegen des Internationalen Strafgerichtshofs; Konflikt um den Internationalen Strafgerichtshof). Auch wenn die USA dem Statut von Rom beigetreten wäre, hätte es kaum eine Möglichkeit gegeben, tatsächlich US-Bürger zu belangen oder politisch motivierte Prozesse durchzuführen, was meist als Ablehnungsgrund genannt wurde. Es handelt sich mit mithin um ein sehr theoretisches Risiko, das eher beschworen wurde, um den Geltungsbereich internationaler, auch die USA bindender Abkommen möglichst gering zu halten. Die USA sind allerdings noch weiter gegangen und 2002 im Vorfeld des Irak-Krieges noch ein Gesetz verabschiedet, das es dem US-Präsidenten sogar erlauben würde, mit Waffengewalt amerikanische Bürger oder Angehörige alliierter Staaten aus dem Zugriff des Gerichts in Den Haag zu befreien (US-Bürger und Alliierte sollen auch mit Gewalt vor dem Zugriff des Internationalen Gerichtshofs geschützt werden).

Im Irak will man nun auch sicher gehen und vermeiden, dass die souveräne Regierung womöglich gegen US-Soldaten, Angehörige von Koalitionstruppen oder andere private Mitarbeiter aus dem irakischen Ausland von diesen zivil- oder strafrechtlich vorgehen kann. US-Verwalter Bremer hatte im Juni 2003 die Anordnung 17 erlassen, die allen Angehörigen der Besatzungsmächte, einschließlich aller Ausländer, die mit der Zivilverwaltung oder dem Militär Verträge abgeschlossen haben, in allen Belangen Immunität gegenüber der Jurisdiktion des besetzten Landes garantiert. Bei den privaten Auftragnehmern (contractors und subcontractors) erstreckt sich die Immunität auf alles, was im Bereich des Auftrags geschieht. Die Immunität war bis zu dem Zeitpunkt erlassen worden, an dem die US-Verwaltung die Macht an eine irakische Regierung übergibt.

Als Bremer die Anordnung erlassen hat, waren die Vorfälle in Abu Ghraib noch nicht geschehen. Jetzt aber sind nicht nur Soldaten, sondern auch Angestellte privater Sicherheitsunternehmer in Verdacht geraten, irakische Gefangene misshandelt zu haben. Zudem gibt es immer wieder Beschuldigungen, dass Koalitionstruppen Zivilisten töten oder verwunden. Aber nicht nur aus diesem Grund, sondern auch, weil die US-Regierung so sehr die Souveränität der Übergangsregierung betont hat, würde eine uneingeschränkte Gewährung der Immunität seitens dieser ein weitere Vorlage für die Aufständischen sein, dass es sich nur um eine Vasallenregierung handelt und die US-Regierung, vertreten durch ihren neuen Botschafter John Negroponto, weiterhin die Zügel der Macht hält (John Negroponte, künftiger US-Botschafter und heimlicher Herrscher im Irak).

Noch werde mit der Übergangsregierung verhandelt, erklärte General George W. Casey, der künftige Oberbefehlshaber der Truppen, aber im Prinzip habe die Übergangsregierung bereits zugestimmt, die Immunität zu verlängern. Das sagte auch Scott McClellan, der Sprecher des Weißen Hauses. Verhandelt wird offenbar noch, ob neben den 140.000 US-Soldaten und den übrigen 25.000 Soldaten der Alliierten auch die privaten Auftragnehmer der Koalitionstruppen nicht unter die irakische Rechsprechung fallen.

Unruhen und Machtübergabe

Wenige Tage vor der Machtübergabe an die Übergangsregierung haben die Angriffe und Anschläge der Aufständischen zugenommen, die gestern in verschiedenen Städten ein Blutbad mit über 100 Toten und Hunderten von Verletzten verursacht haben. Opfer sind in aller Regel irakische Zivilisten und Sicherheitskräfte. Welche Gruppen hinter den offenbar koordinierten Angriffe steht, scheint unbekannt zu sein. Ebenso wenig ist bekannt, welche politischen Ziele die Aufständischen neben der Vertreibung der Besatzungsmächte, dem Sturz der Übergangsregierung und der Verbreitung von Angst und Unsicherheit wirklich verfolgen.

Allawi, der Ministerpräsident der Übergangsregierung, macht Baathisten und ausländische Terroristen um Ansar al-Islam dafür verantwortlich, bezeichnet die Angriffe aber als "isolierte" Vorfälle. Wieder einmal hat sich die Gruppe Jama'at al-Tawhid and Jihad, die unter der Führung von Zarkawi stehen soll, zu den Angriffen gegen "ungläubige Polizisten", Spione und das mit den Amerikanern zusammenarbeitende Militär bekannt. Damit hätte sich die Terrorgrupe erstmals an offenen Kämpfen beteiligt. Die Gruppe, die zuletzt die südkoreanische Geisel ermordet hatte, soll zu al-Qaida gehören, Zarkawi gilt als deren Chef, der bereits für viele Anschläge verantwortlich gemacht wird und von den Amerikanern schon vor dem Irak-Krieg als Verbindung zwischen dem Hussein-Regime und al-Qaida genannt wurde. Auf einem Tonband drohte eine Stimme, die Zarkawi zugerechnet wird, dem Ministerpräsidenten den Tod an.

Auch in Falludschah ist es wieder zu Kämpfen zwischen Aufständischen und US-Truppen gekommen, nachdem das US-Militär zwei Häuser bombardiert hatte, in denen sich Mitglieder von Zarkawis Gruppe aufgehalten haben sollen. Inzwischen wurde ein Waffenstillstand ausgehandelt. Das US-Militär hatte einer irakischen "Falludschah-Brigade" die Aufgabe übertragen, in der Stadt für Ordnung und Entwaffnung der Aufständischen zu sorgen. Mittlerweile scheint sich Falludschah zu einem von Mudschaheddin kontrolliertem islamistischen Stadtstaat zu entwickeln (Nach den Amerikanern kommen die Islamisten).

Immerhin scheint sich der Konflikt mit den schiitischen Milizen von al-Sadr zu entspannen, der offenbar danach strebt, seine Popularität in politische Macht umzusetzen. Er rief seine Milizen dazu auf, sich aus den Städten wie Nadschaf zurückzuziehen und erklärte am Sonntag für Bagdad einen einseitigen Waffenstillstand, weil man die Sicherheitssituation stabilisieren und nicht denen helfen will, die für Chaos vor der Machtübergabe sorgen.

Die Übergangsregierung denkt darüber nach, zumindest für manche Regionen den Ausnahmezustand zu erklären, um die Sicherheitsprobleme in den Griff zu bekommen. Der Beginn der Demokratie könnte damit aber auch schnell wieder zu Willkürmaßnahmen führen, die die Unruhen eher stärken. Offenbar wollen die Amerikaner den irakischen Polizisten und Soldaten auch nur das Tragen von leichten Waffen gewähren, aber verhindern, dass sie mit Panzern, Artillerie oder Raketen ausgestattet werden. Damit wäre die Übergangsregierung beim Kampf gegen die Aufständischen stets von den Koalitionstruppen abhängig.

Update:

Noch scheint allerdings die Mehrzahl der Iraker große Hoffnungen in die Übergangsregierung zu setzen. Nach einer von der US-Verwaltung beauftragten, von einer unabhängigen, aber aus Sicherheitsgründen nicht genannten Organisation durchgeführten Umfrage in sechs irakischen Städten sagen 68 Prozent der 1000 Befragten, sie hätten Vertrauen in die Übergangsregierung. Noch höheres Vertrauen wird mit 73 Prozent in Allawi und mit 84 Prozent in den Präsidenten Yawar gesetzt. 80 Prozent glauben oder hoffen, dass die Lage allgemein mit der neuen Regierung und nach der Machtübergabe an diese besser werden wird. Auch das Vertrauen in die neue Armee und Polizei ist so hoch.

In einer gleichfalls von der US-Verwaltung beauftragten, aber von ihr nicht veröffentlichten Umfrage im Mai klang dies auf den ersten Blick zumindest noch ganz anders (Die Befreier werden im Irak immer unerwünschter). Allerdings wurde dieses Mal offenbar nicht nach dem Verhältnis zu den Koalitionstruppen gefragt. Vergleichbar ist die Hoffnung der Menschen in eine irakische Regierung und in irakische Sicherheitskräfte. Sie könnten die Sicherheit verbessern, meinte auch schon damals die Mehrzahl der Befragten, allerdings mit dem Zusatz, dass die Koalitionstruppen, die nicht als Befreier, sondern als Besatzer verstanden wurden, möglichst schnell das Land verlassen würden. Das unterstreicht, wie wichtig es ist, dass die Menschen die Übergangsregierung tatsächlich als souverän betrachten.

George Bush hat trotz der steigenden Gewalt im Nahen Osten erklärt, dass aufgrund seiner Politiker die Welt zu einem sichereren Ort geworden sei. Ein freier Irak sei notwendig, um die Welt zum Besseren zu verändern. Dabei berief er sich in Reaktion auf eine Frage über die sinkende Zustimmung der Amerikaner zur Irak-Politik und seine sinkende Popularität, auf die Geschichte, die zeigen werde, ob seine Politik richtig gewesen sei. US-Präsident Bush hofft, auf dem Nato-Gipfel nächste Woche in Istanbul zu erreichen, dass die Nato sich im Irak engagiert.