Können Nato und Pentagon einen diplomatischen Ausweg in der Ukraine finden?
Seite 2: Biden und Johnson haben westliche Ukraine-Politik verpfuscht
- Können Nato und Pentagon einen diplomatischen Ausweg in der Ukraine finden?
- Biden und Johnson haben westliche Ukraine-Politik verpfuscht
- Auf einer Seite lesen
Während den Kriegsherren und -damen in Washington und den Nato-Hauptstädten langsam dämmert, dass es keine "militärische Lösung" gibt, fließen still und heimlich versöhnlichere Äußerungen in ihre öffentlichen Statements ein. Insbesondere ersetzen sie ihr früheres Beharren darauf, dass in der Ukraine die Grenzen von vor 2014 wiederhergestellt werden müssen – würde eine Rückgabe des gesamten Donbass und der Krim bedeuten –, durch die Aufforderung an Russland, sich nur noch auf die Positionen zurückzuziehen, die vor dem 24. Februar 2022 eingenommen wurden. Dem hatte Russland bei Verhandlungen in der Türkei bereits im März zugestimmt.
US-Außenminister Antony Blinken erklärte am 5. Dezember gegenüber dem Wall Street Journal, dass das Ziel des Krieges nun darin bestehe, "Territorium zurückzuerobern, das seit dem 24. Februar von der [Ukraine] beschlagnahmt worden ist". Das WSJ berichtete, dass "zwei europäische Diplomaten... sagten, dass [der Nationale Sicherheitsberater der USA, Jake] Sullivan dem Team von Selenskyj empfohlen habe, über realistische Forderungen und Prioritäten für die Verhandlungen nachzudenken, einschließlich eines Überdenkens des erklärten Ziels, dass die Ukraine die 2014 annektierte Krim zurückerobert."
In einem anderen Artikel zitierte das Wall Street Journal deutsche Beamte mit den Worten: "Sie halten es für unrealistisch zu erwarten, dass die russischen Truppen vollständig aus allen besetzten Gebieten abgezogen werden", während britische Beamte als Mindestgrundlage für Verhandlungen die Bereitschaft Russlands definierten, "sich auf die Positionen zurückzuziehen, die es am 23. Februar besetzt hatte."
Eine der ersten Handlungen von Rishi Sunak als britischer Premierminister Ende Oktober bestand darin, dass sein Verteidigungsminister Ben Wallace den russischen Verteidigungsminister Sergej Schoigu zum ersten Mal seit der russischen Invasion im Februar anrief. Wallace teilte Shoigu mit, dass Großbritannien eine Deeskalation des Konflikts anstrebe – eine deutliche Abkehr von der Politik der früheren Premierminister Boris Johnson und Liz Truss.
Ein wichtiger Stolperstein, der westliche Diplomaten vom Friedenstisch fernhält, ist die maximalistische Rhetorik und Verhandlungsposition von Präsident Selenskyj und der ukrainischen Regierung, die seit April darauf besteht, dass sie sich mit nichts zufrieden geben wird, was nicht die volle Souveränität über jeden Zentimeter des Territoriums beinhaltet, das die Ukraine vor 2014 besaß.
Diese maximalistische Position ist jedoch eine bemerkenswerte Abkehr von der Position, die die Ukraine bei den Waffenstillstandsgesprächen in der Türkei im März einnahm, als sie sich bereit erklärte, im Gegenzug für einen russischen Rückzug auf Positionen vor der Invasion ihre Ambitionen auf einen Nato-Beitritt aufzugeben und keine ausländischen Militärstützpunkte zu unterhalten. Bei den Gesprächen erklärte sich die Ukraine bereit, über die Zukunft des Donbass zu verhandeln und eine endgültige Entscheidung über die Zukunft der Krim um bis zu 15 Jahre zu verschieben.
Die Financial Times berichtete am 16. März über diesen 15-Punkte-Friedensplan. Selenskyj erläuterte seinem Volk in einer landesweiten Fernsehsendung am 27. März das "Neutralitätsabkommen" und versprach, es einem nationalen Referendum zu unterziehen, bevor es in Kraft treten könne.
Der britische Premierminister Boris Johnson intervenierte jedoch am 9. April und hob das Abkommen auf. Er erklärte Selenskyj, dass das Vereinigte Königreich und der "kollektive Westen" "auf lange Sicht" hinter der Ukraine stünden und sie in einem langen Krieg unterstützen würden, aber keine Vereinbarungen zwischen der Ukraine und Russland unterzeichnen würden.
Das erklärt, warum Selenskyj jetzt so beleidigt ist über westliche Vorschläge, er solle an den Verhandlungstisch zurückkehren. Der in Ungnade gefallene Johnson ist inzwischen zurückgetreten. Er lässt nun Selenskyj und das ukrainische Volk zurück, die sich beide weiter an Johnsons Versprechen hängen.
Im April letzten Jahres behauptete Johnson, er spreche im Namen des "kollektiven Westens", aber nur die Vereinigten Staaten vertraten öffentlich eine ähnliche Position, während Frankreich, Deutschland und Italien im Mai zu neuen Waffenstillstandsverhandlungen aufriefen.
Jetzt hat Johnson selbst eine Kehrtwende vollzogen und schrieb in einem Leitartikel für das Wall Street Journal am 9. Dezember nur noch, dass "die russischen Streitkräfte auf die De-facto-Grenze vom 24. Februar zurückgedrängt werden müssen".
Johnson und Biden haben die westliche Ukraine-Politik verpfuscht, indem sie sich auf eine Politik des bedingungslosen, endlosen Krieges versteift haben, die von den Militärberatern der Nato aus guten Gründen abgelehnt wird: um einen Dritten Weltkrieg zu vermeiden, den Biden selbst zu verhindern versprochen hat.
Die Staats- und Regierungschefs der USA und der Nato machen nun endlich kleine Schritte in Richtung Verhandlungen, aber die entscheidende Frage, mit der die Welt im Jahr 2023 konfrontiert sein wird, ist, ob sich die Kriegsparteien an den Verhandlungstisch setzen werden, bevor die Spirale der Eskalation katastrophal außer Kontrolle gerät.
Der Artikel erscheint in Kooperation mit dem US-Nachrichtenmedium Common Dreams. Dort findet er sich im englischen Original. Übersetzung: David Goeßmann.
Medea Benjamin ist die Mitbegründerin von CODEPINK und der Menschenrechtsgruppe Global Exchange. Seit mehr als 40 Jahren setzt sie sich für soziale Gerechtigkeit ein. Sie ist Autorin von zehn Büchern, darunter "Drone Warfare: Killing by Remote Control", "Kingdom of the Unjust: Behind the US-Saudi Connection" und "Inside Iran: The Real History and Politics of the Islamic Republic of Iran". Ihre Artikel erscheinen regelmäßig in Medien wie Znet, The Guardian, The Huffington Post, CommonDreams, Alternet und The Hill.
Nicolas J. S. Davies recherchiert für "CODEPINK: Women for Peace" und ist Buchautor, u.a. von "Blood On Our Hands: the American Invasion and Destruction of Iraq. Zusammen mit Medea Benjamin hat er gerade "War in Ukraine: Making Sense of a Senseless Conflict" veröffentlicht.