Kommentar: Eine Alternative zum versagenden Steuersystem
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Unser Steuersystem ist hochkompliziert, ungerecht, kontraproduktiv und defizitär. Höchste Zeit, über ein alternatives Steuersystem nachzudenken.
Einen aktuellen Anlass für Handlungsbedarf demonstrierte die neueste Ausgabe des ZDF Magazins Frontal21. Demnach setzt das Finanzamt München nun Planungen des Bundesfinanzministeriums um, nach denen Kunden die Digitalsteuer für Konzerne vorstrecken und eintreiben sollen. Frontal21 berichtet über Google AdWords Kunden, die Googles 15 Prozent Quellensteuer zahlen sollen, die Google eigentlich selbst auf seine Werbeumsätze zahlen müsste. Die Kunden sollen sogar rückwirkend für 7 Jahre zahlen. Anschließend sollen AdWords Kunden das versuchen, was der Bundesfinanzminister selbst könnte, aber nicht will: Die Steuer bei Google, Facebook & Co eintreiben.
Hartnäckig weigern sich Deutschlands Regierungsparteien, die Digitalkonzerne nennenswert zu besteuern. Bundesfinanzminister Olaf Scholz verhindert auf EU-Ebene die Digitalsteuer von ohnehin nur symbolischen 3 Prozent und agiert wie ein Anwalt für Google, Amazon und Facebook. Aufschlussreich ist sein lobbyistenhaftes Vokabular: Die Kritik an der Steuervermeidung der Digitalkonzerne nannte er "Dämonisierung". Apple hielt seit 2014 den Steuervermeidungs-Rekord und zahlte auf seine Auslandsprofite durch einen Deal mit Irland 0,005 Prozent Steuern.
Amazon überbot 2018 diesen Rekord und zahlte weniger als nichts. Wie t3n basierend auf aktuellen Berichten der Washington Post meldete, zahlte Amazon 2018 nicht nur keinerlei Steuern auf 11,2 Milliarden Dollar Profit - sondern erhielt aus dem hochdefizitären US Staatshaushalt sogar noch eine Steuergutschrift von 129 Millionen Dollar. Laut Institut für Steuern und Wirtschaftspolitik (ITEP) zahlte Amazon von 2009 bis 2018 durchschnittlich 3 Prozent auf seinen Gewinn - bei einen US-Körperschaftssteuersatz von 35 Prozent auf Gewinne.
Lizenz- und Quellenbesteuerung
Nun sollen also Mittelständler die Steuern bei Google eintreiben. Rechtliche Grundlage dieser neuen Art der Quellensteuer ist §50a Einkommensteuergesetz. Er sei anwendbar auf ausländische Anbieter, die in Deutschland Umsätze erzielen, aber aufgrund des ausländischen Sitzes und in Ermangelung lokaler Niederlassungen keine Steuern zahlen. Das betrifft unter anderem die aus Deutschland stammenden Einnahmen von Google und Facebook, aber konsequent zu Ende gedacht auch die Provisionen von Airbnb und Uber, Kaffee von Starbucks, Möbel von IKEA, etc. In einer sehr eigenwilligen Interpretation, was eigentlich unter einer Lizenz zu verstehen ist, könnten die Buchungen von Anzeigen, Zimmern oder Fahrten sowie der Kauf eines Bechers Kaffee wie Lizenzzahlungen behandelt werden. Anzeigenkunden und Endkunden sollen Lizenznehmern gleichgestellt werden.
Passierschein A 38 und fehlender politischer Wille
Starbucks und Ikea gehören übrigens ebenso wie Facebook, Microsoft, Apple, Google, Amazon und viele andere (auch deutsche) Konzerne zu den Unternehmen, die durch das internationale konzerninterne Lizenzgeflecht "Double Irish With a Dutch Sandwich" (vgl. Wie "geistiges Eigentum" und Steueroasen zusammenhängen) legal Steuern umgehen. IKEA Deutschland zahlt zum Beispiel an eine irische Schwestergesellschaft Lizenzkosten für die Nutzung des Namens "IKEA", um Gewinne dorthin zu verschieben. Die Schwestergesellschaft überweist das Geld weiter an eine weitere Schwestergesellschaft in den Niederlande, die das Geld wiederum an eine weitere Schwestergesellschaft in Irland überweist. So bleibt das Geld gewissermaßen in der Familie und nahezu steuerfrei.
Das neue Quellensteuer-Konzept würde konsequenterweise bedeuten: Wer bei Starbucks einen Kaffee kauft, müsste für die Nutzung von Starbucks Lizenzen Steuern ans Finanzamt zahlen und bei Starbucks im Ausland wieder eintreiben. Wer bei IKEA Möbel kauft, müsste Steuern für IKEA zahlen und sie dann an die 3 Schwestergesellschaften in Irland und in den Niederlanden wenden. Es wird die Konzerne sicherlich beeindrucken, wenn statt eines Finanzministers ein Mittelständler oder Otto Normalverbraucher durch ihr Steuervermeidungs-Labyrinth irrt.
Der Umweg über die deutschen Kunden sei laut Bundesfinanzministerium notwendig, weil der deutsche Fiskus angeblich keinen Zugriff auf die im Ausland sitzenden Plattformbetreiber habe. Steuerrechtsexperte Professor Manuel Theisen fragt dazu: "Wie soll ein Einzelunternehmer an Google herankommen, an dem sich die Finanzverwaltungen dieser Welt die Zähne ausbeißen?" Nach den Vorstellungen des Finanzamts München oder des Bundesfinanzministeriums sollen Privatkunden und kleine / mittelständische Unternehmen im weltweiter Steueroasengeflecht nach Möglichkeiten suchen, den Konzernen eine Rechnung zu stellen. Das erinnert an das "Haus, das Verrückte macht", in dem Asterix und Obelix im Film "Asterix erobert Rom" in einer Behörde den "Passierschein A 38" besorgen sollten (vgl. 50 Jahre Asterix).
Bundesfinanzminister Olaf Scholz könnte problemlos Steuern auf inländische Umsätze eintreiben - wenn er wollte. Wenn er schon bei §50 a Einkommensteuergesetz kreativ wird, könnte er auch auf Grundlage von § 162 Abgabenordnung Schätzung von Besteuerungsgrundlagen kreativ werden und eine für die Digitalkonzerne sehr schmerzhafte Steuerschätzung anwenden, wenn diese ihre Umsätze und tatsächlichen Gewinne in Deutschland nicht offenlegen. Nur fehlen ihm und Kanzlerin Merkel dazu der politische Wille.
Sein "Passierschein A 38" ist eine "europäische Lösung", die zum Warten auf Godot wird, weil Irland und die Niederlande in der EU ihr Veto einlegen. Das Handelsblatt merkte dazu an: "Mit Irland, dem europäischen Google-Sitz, hat Deutschland ein Doppelbesteuerungsabkommen geschlossen. Und das besagt, dass die Quellensteuer sofort wieder nach Irland zurückfließen müsste. Der Fiskus hätte also deutsche Mittelständler geschädigt - ohne mehr Steuern einzunehmen."
Das würde bedeuten, dass deutsche AdWords Kunden gar keine Quellensteuern von Google verlangen dürfen. Dieses Abkommen dürfte noch aus der Schäuble-Zeit stammen und wirft die Frage auf: Warum wollen Merkel, Schäuble und Scholz keine nennenswerten Steuern von US Digitalkonzernen? Das ist kein neues Abkommen, sondern ein typisches Verhalten der Merkel-Regierung, die nicht mit Angst vor Donald Trumps Drohungen eines Handelskriegs erklärt werden kann, weil dieses Abkommen und der Steuerverzicht bereits in den Amtszeiten von George W. Bush und Barack Obama praktiziert wurden.
Der angebliche Kampf Schäubles gegen die Steueroasen kam nie über ein Lippenbekenntnis hinaus. Ebenso aufschlussreich ist, dass Schäuble, Schulz und Merkel nie die von Jean-Claude Juncker installierte Steueroase Luxemburg infrage stellten, durch die zum Beispiel Amazon keine Umsatzsteuer auf Umsätze in Deutschland zahlen muss. Amazon fühlt sich auch nicht zuständig dafür, dass viele ausländische Händler auf seinem Marketplace die Steuern umgehen. Hier gäbe es eine gebotene steuerliche Haftung von Amazon für seine Händler, aber auch hier fehlt offenbar der politische Wille.
Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel will hingegen die US-Digitalkonzerne nicht nach Gewinn, sondern nach Umsatz besteuern. Warum das der beste Weg ist, werden wir in Teil 2 dieser Artikelserie sehen.
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