Kritik an SPD: Freier Weg in den Überwachungsstaat?
Mit Vorratsdatenspeicherung und biometrischer Überwachung bricht die SPD den Koalitionsvertrag. Kritik aus allen Lagern. Ebnet die Partei den Weg in den Überwachungsstaat?
Die Debatte um die innere Sicherheit in Deutschland scheint sich zu verschärfen. Nach den Grünen im Bundestag fordert nun auch die SPD-Fraktion eine "Zeitenwende in der inneren Sicherheit", um die "wehrhafte Demokratie" zu stärken. Das geht aus einem Positionspapier hervor, das die Fraktion auf ihrer Klausurtagung erarbeitet hat.
Damit stimmt die SPD nicht nur in einen Chor aus dem Lager ihres ehemaligen GroKo-Partners CDU ein, sondern beschreitet auch einen Weg, der ins Autoritäre führt.
Unter anderem als Reaktion auf die sich offenbar häufenden Vorfälle islamistisch motivierter Straftaten, aber auch als Reaktion auf die "größte Gefahr" des Rechtsextremismus fordert die SPD-Fraktion eine umfassende Überwachung zur Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus.
Im Mittelpunkt steht dabei die Forderung nach einer verpflichtenden Speicherung von IP-Adressen, die einst als "Vorratsdatenspeicherung" liberale Gemüter erregte. Der Watchblog netzpolitik.org ist nicht nur deshalb alarmiert: Denn die Maßnahmen widersprechen auch dem Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung.
SPD-Fraktion für "ergebnisoffene" Prüfung
Die SPD-Fraktion spricht sich in ihrem Papier für eine "ergebnisoffene" Prüfung einer "verhältnismäßigen und den Vorgaben des EuGH entsprechenden" Speicherung von IP-Adressen aus. Sie argumentiert, dass man sich nicht auf das freiwillige Speicherverhalten privater Telekommunikationsunternehmen verlassen könne.
Die Speicherung müsse "verhältnismäßig sein und den Vorgaben des EuGH entsprechen". Damit verabschiedet sich die SPD-Fraktion von der bisherigen Linie des Koalitionsvertrages, wie netzpolitik.org lakonisch anmerkt:
Im Koalitionsvertrag hatten die Ampel-Parteien beschlossen, Daten nur "anlassbezogen und auf richterlichen Beschluss" zu speichern. Die SPD-Abgeordneten wollen nun Daten anlasslos und ohne richterlichen Beschluss speichern. netzpolitik.org (Links im Original)
Der Konflikt erscheint umso brisanter vor dem Hintergrund, dass FDP-Justizminister Marco Buschmann und SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz bereits einen Gesetzentwurf zur Umsetzung des Koalitionsvertrages erarbeitet haben, dieser jedoch von SPD-Innenministerin Nancy Faeser blockiert wird.
Neben der Vorratsdatenspeicherung setzt die SPD-Fraktion auf verstärkte Videoüberwachung und biometrische Identifikation an Kriminalitätsschwerpunkten und bei großen Menschenansammlungen. Auch die Unterstützung durch biometrische Identifikation soll technisch und rechtlich geprüft werden.
Widerspruch zum Koalitionsvertrag
Dies steht laut netzpolitik.org auch im Widerspruch zum Koalitionsvertrag, in dem sich die Ampelparteien gegen den "Einsatz biometrischer Erfassung zu Überwachungszwecken" aussprechen.
Breiten Raum nimmt in dem Positionspapier auch die Forderung nach digitalen Überwachungsstrategien, insbesondere der Kommunikation in sozialen Netzwerken, ein. Zur Bekämpfung von "Desinformation", "hybriden Bedrohungen durch fremde Mächte und illiberale Kräfte" soll eine "Task Force zur wehrhaften Demokratie im digitalen Zeitalter" eingerichtet werden, um Plattformen weitergehend und systemisch zu regulieren, Medien- und Quellenkompetenz zu schulen und zur Durchsetzung des bestehenden europäischen Rechts Qualitätsjournalismus und öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu fördern sowie Desinformationskampagnen aus dem In- und Ausland zu erkennen und zu bekämpfen". Aus dem SPD-Positionspapier.
Weitere Punkte aus dem Maßnahmenkatalog der SPD lauten wie folgt und gehen zum Teil erkennbar über rein sicherheitspolitische Maßnahmen hinaus:
- sicheres und vertrauenswürdiges Internet
- eine "Firewall" zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor extremistischen Einflüssen
- eine Task-Force zur wehrhaften Demokratie im digitalen Zeitalter
- Eine gesetzliche Befugnis für das BSI (Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, Anm. d. Red.) zum Schwachstellen-Scanning
- Maßnahmen gegen anonyme Accounts und Stalking mit GPS-Trackern
- eine Reform der Schuldenregel zur besseren Finanzierung der inneren Sicherheit
- eine bessere personelle und technische Ausstattung der Polizei
- ein Recht auf Vermögensabschöpfung außerhalb des Strafrechts
- erweiterte Befugnisse über Finanzströme, Konten und Kontoinhaber
- einen periodischen Sicherheitsbericht
- eine Bundesakademie für Kriminalprävention und Kriminalwissenschaften
- ein KRITIS-Gesetz (Kritische Infrastrukturen, d. Verf.) und ein NIS-2-Umsetzungsgesetz (Netz- und Informationssicherheit, d. Verf.)
- ein Demokratieförderungsgesetz
- die konsequente Durchsetzung von DSA (Digital Services Act, d. Verf.), DMA (Digital
- Market Act, d. Verf.) und AI-Act
- die Unabhängigkeit des BSI
Vorstöße in Richtung Behörden – und mutmaßlich rechtswidrig In jüngster Zeit häufen sich Vorstöße für sicherheitspolitische Maßnahmen, die dem traditionellen Verständnis einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft widersprechen und ins Autoritäre abgleiten.
Pläne für Gesichtserkennung
Anfang August berichteten deutsche Medien über Pläne des Bundesinnenministeriums (BMI), dem Bundeskriminalamt (BKA) und der Bundespolizei künftig Programme zur Gesichtserkennung zur Verfügung zu stellen. Ein entsprechender Gesetzentwurf von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sieht vor, dass Ermittler Internetvideos von IS-Mitgliedern mit Bildern aus sozialen Netzwerken abgleichen können. Die geplante Gesetzesänderung muss noch von Kabinett und Bundestag beschlossen werden.
In Bayern setzt Innenminister Joachim Herrmann (CSU) auf Live-Gesichtserkennung im öffentlichen Raum. Er will die bereits installierten Kameras an öffentlichen Plätzen wie Bahnhöfen verstärkt einsetzen und die Aufnahmen mithilfe von KI auswerten. Dies stieß auf Bedenken des bayerischen Datenschutzbeauftragten Thomas Petri, der die Live-Gesichtserkennung als "schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte aller Menschen" bezeichnete.
Gesichtserkennung der Berliner Polizei mutmaßlich rechtswidrig Wie die taz berichtete, setzt die Berliner Polizei seit Kurzem eine KI-basierte Gesichtserkennungssoftware bei ihren Ermittlungen ein. In sechs Fällen kam das Programm bereits zum Einsatz, wie eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten Vasili Franco an den Berliner Senat ergab. Franco kritisierte die lückenhafte Auskunft des Senats und vermutet, dass die Berliner Staatsanwaltschaft möglicherweise rechtswidrige biometrische Massenabgleiche durchgeführt hat.
Die Software half der Berliner Polizei unter anderem bei der Festnahme der ehemaligen RAF-Angehörigen Daniela Klette, die zuvor von einem Podcast-Team aufgespürt worden war (siehe Telepolis-Bericht: Überwachungsstaat Deutschland? Die RAF, Klette und die Zukunft der Privatsphäre).
Tatsächlich hat die Europäische Union dem Einsatz der Live-Gesichtserkennung enge Grenzen gesetzt. So darf die Software nur zur Aufklärung und Verhinderung schwerer Straftaten und auf richterliche Anordnung eingesetzt werden. Digitale Bürgerrechtler hatten jedoch bereits unmittelbar nach der Verabschiedung des entsprechenden KI-Gesetzes (AI Act) der EU auf zweifelhafte "Hintertüren für biometrische Überwachung" hingewiesen.