Kunstradio feiert Jubiläum

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RECYCLING THE FUTURE: ON AIR ON LINE ON SITE, 4.- 7. Dezember, Radiokulturhaus Wien

"Recycling The Future", dem Festival anläßlich des zehnjährigen Jubiläums der Sendung "Kunstradio-Radiokunst" von ORF, Ö1 in Österreich gelang, getreu dem Anliegen des Programms, wieder einmal eine gelungene Verbindung von (akustischer) Kunst mit neuen und alten Technologien. Seit 10 Jahren wird mit diesem wöchentlichen Programm das Radio selbst zum experimentellen Medium und nicht bloß zur Abspielstation von Konserven. Einen internationalen Bekanntheitsschub erlebte Kunstradio, als es als eine der ersten Stationen weltweit Webcasting zur Ergänzung und Bereicherung seiner Radiosendungen kreativ einzusetzen wußte. Diese hybride Medienmischung, die im eigentlich stockkonservativem und zunehmend kommerzialisiertem Österreichischen Rundfunk wie ein exotisches Juwel erscheint, geht auf das Konto einer Frau, Heidi Grundmann. Als Grand Dame der österreichischen Medienkunstszene versteht sie es immer wieder, internationale kreative Partnerschaften zur Realisierung von Medienexperimenten herzustellen, und dafür auch Räume in den Massenmedien zu öffnen und Mittel in Bewegung zu setzen.

RECYCLING THE FUTURE: ON AIR ON LINE ON SITE

thing.at/orfkunstradio

Das Konzept für die Jubiläumsveranstaltung Recycling The Future kann auch als Hybridmedienereignis beschrieben werden, das Realraum, Realaudio und Radio- und Webraum verband. Es war ein Einblick in die Produktionspraxis von interdisziplinären Entwicklungen, von Audioprojekten und Arbeitsmethoden von Künstlern im Umgang mit angewandter Technologie.

Das Ereignis entstand als Kollaboration des Kunstradio-Radiokunst Programms und dem AEC, Ars Electronica Center Linz. Es erscheint als neue Stufe der Zusammenarbeit zwischen AEC und ORF, dem Östereichischen Rundfunk. Beide Institutionen stehen ohnehin in enger Verbindung und haben gemeinsame Strukturen. Der Austausch von KnowHow und das wechselseitige Nahverhältnis werden nun deutlich.

Von 4.- 7. Dezember fand im ehemaligen Funkhaus in Wien, das jetzt Radio Kulturhaus heisst, das Jubiläumsevent zum 10-jährigen Bestehen der wöchentlichen Sendung Kunstradio im Österreichischen Rundfunk auf dem Kultursender Ö1 statt. Bei dieser Sendung handelt es sich aber mitnichten nur um eine Radiokultursendung. Die von Heidi Grundmann gestartete und getragene Sendung diente die letzten zehn Jahre als Plattform transnationaler und transdisziplinärer akustischer Medienexperimente.

KUNSTRADIO-RADIOKUNST- MEDIAKUNST

"Kunstradio" war der erste autonome Raum für experimentelle akustische Signale in der monopolistischen Rundfunklandschaft Österreichs, wo es bis 1997 nur den staatlichen Rundfunk mit seinen 4 Radioprogrammen gab. Die wöchentliche Sendung ist und war eine Ausnahme im Rundfunk und hat nicht nur lokale Bedeutung.

1987 setzte Heidi Grundmann die innovative Idee durch, erstmals nicht nur über Kunst im Radio zu berichten, sondern Künstler nützten die Sendezeit direkt, das Medium selbst wurde von Künstlern als Kunstmittel definiert. Konzeptuelle Offenheit zeigte sich auch über die Jahre in intensiven Kontakten zur internationalen Medienkunstszene oder auch zur zwischen 1990-92 erblühten Piratenradioszene in Wien.

Beim "Recycling" Symposion traf sich nun die Kunstradiofamilie. Gäste aus Deutschland, Kanada, Italien, Russland, Niederlanden und Australien haben bei Kunstradio On Air Tradition und waren Teilnehmer am Event. Der in Wien lebende kanadische Medienkünstler und Kommunikationspionier Robert Adrian X, der von Anfang an Kunstradio mitprägte, brachte das Programm auch online. Die Webpage war die erste des ORF und lange vor Ö1 und dem gesamten ORF im Web.

Langjährige Kollegen und Kunstradiokontributoren wie G.X. Juppiter-Larson aus San Francisco oder Sergio Messina aus Mailand waren natürlich auch beim Recyclen dabei. Und nicht zu vergessen der frühere Kunstradiokünstler Gerfried Stocker, der heute künstlerischer Leiter des Ars Electronica Festivals Linz und des Ars Electronica Centers ist.

Der persönliche Kontakt und die gemeinsame Geschichte der Recycling Teilnehmer wurde insbesondere beim Online-Teil des Events deutlich. In der Technik- und Servernische des Kunstradios tummelten sich AEC Future Lab Boys & Girls und arbeiteten mit Bob Adrian an den Updates der Live Realaudio Streams der Vorträge des Symposions.

In der Abschlussdiskussion zur Veranstaltung wurde letztlich auch erwähnt, dass all diese Aktivitäten personengebunden, dank des persönlichen Engagements und Weitblicks einer Frau realisiert werden konnten. Niemand weiss bislang, was nach der Ära Grundmann im Bereich des Kunstradios geschehen soll und was nun angesichts der Privatisierung der Medienlandschaft im Radioland Austria überhaupt noch bestehen bleiben wird. Bislang hat sich keine Nachfolgerin für Heidi Grundmann, die Grand Dame der Medienkunstszene Österreichs, gefunden.

ON AIR ON LINE SYMPOSION

Marie-Louise Angerer

Während drei Tagen fand im Funkhaus und im Web auch eine Konferenz zu Radiokunst, der Wiederentdeckung eines Mediums, zur "Art of Noise" und mit dem Titel "When Technology Reshapes the Subject" zur Reformulierung der Identität und des Selbst im technologischen Kontext statt.

Eine "Cheftheoretikerin" der Kunstradiofamilie beim Symposion ist sicher die früherer Mitarbeiterin Marie-Louise Angerer. Sie lehrt nun Medientheorie und publiziert im Bereich der neuen und alten Medien und feministischer Theorie. Sie sprach beim Symposion über Zusammenhänge und Bedingungen der von Donna Haraway eingesetzten Cyborg Metapher und der an sie geknüpften Träume und Vorstellungen.

Marie-Louise Angerers feministische Lesart dieses Themas im Bezug auf die Überlegungen zum digitalen Dataset und zum Bild des Cyborgs als Metapher für technologische Körperveränderungen und Identitätskonstruktion gab Grund zur Diskussion.

Angerer diskutierte die neuen Medien im Hinblick auf die totale Konvergenz aller Medien und Kommunikationsordnungen. Parallel dazu besteht die Vermischung von Natur und Maschinenwelt in Biotechnologien, die im Bild des Cyborgs gipfelt. Interessanterweise entstand dieser Begriff, wie Angerer ausführt, im Umfeld der ersten Raumfahrtprogramme. Der Cyborg kann als Metapher hybrider Identitäten dienen und in der Organisation einer Vielzahl von Geschlechtern und Wahrheiten ebenso wie dem Verständnis eines dezentrierten Subjekts in der Netzkultur hilfreich sein. Der Cyborg kann entweder als eskapisitsche Fantasie oder als Verkörperung von poststrukturalistischen philosophischen "Entkörperungsideen" gesehen werden.

Friedrich Kittler

Angerer wurde vom deutschen Medientheoretiker Friedrich Kittler vorgeworfen, dass sie Cyborg- Mythologien und Eskapismus in elektronisch digitale Welten predige. Dabei dürfte Kittler aber Methode und Inhalt gleichgesetzt oder sogar verwechselt haben. Angerer benutzte das Bild des Cyborgs aber durchaus kritisch als mentales Modell zur Erklärung von Geschlechterrollen und sozialen Beziehungen in der elektronischen Kultur. Angerer setzt die Metapher des Harawayschen Cyborgs auch in Beziehung zur psychologischen Dimension des Ichs, indem sie sich auf Spinoza bezieht.

Zum Begriff "Cyberfeminismus" meint Angerer eigentlich nur, dass alte Rhetoriken angewandt werden ohne auf neuen Kontextualität von sozialen und technologischen Bedingungen der Frau als InBetween-Wesen Rücksicht zu nehmen.

ON SITE PERFORMANCE

Einige akustische Aufführungen vor Ort zur Übertragung im Radio und in Real Audio umrahmten das Programm des Festivals.

Helene Thorington konnte nicht ganz mit ihrer VRML Performance ADRIFT von den Echtzeit-Netzqualitäten dieses 3D Netzstandards überzeugen. Übermächtig erschien ein eigenartiges Schwergewicht auf frühe Videoästhetik in Rot Grün, Blau. Die Projektionsfläche war zwischen einem IRC, InternetRelaisChat Textfeld und einem VRML-Fenster gespalten. Der Bruch zum IRC Kommunikationstext auf der zweiten Hälfte des Performance Bildschirms hat vielleicht auch technische Gründe gehabt. Text ist aufgrund der Polygondarstellung in VRML Anwendungen einfach nicht schnell genug darstellbar. Aber auch der IRL (In Real Life) performende Saxophon Spieler wirkte nicht direkt "connected".

Loibner/Sherman

Im Gegensatz dazu war die Performance BLANKING von Bernhard Loibner am Soundcomputer und Tom Sherman.am Mikro einfach als akustisches Erlebnis gelungen.