Kursk: Die Schattenfront, die den Ukraine-Krieg nicht entscheidet

Kiew bindet wertvolle Ressourcen in einer unsicheren Offensive, während im Donbass der Zusammenbruch droht. Eine Einschätzung.

Russischen Truppen ist es augenscheinlich bisher nicht gelungen, eine stabile Front in der Region Kursk zu etablieren. Wie der dänische Militäranalyst und Mapper Webunion berichtet, gelang es ukrainischen Angriffstruppen am vergangenen Dienstag, fast 20 Kilometer in Richtung des Atomkraftwerkes Kursk vorzustoßen. Dieses befindet sich jetzt nur rund 30 Kilometer Luftlinie von den gemeldeten ukrainischen Spitzen entfernt.

Schnelle Vorstöße: Die Taktik der ukrainischen Spezialeinheiten

Es ist wichtig zu betonen, dass es sich bei diesen ukrainischen Kräften um hoch spezialisierte Sabotage- und Aufklärungsgruppen (DRG) handelt. Diese kleinen, hochmobilen Einheiten operieren in Zugstärke und sind darauf ausgerichtet, durch schnelle Vorstöße Verwirrung in den gegnerischen Reihen zu stiften und möglicherweise unkoordinierte Rückzüge zu provozieren.

Ihre Taktik basiert auf raschen Bewegungen und dem Ziel, tief in feindliches Gebiet einzudringen. Bei Widerstand teilen sie sich auf, um diesen zu binden und gleichzeitig weiter vorzurücken.

Diese Taktik zielt nicht primär darauf ab, das durchquerte Terrain dauerhaft zu kontrollieren. Die DRG-Einheiten bleiben in ständiger Bewegung, ohne Besatzungstruppen oder feste Verteidigungsstellungen zu etablieren.

Folglich muss das von ihnen durchdrungene Gebiet als eine Art Niemandsland betrachtet werden, das weder unter russischer noch unter ukrainischer Kontrolle steht. Man könnte diese DRG-Truppen als hochgerüstete Aufklärungseinheiten charakterisieren.

Ziel: Atomkraftwerk Kursk

Der Vorstoß in Richtung des Atomkraftwerkes Kursk könnte als Indiz dafür gewertet werden, dass dessen Einnahme möglicherweise tatsächlich das Hauptziel der ukrainischen Kursk-Offensive darstellt, wie bereits zuvor hier vermutet wurde.

Im südlichen Teil des Kursker Bogens konnten ukrainische Einheiten bis nach Kamyshnoe vordringen, was die Reichweite ihrer Operation unterstreicht.

Russland reagiert mit Verteidigungsmaßnahmen

Als Reaktion auf diese Entwicklungen ergreift die russische Führung nun Verteidigungsmaßnahmen. Laut Berichten zweier Telegram-Kanäle, die sich auf Satellitenaufnahmen stützen, werden sowohl Schützengräben ausgehoben als auch Panzersperren entlang der Autobahn E38 errichtet. Diese Maßnahmen deuten auf den Versuch hin, eine stabilere Verteidigungslinie zu etablieren.

Für die ukrainische Seite stellen sich die hohen Materialverluste als problematisch dar. Insbesondere die russische Lancet-Drohne erweist sich als äußerst effektives Instrument, das in der Lage ist, dutzende gepanzerte ukrainische Fahrzeuge auszuschalten.

Zudem scheint die russische Luftwaffe in der Region sehr präsent zu sein, wobei es der ukrainischen Armee offenbar nicht gelingt, den Kursker Luftraum effektiv gegen russische Flugaktivitäten abzuschirmen. Bemerkenswert und zugleich rätselhaft ist das Fehlen von Videomaterial, das die Zerstörung russischer Panzerfahrzeuge belegen würde.

Die Ziele der ukrainischen Offensive

Auch die Ziele der ukrainischen Offensive bleiben rätselhaft. In einem Artikel der New York Times sehen Analysten zwei Hauptziele der ukrainischen Offensive. Einerseits soll sie russische Streitkräfte von den Frontlinien in der Ostukraine abziehen. Zum anderen könnte das eroberte Gebiet als Verhandlungsmasse für zukünftige Friedensgespräche dienen.

Nicht zuletzt könnte die Offensive einen dringend benötigten Motivationsschub für die ukrainische Bevölkerung liefern, deren Streitkräfte in den letzten Monaten Gebiete an Russland verloren haben.

Allerdings stellen die Militäranalysten in der New York Times die Frage, ob dieses riskante Manöver angesichts der bereits angespannten Lage an den Frontlinien in der Ukraine sinnvoll ist.

Bislang gebe es nämlich wenig Anzeichen dafür, dass Russland tatsächlich Truppen von der Ostfront abzieht, um auf den Einfall zu reagieren. Stattdessen scheint Moskau vorwiegend Reserve-Einheiten in die Region Kursk zu verlegen.

Die weitere Entwicklung bleibe ungewiss, so die von der Zeitung zitierten Experten, da unklar sei, ob die Ukraine das eroberte Gebiet halten oder sich zurückziehen wird.

Ukrainische Truppen beginnen mit dem Ausheben von Schützengräben in Kursk

Forbes berichtete am Sonntag, dass es allerdings zunehmend Anzeichen dafür gebe, wonach die Ukraine ihre Offensive in der russischen Oblast Kursk zu verstetigen plant.

Denn das ukrainische Invasionskorps, bestehend aus bis zu fünf Brigaden mit je 2.000 Soldaten sowie mindestens einem unabhängigen Bataillon von 400 Mann, hat laut dem US-Magazin damit begonnen, Verteidigungsstellungen zu errichten.

Der russische Militärkorrespondent Aleksandr Kharchenko beobachtete am Sonntag ukrainische Streitkräfte beim Ausheben von Schützengräben in Kursk. Er bezeichnete dies als "das Schlimmste, was passieren kann", da es die Rückeroberung des Gebiets erheblich erschweren würde. Auf beiden Seiten der Frontlinie wurden industrielle Bagger gesichtet, was auf umfangreiche Befestigungsarbeiten hindeutet.

Eine längerfristige ukrainische Besetzung eines Teils von Kursk würde nun realistisch erscheinen, schließt Forbes weiter:

Wenn und sobald er sich stabilisiert, könnte der Kursker Bogen zu einer weiteren wichtigen Front in Russlands 29 Monate andauerndem Krieg gegen die Ukraine werden.

Die Ukrainer haben bereits potenziell mehr als 10.000 Soldaten in Kursk und der angrenzenden ukrainischen Oblast Sumy stationiert. Und nach Angaben des ukrainischen Zentrums für Verteidigungsstrategien versucht Russlands nördlicher Truppenverband, 10 bis 11 Bataillone an die Front zu verlegen - insgesamt vielleicht 4.000 Mann.

Forbes

Ein Bericht des Wall Street Journal vom Montag sieht die ukrainische Führung trotz der frühen Erfolge vor einem Dilemma.

Es bleibe fraglich, ob weitere Gebietsgewinne den Einsatz zusätzlicher Truppen und militärischer Ausrüstung rechtfertigen, die dringend an der Ostfront in der Ukraine benötigt werden, wo Kiews Streitkräfte Mühe haben, russische Vorstöße einzudämmen.

Man verweist auf das Risiko, dass die Operation in Kursk erhebliche ukrainische Ressourcen bindet, die an anderen Fronten dringender benötigt werden könnten, wo russische Truppen trotz langsamen Vormarschs die Oberhand behalten.

Die Lage im Donbass

Während die Aufmerksamkeit auf die Offensive in Kursk gerichtet ist, verschärft sich die Lage für die Ukraine im Donbass zusehends. In Niu-York verzeichnen die russischen Streitkräfte bedeutende Fortschritte, wobei ihnen die Einnahme des Stadtzentrums gelungen ist. Laut Angaben von Suriyakmaps stehen nunmehr etwa 75 Prozent des Stadtgebietes unter russischer Kontrolle.

Besonders kritisch gestaltet sich die militärische Situation im Sektor Pokrowsk. Hier konnten russische Einheiten entlang der Eisenbahnstrecke vorrücken und weitere Ortschaften einnehmen. Im Städtchen Hrodiwka, das Pokrowsk vorgelagert ist, haben sich russische Kräfte im südöstlichsten Bereich festgesetzt und setzen ihren Vormarsch fort.

Die mögliche Einnahme der Agglomeration Pokrowsk, die sich mittlerweile in nur noch etwa 8 Kilometer Entfernung zur Frontlinie befindet, könnte für die ukrainische Verteidigung beispiellose und verheerende Folgen haben.

Pokrowsk ist nicht nur der bei Weitem bedeutendste logistische Knotenpunkt im Donbass, sondern markiert auch die letzte Verteidigungslinie der Ukraine in diesem Gebiet. Ein Fall der Stadt würde der russischen Armee ermöglichen, ihren Durchbruch zu erweitern und tiefer in ukrainisches Territorium vorzudringen, ohne auf nennenswerte Verteidigungsstellungen zu stoßen.

Zugespitzt formuliert: Der Verlust von Pokrowsk könnte den Zusammenbruch der ukrainischen Front im Donbass zur Folge haben.

Ein Akt der Verzweiflung?

Eine nüchterne Analyse der aktuellen Lage deutet darauf hin, dass die jüngste Offensive der Ukraine in der russischen Region Kursk weniger einen strategischen Durchbruch als vielmehr einen Akt der Verzweiflung darstellt.

Das Szenario erinnert an die Ardennenoffensive von 1944 – ein letzter, gewagter Vorstoß in einer zunehmend aussichtslosen Situation.

Trotz der schnellen Gebietsgewinne in den dünn besiedelten Grenzregionen lässt sich argumentieren, dass die Operation keinen nachhaltigen militärischen Vorteil verschafft. Es erscheint plausibel, dass sie in erster Linie darauf abzielt, die Moral der ukrainischen Truppen zu heben und dem Westen die fortbestehende Kampfbereitschaft zu demonstrieren.

Man kann die These aufstellen, dass diese Offensive wertvolle ukrainische Ressourcen bindet, die an der sich dramatisch verschlechternden Front im Donbass dringend benötigt werden. Sollten die russischen Streitkräfte dort tatsächlich ungehindert vorrücken, wäre es denkbar, dass die Ukraine gezwungen sein könnte, den Vorstoß in Kursk abzubrechen, um Reserven in den Donbass zu verlegen.

Die offensichtliche Ineffektivität westlicher Waffensysteme und Hilfsmaßnahmen überrascht und schränkt die militärischen Optionen der Ukraine weiter ein. Es ist keine allzu gewagte Spekulation, wenn man davon ausgeht, dass die realistischen Chancen für einen militärischen Sieg der Ukraine stark geschwunden sind und ihre Verhandlungsposition gegenüber Russland stetig schwächer wird.

Insgesamt lässt sich der Schluss ziehen, dass die Chance für ernsthafte Friedensverhandlungen möglicherweise verpasst wurde und sich die Ukraine mit großen Schritten einer Situation nähert, in der eine bedingungslose Kapitulation als einzig verbleibende Option erscheint.