Kurz vor IGH-Entscheid: Völkerrechtler sieht Merkmale von Apartheid in der Westbank
Zwei von drei Merkmalen für Apartheid seien juristisch gegeben. Experte betont schwierigen Nachweis. Drei Verfahren vor UNO-Gericht. Spannung in Berlin.
Kurz vor einer mit Spannung erwarteten Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs zur deutschen Unterstützung für Israel im laufenden Gaza-Krieg hat der Straf- und Völkerrechtler Kai Ambos Anzeichen von Apartheid ausgemacht; er bezog sich damit auf eine Untersuchung der Lage in der Westbank.
Dennoch sei es schwer, Israel dieses schwerwiegende Delikt gerichtsfest nachzuweisen, sagte Ambos in der ersten Ausgabe des neuen Telepolis-Podcasts, der auch über die Streamingdienste Spotify, Audible sowie Youtube frei verfügbar ist.
Laut Ambos ist der Begriff "Apartheid" oft politisch und populistisch verformt. Er betont, dass sein Interesse nicht in der Politisierung des Begriffs liegt, sondern in dessen rechtlicher Bedeutung.
Die Apartheid-Konvention von 1973 und das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs definieren Apartheid als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ambos versucht, die Voraussetzungen dieses Begriffs auf die Situation im Westjordanland anzuwenden. Dies sei ein komplexer Prozess.
Antisemitismus und berechtigte Kritik
Der Jurist erkennt die Gefahr, dass der Apartheid-Vorwurf gegen Israel von Antisemiten instrumentalisiert werden könnte. Er unterscheidet jedoch zwischen Antisemitismus und berechtigter Kritik an der Politik Israels.
Im Telepolis-Podcast definiert er Antisemitismus als Kritik an Juden, weil sie Juden sind, und grenzt dies von Kritik ab, die auf völkerrechtlichen oder menschenrechtlichen Maßstäben basiert.
Die Sicht israelischer Wissenschaftler
Ambos betont, dass er engen Kontakt zu israelischen Wissenschaftlern hat und seine Untersuchung mit ihnen diskutiert hat. Er stellt fest, dass liberale Kollegen, die kritisch gegenüber der israelischen Regierung stehen, den Apartheid-Vorwurf ernst nehmen und versuchen, sich inhaltlich damit auseinanderzusetzen.
Merkmale von Apartheid
Der Völkerrechtsexperte definiert Apartheid als eine besondere Form der Rassendiskriminierung, die durch drei Merkmale gekennzeichnet ist:
1. unmenschliche Handlungen, die
2. im Rahmen eines institutionalisierten Unterdrückungssystems von einer rassischen Gruppe über eine andere stattfinden, und
3. das Handeln des Staates oder des Kollektivs, das diese Maßnahmen durchführt, um dieses Unterdrückungssystem aufrechtzuerhalten.
Anwendung auf die Situation im Westjordanland
Bei der Anwendung dieser Kriterien auf die Situation im Westjordanland kommt Ambos zu dem Schluss, dass die ersten beiden Merkmale vorliegen. Er sieht die willkürlichen Festnahmen und die Einschränkung der Bewegungsfreiheit der palästinensischen Bevölkerung sowie die diskriminierende Gesetzgebung und Praxis im Westjordanland als Beispiele für unmenschliche Handlungen.
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Er stellt zudem fest, dass das Besatzungsregime Elemente eines institutionalisierten Unterdrückungssystems aufweist. Schwieriger ist es laut Prof. Ambos, das subjektive Element der Apartheid nachzuweisen.
Die Frage, ob die Situation in den palästinensischen Gebieten als Apartheid bezeichnet werden kann, war Gegenstand der ersten Ausgabe des neuen Telepolis-Podcasts. Dabei stellte sich Ambos den Fragen des Journalisten Dietmar Ringel.
Völkerrechtliche Verfahren gegen Israel
Ambos erklärt im Telepolis-Podcast, dass derzeit drei Verfahren mit Bezug zu Israel angängig sind. Das Hauptverfahren, das die meiste Öffentlichkeit erregt hat, ist das Verfahren Südafrika gegen Israel. Südafrika wirft Israel einen Genozid vor, wegen des Gaza-Krieges.
In diesem Zusammenhang hat auch Nicaragua Deutschland verklagt. Grund ist in erster Linie die Unterstützung Israels durch Deutschland. Nicaragua wirft der Bundesregierung in der Anklageschrift auch die Suspendierung der Zahlung an die UNRWA, die UN-Organisation für palästinensische Flüchtlinge, vor. Damit leiste Deutschland Beihilfe zu einem Genozid zu leisten. Auch komme Berlins seinen Verpflichtungen aus dem humanitären Völkerrecht nicht nach.
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Das dritte Verfahren ist ein Gutachtenverfahren, in dem es allgemein um die Praxis und Politik in den besetzten Gebieten geht und dabei kommt natürlich auch der Apartheid-Vorwurf zum Tragen.
Mögliche Konsequenzen für Israel
Die Frage nach den Konsequenzen, sollte Israel für schuldig befunden werden, Völkerrecht zu verletzen oder Apartheid-Methoden anzuwenden, steht im Raum. Ambos betont, dass es an den Staaten liegt, eine Erfüllung solcher Verpflichtungen durchzusetzen. Wenn die USA, als einer der Hauptunterstützer Israels, ihre Waffenlieferungen einstellen würden, wäre das eine Sanktion.
Die Rolle der Staaten
Ambos argumentiert, dass die Staaten die Verantwortung tragen, Sanktionen gegen einen Staat zu verhängen, der das Völkerrecht verletzt. Wenn beispielsweise Deutschland und die USA überzeugt sind, dass Israel das Völkerrecht verletzt, sollten sie Israel sanktionieren, wie sie es auch mit Russland wegen des Ukraine-Kriegs getan haben.
Professor Kai Ambos ist Straf- und Völkerrechtler an der Universität Göttingen. Sein Buch "Apartheid in Palästina?" ist im Westend-Verlag, Frankfurt am Main, erschienen.