"Lawrows Posten ist aktuell wie ein Erschießungskommando"

Seite 2: Europas Wirtschaft wird "ohne russisches Gas nicht auskommen"

Soll sich die europäische Politik für ein komplettes Energieembargo verhängen?

Alfred Koch: Das ist in den nächsten beiden Jahren noch eine Utopie. Die europäische Wirtschaft, das europäische Gassystem werden ohne russisches Gas nicht auskommen, es gibt keinen echten Ersatz dafür. Es geht hier nicht darum, dass die Europäer mehr für Benzin zahlen oder gar im Winter nicht heizen können.

Das Problem ist, dass Gas nicht nur zum Heizen verwendet wird, sondern auch für die Industrie, vor allem die chemische Industrie. Ein abrupter Stopp der russischen Gaslieferungen würde ganze Industriezweige stilllegen und zu massiver Arbeitslosigkeit führen. Das wäre nicht nur ein Problem des Lebensstandards, sondern eine tiefe Wirtschaftskrise für Deutschland.

Im Prinzip befindet sich Russland nicht nur mit der Ukraine im Krieg, sondern bereits mit der gesamten Nato, die Kiew Waffen liefert und es finanziell unterstützt. Ohne diese Hilfe hätte die Ukraine keinen Monat überlebt. Sogar bei Bidens 40-Milliarden-Dollar-Gesetz für die Ukraine besteht die Hälfte aus Wirtschaftshilfe. Wenn also der ganze Westen gegen Russland kämpft, warum soll er sich da selbst schwächen?

Aber Putin wird Gaseinnahmen ja für die Bewaffnung seiner Armee verwenden?

Alfred Koch: Wissen Sie, wie viel Geld aktuell durch den Export von Energierohstoffen hereinkommt? Nach kürzlich veröffentlichten Statistiken des russischen Wirtschaftsministeriums hat das Land im April diesen Jahres bereits 18 % weniger aus dem Verkauf von Öl und Fas eingenommen, als im Vorjahr. Was ist das Geheimnis der Stabilität der russischen Wirtschaft?

Warum gibt es keine Streiks oder riesige Schlangen vor den Geschäften, die manche zum Kriegsbeginn prognostiziert haben? Das war ja in den 1990er-Jahren anders, als Bergleute massiv streikten. Aber damals war Demokratie. Die Leute wussten, sie können auf die Straße gehen und ihnen wird nichts passieren. Jetzt aber bekommen sie einen Knüppel auf den Kopf oder verlieren ihren Job.

Sind deshalb Massenproteste in Zukunft ausgeschlossen?

Alfred Koch: Sie sind es nach meiner Meinung.

Würden die Menschen auch schweigen, wenn die Nahrung knapp würde?

Alfred Koch: Ja, sie werden selbst dann schweigen. Vielleicht würden sie anfangen, Kartoffeln anzubauen und wieder mehr Gläser mit Gurken und Tomaten einzumachen. Aber nicht zu protestieren.

"Es gibt keinen Aufruhr von innen, keine Verschwörung"

Ist dann der einzige Weg zu einem Sturz Putins eine militärische Niederlage?

Alfred Koch: Ja, das ist offensichtlich. Es gibt keinen Aufruhr von innen, keine Verschwörung. Viele, die eine solche hätten anführen können, sind tot, inhaftiert oder haben das Land verlassen.

Haben sich die Übrigen dann um Putin versammelt?

Alfred Koch: Ja, es haben sich auch Leute um Putin versammelt, die sich auf die Zunge gebissen haben und schweigen. Eine Verschwörung entsteht nur, wenn die Elite leidet, nicht nur das Volk.

Leidet die Elite nicht? Durch gesperrte Konten, fehlende Reisemöglichkeiten ins Ausland?

Alfred Koch: Aber das war der Westen, nicht Putin! Der Westen blockiert Einreisen. Also haben sie sich um Putin versammelt. Diese persönlichen Sanktionen haben Putins Herrschaft nur gefestigt.

"Man begann, den üblichen russischen Krieg zu führen"

Gewinnt die Ukraine den Krieg?

Alfred Koch: Mein Bild ist bisher, dass die Russen vorrücken und die Ukrainer verteidigen. Der Blitzkrieg ist allerdings gescheitert. Man begann, den üblichen russischen Krieg zu führen, mit einer großen Zahl von Opfern, Zerstörung, Terror in besetzten Gebieten. Über einen Fall von Kiew wird nicht mehr gesprochen, anders als in frühen Kriegstagen. Aber es gibt noch keinen Zusammenbruch von Putins Armee.

Das bedeutet, später kann Putin wieder einen Vormarsch auf Kiew befehlen?

Alfred Koch: Ich kenne seine Pläne nicht, er gibt sie nicht bekannt. Grundsätzlich kann er auch ein erreichtes Ergebnis zum Ziel erklären, damit dieses erreicht wurde. So wie er jetzt Krieg führt, kann er Jahre dauern. Ich sehe keine Bereitschaft, das zu stoppen. Bisher deutet alles, was Putin tut und sagt darauf hin, dass er den Krieg fortsetzen wird.

Sie leben seit 2013 in Deutschland und sind nun deutscher Staatsbürger. Was hat Sie dazu gebracht, Russland zu verlassen? War es ein Abschied für immer?

Alfred Koch: Gegen mich wurde damals ein Strafverfahren eröffnet und mir mit Verhaftung gedroht. Ich werde nicht nach Russland zurückkehren, auch nicht, wenn das Putin-Regime fällt. Ich lebe in Deutschland ein normales Leben. Ich schwimme nicht im Geld, habe aber ein normales Leben, mit Freunden wie mit Sorgen. Ich bin jetzt über 60 und werde nicht mehr umziehen. Sollte Russland sich wandeln, werde ich natürlich dort hinreisen und meine Freunde treffen. Aber zum Leben komme ich nicht dorthin zurück.