Libyen: Die nächste Nato-Krise
Die EU-Mission "Irini" im Mittelmeer verschärft die Spannungen mit der Türkei. Dazu kommen neue Informationen über Verbindungen der Einheitsregierung GNA mit extremistischen Islamisten ans Licht
Also ob es die Libyen-Konferenz der deutschen Regierung gar nicht gegeben hätte: Die Waffenlieferungen an die Kriegsparteien gehen weiter und von Waffenruhe kann man in dem failed state auch nicht sprechen. Die Spannungen führen auch innerhalb der Nato zu Problemen.
Die EU-Mittelmeermission Irin muss ohne Nato-Unterstützung - "Aufklärung und Logistik, wie beispielsweise Betankung von Schiffen" auskommen, berichtete Die Welt kürzlich: Sowohl innerhalb der Allianz als auch in der EU gebe es "erhebliche Widerstände gegen eine Unterstützung durch Nato-Soldaten".
Als Hauptgrund werden die Überwachung der Waffentransporte nach Libyen und die Kontrollen angegeben, die Ziel der Mission sind, und die Konfliktpotential mit einem Nato-Bündnispartner bergen: Die Türkei ist gegen eine Unterstützung der Mission Irini durch die Nato. Sie unterstützt die libysche Nationale Konsensregierung (GNA) unter Führung von Fayiz Sarradsch mit Lieferungen von Waffen und Kämpfern.
Besondere Beziehungen
Das UN-Waffenembargo kümmert die türkische Regierung dabei ebenso wenig wie die Beschlüsse der Konferenz in Berlin Anfang Januar, wonach alle Waffenlieferungen und jegliche Einmischung in die kriegerischen Auseinandersetzungen in Libyen zu unterlassen sind. Für die Interessen in Ankara sind das Mittelmeerabkommen mit der GNA-Regierung und das militärische Beistandsabkommen wichtiger.
Die Türkei hat seit dem osmanischen Reich besondere Verbindungen zu Libyen, die Geschäftsbeziehungen, die es seit seit langem zwischen der Türkei und Libyen gibt, will man ausbauen und Ankara hat ein großes Interesse daran, sich ihren Anteil an den fossilen Energie-Ressourcen im östlichen Mittelmeer zu sichern.
Der Vertrag mit der libyschen GNA-Regierung liefert ihr dafür eine aus ihren Augen relevante Grundlage. Dem widersprechen Interessen anderer Nato-Länder, allen voran Griechenland. Auch die EU, die Republik Zypern und Israel sind Gegner der türkischen Ansprüche. Malta sieht sich in den Konflikt hineingezogen und droht mit einer Blockade des gerade erst begonnenen EU-Militäreinsatzes.
Wie soll die EU Schiffe aus der Türkei aufhalten?
Wie sollten sich Schiffe der EU-Mission gegenüber einem türkischen Schiff verhalten, das laut Informationen der Luftüberwachung, möglicherweise verstärkt durch andere Aufklärung, Waffen und/oder Kämpfer nach Libyen bringt? Und wie würde sich die Situation gestalten, wenn die EU-Mission durch Nato-Schiffe im Mittelmeerraum unterstützt wird?
Das Ausmalen dieser Szenarien hat auch die Nato erstmal auf Abstand zur EU-Mission gebracht, obwohl ihre Schiffe vor Ort wären. Dazu kamen weitere Überlegungen, die von einer anderen Perspektive aus gemacht wurden: Wenn die Nato in die EU-Mission eingebunden wird, dann hätte die Türkei als Mitgliedsland auch Zugang zu Aufklärungsdaten zu Vorgängen im östlichen Mittelmeer, die sie zu ihren Vorteilen nutzen könnte und zum Nachteil von anderen Nato- und EU-Ländern.
Zum Beispiel von Frankreich. Die französische Regierung hat ebenfalls Energieinteressen. In Libyen unterstützt sie den Gegner der GNA-Regierung, die sogenannte libysche Nationalarmee (LNA) unter Führung von General Haftar. Auch wenn Macron und sein Außenminister Le Drian sehr darum bemüht sind, nach Außen zu zeigen, dass sie beide Seiten, Sarradsch und Haftar, zuhören, so ist es ein offenes Geheimnis, dass die Unterstützung aus Paris für Haftar erheblich ist.
Macron und Erdogan über Kreuz
Ebenfalls ist es kein Geheimnis, dass Macron an vielen Fronten mit Erdogan über Kreuz liegt. Das hat auch zu lautem Krach in der Nato geführt.
Mittlerweile verhärten sich die Fronten. Das türkische Außenministerium wetterte erbost gegen Frankreich, die Vereinigten Arabischen Emirate und Griechenland.
In Libyen stellt die türkische Unterstützung der GNA-Regierung und deren verbündeter Milizen ein starkes militärisches Gegenüber für die LNA, die nun empfindlicher getroffen wird. Der mit den genannten Verträgen verstärkte militärischen Einsatz aus Ankara hat das Gewicht verändert.
Das hat nun wiederum zur Folge, dass auch die andere Seite mit Verstärkungen ihrer Interessen und Proxys reagiert. Auch Haftars Milizenverbund bekommt Waffenunterstützung von internationalen Partnern - vorneweg von den Vereinigten Arabischen Emiraten, laut vieler Hinweise auch von Russland. Auch von dieser Seite aus gesehen spielen die Beschlüsse der Berliner Libyen-Konferenz nur eine Nebenrolle.
Das Kriegsgeschehen, das derzeit keine deutlichen Vorteile für eine Seite zeigt, ist Teil von Konflikten auf mehreren Ebenen; lokale, regionale, tribale, ethnische Auseinandersetzungen bedienen mehrere Schwungräder. Dazu kommen alte Rechnungen aus der Zeit von Gaddafi und fundamentalistische Lager.
Verbindungen zur al-Qaida
Nachdem es nun eine Zeitlang still war zum Vorwurf an die GNA-Regierung, sie würde Terroristen unterstützen - die "Befreiung" Libyens von den Terroristen ist Haftars Hauptargument - werden die Vorwürfe nun wieder neu in den Infozirkel gebracht. Die Verbindungen zwischen der GNA und ihren Unterstützer-Milizen zu Extremisten und al-Qaida sind offensichtlich.
Die Nachweise dafür werden nun vonseiten des libyschen Journalisten Mohamed Eljarh weitergeleitet. Bemerkenswert ist, dass der gegenwärtige US-Außenminister Pompeo und Hillary Clinton darin eine Rolle spielen.
Der Grabenkrieg geht weiter, ebenso der Streit über die Muslimbrüderschaft, wo die Gegnerschaft zwischen Saudi-Arabien und der Türkei großer Zündstoff ist.
Je mehr die Corona-Epidemie in den Hintergrund der Berichtserstattung gerät, desto deutlicher könnte sich zeigen, dass der Krieg in Libyen die Dimensionen annimmt oder schon längst angenommen hat, die man verhindern wollte. Die syrischen Milizen sind nicht das einzige Indiz dafür.
Dass zwischendrin offensichtliche Fake-News geglaubt und übernommen wurden, die propagierten, dass sich syrische Milizen von Libyen aus auf den Weg nach Europa machten, deutet an, welcher besondere Konfliktstoff auch für die deutsche Politik Libyen bereithält - und wie sehr dieser nun mehr denn je davon abhängt, welchen Nachrichten und Hintergründen geglaubt wird.