Liegt das Heil wirklich in der direkten Demokratie?
Seite 5: Ein Karneval der Lächerlichkeit
- Liegt das Heil wirklich in der direkten Demokratie?
- Insgesamt gerade mal 22 Volksinitiativen in über hundert Jahren
- Der ewige Kampf zwischen Sauschwaben und Kuhschweizern
- Auch die direkte Demokratie kennt blödsinnige Entscheidungen
- Ein Karneval der Lächerlichkeit
- Man muss nur richtig rechnen…
- Auf einer Seite lesen
Das geht auch deshalb nicht, weil jede Variante von direkter Demokratie die Macht der politischen Repräsentanten einschränkt. Das werden die nicht freiwillig mit sich machen lassen. Dagegen wehren sie sich mit aller Macht.
Das erlebt man, wenn man mit den politischen Repräsentanten der politischen Parteien in Deutschland diskutiert. Plötzlich verteidigen diese so konziliant demokratisch gesonnen erscheinenden Menschen mit größter Energie das repräsentative System.
Der Grund ist leicht zu erkennen, jedes Element einer ernst zu nehmenden direkten Demokratie beschneidet die politische Macht der Repräsentanten. Es wäre naiv zu glauben, dass die das mit sich geschehen lassen, weil sie so gutherzig "mehr Demokratie wagen" wollen. Natürlich verteidigen sie jedes Fitzelchen ihrer Macht und ihrer Privilegien.
Selbst wenn sie Formen der direkten Demokratie einführen, dann führen sie mit Garantie eine politische Schweinerei damit im Schilde und nutzen die als reine Akklamationsveranstaltungen für sich selbst und ihre Politik - so wie die SPD das oft gemacht hat, zuletzt bei der Abstimmung über den Koalitionsvertrag.
Seit einigen Jahren meinen die Parteiführungen, sie könnten den Niedergang ihrer politischen Parteien noch mit alibistischen Scheinaktionen in direkter Demokratie aufhalten. Das endet in aller Regel in einem Karneval der Lächerlichkeit, weil die Parteiführungen nicht das geringste Interesse daran haben, wirklich demokratische Willensbildung in die politische Welt zu setzen. Was sie brauchen, ist etwas, das möglichst demokratisch aussieht, ansonsten aber den Gang der Dinge möglichst so belässt, wie er schon immer war.
So startete die SPD 2011 im thüringischen Landkreis Gotha einen Feldversuch mit Bürgerbeteiligung. Und der ging so: Alle Kandidaten für politische Ämter sollten durch Wahlen bestimmt werden, an denen sich auch Nichtmitglieder der Partei beteiligen durften. Die Menschen konnten vier Monate lang entscheiden, wer für die SPD als "Bürgerkandidat" bei der Landratswahl im Frühjahr 2012 antreten sollte. Das Ergebnis war niederschmetternd: Der "Sieger" bekam 14 von 18 abgegebenen Stimmen der insgesamt 120.000 Wahlberechtigten. Der "Feldversuch" war also eine einzige Blamage.
Die Parteien können noch so eindrucksvolle Verrenkungen machen: Die Leute gucken noch nicht mal richtig hin. Die Bevölkerung interessiert sich nicht länger dafür, wie die Kandidatinnen und Kandidaten der politischen Parteien aufgestellt werden. Sie trauen den Parteien sowieso nicht mehr. Und die von den Parteiführungen von oben verordnete "Urdemokratie" stellt noch nicht einmal eine ordentliche Karikatur von Demokratie dar. Eher schon eine Verhohnepipelung der Wähler.
Direkte Demokratie bedeutet nämlich überall dort, wo sie funktioniert, dass die Bürger an politischen Sachentscheidungen mitwirken und nicht über irgendwelche Personalien befinden. Einfach gesagt, geht es ja bei Personalentscheidungen im Wesentlichen darum, ob die Wähler den einen oder anderen Kandidaten sympathisch finden, ob sie ihn "mögen".
Das ist politisch einigermaßen belanglos, weil bei der Entscheidung auch persönliche Eigenschaften des Kandidaten wie Aussehen, Ausstrahlung, nettes Lächeln, sympathisches Gesicht, Image et cetera eine Rolle spielen. Genau das ist der Grund, weshalb die SPD bei ihren Versuchen in "Urdemokratie" die Bürger immer nur bei Personalentscheidungen befragt. Dabei besteht nämlich in den seltensten Fällen die Gefahr, dass die Bürger sich in Gegensatz zur Parteiführung setzen. Und genau das sollen sie ja nicht. Sie sollen nur das Stimmviech abgeben.
Lächerlich sind auch die neuerdings vieldiskutierten Versuche, die Parteimitglieder zur Mitwirkung an der politischen Willensbildung zu mobilisieren. So kürte die baden-württembergische SPD im November 2009 ihren Parteivorsitzenden in einer Urwahl. Dabei setzte sich Nils Schmid mit 46 Prozent der abgegebenen Stimmen gegen zwei Mitbewerber durch und ließ sich als strahlender Sieger in einer urdemokratischen Veranstaltung feiern, zu der immerhin die 39.275 Mitglieder der SPD in Baden-Württemberg aufgerufen waren. Seine beiden Konkurrenten lagen mit rund 29 und 23 Prozent weit hinter ihm.
Jedes Parteimitglied durfte mit der Erststimme den Erstwunsch und mit einer Zweitstimme den Zweitwunsch angeben. Da keiner der drei Kandidaten die absolute Mehrheit der Erststimmen erzielte, wurden die Zweitstimmen der Wähler, die mit der Erststimme also den Drittplatzierten gewählt hatten, auf den Erstplatzierten Schmid und den Zweitplatzierten aufgeteilt. Nach dieser ebenso kunstvollen wie windigen Rechnung kam Schmid auf 56 Prozent der Stimmen. Das klang noch mehr nach Sieg. Wenn man richtig in den Zahlen herumrührt, lässt sich jede Blamage noch in einen strahlenden Sieg umrechnen.