Märchenhafter Fund in der Einhornhöhle
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Ein Neandertaler verzierte vor mehr als 50.000 Jahren einen Knochen mit einem Muster aus Kerben
Das ursprüngliche Bild vom Neandertaler als primitivem Halbaffen hat sich in den letzten Jahrzehnten völlig erledigt. Längst ist klar, dass diese Ur-Europäer sehr geschickte Jäger und Werkzeugbauer waren, sie planten vorausschauend und kannten ihre weitläufigen Jagdgebiete ganz genau.
Sie tauschten sich aus, verabredeten Strategien für die gemeinsame Großwildjagd und trafen sich regelmäßig mit anderen Neandertaler-Gruppen. Dennoch traut ihm die Mehrheit der Paläoanthropologen immer noch kein symbolisches Denken zu, keine eigene Kultur oder gar Kunstwerke.
Die Experten haben inzwischen gut belegt, dass Homo neanderthalensis vor der Ankunft des anatomisch modernen Menschen bereits Hunderttausende von Jahren in Europa lebte (siehe: Vom Werden und Vergehen des Neandertalers).
Diese Menschenart entwickelte ganz eigenständig ausgefeilte Techniken für Waffen und Werkzeuge aus Stein oder Knochen (siehe: Einzigartiges Erbe aus der Zeit der Neandertaler). Die Neandertaler fertigten sich Kleidung aus Leder und Pelzen an, wohnten auf ihren nomadischen Wanderungen in Zelten und kochten sich Birkenpech als Klebstoff.
Dennoch geht die Mehrheit der Prähistoriker bis heute davon aus, dass unsere steinzeitlichen Verwandten keine symbolische Intelligenz hatten und dem Homo sapiens in dieser Hinsicht besonders unterlegen waren. Kultur lernten die Neandertalerinnen und Neandertaler in Europa nach gängiger Meinung erst durch die Begegnung mit den Neuzuwanderern vor etwa 45.000 Jahren kennen. Erst der kulturelle Transfer öffnete ihnen die Tür zu Ausdrucksformen jenseits der Fertigung von Gebrauchsgegenständen.
Körperbemalung, Schmuck und Monumente
In jüngster Zeit mehren sich die Belege, dass die Neandertaler visuelle Symbole schufen, bevor sie sich ihren Lebensraum mit Homo sapiens teilten.
Sie bemalten ihre Körper vor allem mit roten und schwarzen Pigmenten, trugen Schmuck aus Muschelschalen, Knochen und Geweih, Vogelkrallen oder Federn (siehe: Großes Gehirn und intelligenter als gedacht). Sich derartig zu schmücken gilt unter Anthropologen bereits als eine Form rituellen Verhalten, um sich individuell oder als Gruppenmitglied zu markieren.
Vor fünf Jahren sorgte die Entdeckung von ringförmigen Monumenten aus Tropfstein in der Bruniquel-Höhle im Südwesten Frankreichs für viel Furore. Vor mehr als 175.000 Jahren haben Neandertaler tief in der Höhle, mehr als dreihundert Meter vom einstigen Eingang entfernt, ringförmige Strukturen aus Tropfstein errichtet. Sie bearbeiteten mehr als 400 Stalagmit-Stücke, die zusammen 2,2 Tonnen wiegen, bis sie alle ungefähr gleich lang waren.
Das größere Kreismonument misst 6,7 mal 4,5 Meter, zusätzlich wurden Tropfsteine an mehreren Stellen zu großen Stapeln aufeinandergeschichtet. Ein beachtliches Bauwerk, das sorgfältige Planung und Umsetzung erforderte (siehe: 176.500 Jahre alte Kreise, tief in der Dunkelheit).
Eine künstlich geschaffene Formation aus Stein, die für die Ausgräber der Neandertaler-Fundstätte La Cotte von St. Brelade an der Küste der britischen Kanalinsel Jersey besonders interessant ist. Diese Höhle diente sehr wahrscheinlich verschiedenen Neandertaler-Gruppen als Treffpunkt und Ausgangspunkt für die gemeinschaftliche Mammutjagd.
Die frühen Bewohner schichteten am Rand viele Mammutschädel auf, um die herum Rippen wie Zaunpfähle in den Boden gesteckt wurden. Ein ebenfalls monumentales Werk, das noch heute beeindruckend wirkt, und von den Archäologen als Struktur interpretiert wird, die ohne offensichtliche Funktion aus dem Chaos von Jagdüberresten geschaffen wurde.
Ob und wenn welchen Ritualen die Höhlen-Bauwerke des Homo neanderthalensis dienten, bleibt reine Spekulation. Aber offensichtlich gestaltete unser enger menschlicher Verwandter bewusst und geplant sowohl seine direkte Umgebung als auch Räume tief im Innern eines Berges, die er sich im Schein von Holzfackeln vorab erst mühevoll erschloss.
Höhlenmalerei und Ritzungen
Bis heute heftig debattiert ist die Entdeckung (durch neue Datierungen mit der Uran-Thorium-Methode) vor wenigen Jahren, dass steinzeitliche Malereien unter Kalzitkrusten in verschiedenen spanischen Höhlen ein viel höheres Alter haben als zuvor angenommen. Neandertaler:innen hinterließen an den Wänden unter anderem Handabdrücke, Linien, Punkte und eine geometrische Figur, die an eine Leiter erinnert. Einfache abstrakte Motive und Muster zeichnen sie aus (siehe: Kunst der Neandertaler).
2015 erschütterten Felsgravierungen in einer Höhle in Gibraltar erneut die Theorie, die davon ausgeht, dass nur der anatomisch moderne Menschen fähig gewesen sein könnte Fels- und Höhlenzeichnungen anzufertigen.
In der Gorham-Höhle tauchte ein Muster in Stein auf, das nicht zufällig z. B. bei Schneiden von Fleisch oder Fell entstanden sein kann. Mit großem Aufwand schlug der Urzeitkünstler die sich kreuzenden Linien, die wie ein urtümlicher Hashtag aussehen, vor mehr als 39.000 Jahren gezielt in den Fels (A rock engraving made by Neanderthals in Gibraltar).
Wer weiß was ein Neandertaler der Welt mit dem frühen Hashtag sagen wollte, aber auf jeden Fall erinnern die gekreuzten Linien an das Muster, das den Knochen verziert, der ganz aktuell der Öffentlichkeit vorgestellt.
In der renommierten Fachzeitschrift Nature Ecology & Evolution präsentiert das deutsche Team um Dirk Leder vom Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege einen kleinen Knochen mit sensationeller Gravierung: A 51,000 year old engraved bone reveals Neanderthals' capacity for symbolic behaviour.