Man(n) oder Frau oder Trans?

Seite 2: Der Duden und das Gendern

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Vielleicht spielt in diesem Kontext der Name Duden noch eine Rolle? Da diese Publikationen von Duden kommen, fühlen sich die Leute quasi gezwungen, das zu befolgen.

Kathrin Kunkel-Razum: Das ist offensichtlich der Eindruck, der da entstanden ist. Das ist natürlich ein Aspekt, den diese Marke mit in sich trägt: dadurch, dass der Duden bis 1996 das Rechtschreib-Monopol hatte, entscheidend war in allen Zweifelsfällen der Rechtschreibung, was er jetzt gar nicht mehr ist, das Regelwerk wird ja nun vom Rat für deutsche Rechtschreibung vorgegeben.

Aber diese Instanz wirkt natürlich noch. Bei vielen Menschen ist tatsächlich der Eindruck entstanden, der Duden würde jetzt das Gendern verordnen. Das ist tatsächlich und definitiv und überhaupt nicht der Fall. Der Duden kann das nicht und der Duden will das nicht.

Sondern? Er möchte den Menschen, die sich jetzt mit dieser Art von Sprachgebrauch beschäftigen wollen oder müssen, eine Handreichung geben. Zudem eine Hilfestellung geben, denn es geht um Sprachfragen. Um solche Fragen kümmert sich eben der Duden.

Kathrin Kunkel-Razum: Ich finde, im aktuellen Buch "Gendern?!", das ein "Gespräch" zwischen den beiden Autorinnen Anne Wizorek und Hannah Lühmann ist, wird dieses Problem sehr ausführlich durchdekliniert. Dass durch die gesellschaftlichen Missstände in Sachen Gleichberechtigung noch viel Bedarf zur sprachlichen Aufklärung besteht. Auch neben der binären Struktur von Mann und Frau.

Bei diesem Titel ist uns wichtig gewesen, neben der konkreten Handreichung, die wir in den Ratgebern haben, tatsächlich das Problem, das hinter dem sprachlichen Gendern steht, einzuordnen. Und dabei wollten wir keinesfalls einseitig sein, sondern haben uns sehr genau überlegt, wie wir das machen könnte.

Wir wollten auf gar keinen Fall dieses Muster bedienen, das es in dieser Diskussion häufig gibt: älterer weißer Mann gegen jüngere weiße Frau. Es sollte auch nicht aus rein linguistischer Sicht erörtert werden. Wir wollten das etwas breiter gesellschaftlich fassen.

Das heißt?

Die Sprachoberfläche ist ja wirklich nur die Oberfläche. Da stecken gesellschaftspolitische Auseinandersetzungen dahinter. Deshalb haben wir zwei Frauen aus einer Altersgruppe genommen, sie sind beide in ihren Dreißigern und Publizistinnen, beide haben eine relativ vergleichbare Ausbildung.

Sie könnten ja rein theoretisch zu gleichen Schlussfolgerungen bei diesem Thema kommen, aber sie sind zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen gekommen. Das fanden wir so spannend an der Geschichte und deshalb haben wir dieses Buch in dieser Form gemacht.

Andererseits nennt zum Beispiel Anne Wizorek Theoretiker_innen wie Judith Butler oder Michel Foucault. Das ist schon ein akademischer Diskurs, der hier bedient wird. Da gebe ich Ihnen recht. Das ist sicher ein anspruchsvolles Buch.

Man muss sich schon darauf einlassen und vielleicht noch mal weiterlesen. In diesem Buch wird sicher ein akademischer Diskurs geführt. Da fällt mir aber eine Podiumsdiskussion an der Freien Universität Berlin ein.

Eine Entwicklung außerhalb des "Akademischen"

Kamen dort noch andere Perspektiven auf?

Kathrin Kunkel-Razum: Es ging um das große Thema: Was dürfen wir eigentlich noch sagen und wer bestimmt das? Da ging es zu einem großen Teil auch ums Gendern und da sagte Anatol Stefanowitsch, der noch eine andere Streitschrift bei uns über Political Correctness gemacht hat, auf die Frage, ob das nicht alles rein akademisch sei: Er glaube, es ginge vom akademischen Bereich aus, aber er meine auch, eine Entwicklung wahrzunehmen, die inzwischen doch unumkehrbar sei. Was auch immer das im Konkreten heißt. Es ist aber eben doch nicht nur im Akademischen angesiedelt.

Haben Sie da ein Beispiel?

Kathrin Kunkel-Razum: Ja. Wir haben neulich mit den Angestellten die Imagebroschüre eines kleineren Krankenhauses, in dem sie arbeiten, gegendert. Das befindet sich in einer kleinen Stadt in Nordrhein-Westfalen, die überhaupt keine Akademikerstadt ist.

In dieses Krankenhaus kommen also auch viele Menschen ohne akademische Bildung. Es war jedoch ein Anliegen der Leitung, jetzt doch noch mal deutlicher zu machen, wie die Realität ausschaut. In diesem Krankenhaus arbeiten eben deutlich mehr Frauen als Männer. Bisher war da nur von Mitarbeitern und Patienten die Rede.

Wie sind Sie vorgegangen?

Kathrin Kunkel-Razum: Wir haben uns das in aller Ruhe angeguckt und versucht, andere Formen zu finden, haben dann manchmal auch von Pflegekräften und Pflegenden gesprochen. Es gibt ja auch Ausweichformen. Ich glaube, das ist ein sehr schöner Text geworden, in dem wir aber auch mal das generische Maskulinum stehen gelassen haben, weil es nicht anders gegangen wäre oder weil der Text stilistisch sehr gelitten hätte.

Das hört sich nach einer behutsamen Aktion an.

"Ich würde gerne etwas von der Schärfe aus dieser Diskussion rausnehmen"

Kathrin Kunkel-Razum: Ich glaube, man muss in der Praxis nicht wirklich eifern. Ich würde gerne etwas von der Schärfe aus dieser Diskussion rausnehmen. Es ist wichtig, klarzumachen, dass wir das Problem sehen. Wir versuchen, uns diesem anzunähern und Lösungen zu finden, die so gut wie möglich, aber auch angemessen sind. Wir wollen nichts mit dem Holzhammer verordnen, was dann nachher nicht angenommen wird. Das bringt auch nicht weiter.

Es gab das Binnen-I, den Asterisk, den Unterstrich - es war schon immer Bewegung in dieser Sache und abgeschlossen ist der Prozess wohl nie?

Kathrin Kunkel-Razum: Da entstehen natürlich immer neue Fragen, die auch weit über die Rechtschreibung hinausgehen. Formal haben Sie natürlich recht, das Binnen-I gab es in den siebziger und achtziger Jahren schon. Dann ist es ein wenig ruhiger geworden und jetzt ist es wieder hochgekommen.

Dann gibt es die Alternativen, eben Schreibungen mit Unterstrich und Sternchen. Die aber auch etwas aussagen. Die sagen ganz klar: Im Unterschied zum Binnen-I gibt es das Bedürfnis gar nicht so sehr, Männer und Frauen zu betrachten, sondern eben auch alle Menschen, die sich nicht als Mann oder Frau, sondern als etwas anderes definieren. Die werden damit natürlich besser erfasst als mit dem Binnen-I. Es ist völlig klar, dass dieser Prozess nicht abgeschlossen sein kann. Wir geben da ja nichts vor, sondern gucken, was passiert!

Das geht also weiter?

Kathrin Kunkel-Razum: Klar. Vielleicht kommen wir eines Tages, nach zehn Jahren, nach einer sehr intensiven Diskussion zu dem Schluss: Wir wollen das generische Maskulinum und jetzt akzeptieren wir das. Dann haben wir das aber diskutiert.

Dann wird nicht so getan, als sei das schon immer völlig generisch gewesen. Das war es nicht. Das Ergebnis resultierte dann aus einem Diskussionsprozess, wohin auch immer uns diese Debatte führt. Dass die Diskussion irgendwann mal wieder ganz verschwinden wird, kann ich mir nicht mehr vorstellen. Dafür hat sie inzwischen doch zu viel Fahrt aufgenommen.

Bei rechtschreibschwachen Menschen merkt man das, wenn sie das generische Maskulinum nutzen und "Mann" dafür schreiben. Unbewusst denken sie an den Mann und die Männer, oder?

Kathrin Kunkel-Razum: Genau, das ist ein gutes Beispiel. Kann ich Ihnen nur zustimmen. …

Die starke Emotionalität hatten wir schon. Ich denke da noch an den Begriff "Gender Mainstreaming", der von gegnerischen Kreisen so verstanden wird, dass das Männliche und das Weibliche aufgelöst und vereinheitlicht werden sollen.

Kathrin Kunkel-Razum: Das Interessante dabei ist, dass "Gender Mainstreaming" zunächst ein reiner Fachbegriff gewesen ist, der außerhalb der Soziologie und später der Verwaltungswissenschaft keine Rolle gespielt hat, aber inzwischen durch das Thema Gendern aus der Fachsprache herausgeholt wurde.

Es lohnt sich, etwas genauer hinzugucken

Die Bewegung ist konträr: Auf der einen Seite die Angst vor einer Vereinheitlichung und Nivellierung der Geschlechter und auf der anderen Seite versuchen Sie aber, mit den Duden-Ratgebern den vorhandenen Missständen eine vielfältige Stimme zu geben.

Kathrin Kunkel-Razum: Im Prinzip ist es doch völlig verrückt, dass die Entwicklung so gegenläufig ist. Da wird gesagt: Es wird alles eins! Und auf der anderen Seite lohnt es sich, etwas genauer hinzugucken und die Differenzierung, die heute eben viel stärker gelebt wird, auch abzubilden. Das ist eigentlich das selbstverständlichste Ding der Welt: die Realität auch durch die Sprache abzubilden.

"Der alte weiße Mann"

Ich wollte nochmals auf den alten weißen Mann zurückkommen, der sich dagegen sträubt. Denken Sie denn, dass dies eine Generationenfrage ist?

Kathrin Kunkel-Razum: Bis vor einiger Zeit hätte ich mit Ja geantwortet. Da bin ich inzwischen tatsächlich etwas unsicherer, weil wir auf der IDS-Tagung - Institut für deutsche Sprache in Mannheim - zum Beispiel einen Bericht von WissenschaftlerInnen des IDS gehört haben: Die hatten auch junge Frauen in Bezug auf gesplittete Formen befragt und da kam heraus, dass die das generische Maskulinum in einem sehr hohen Maße akzeptierten.

Das fand ich persönlich erstmal erstaunlich. Nachher habe ich mir überlegt, dass es interessant wäre, genau diese Frauen später - in vielleicht zehn bis fünfzehn Jahren - nochmals zu befragen, wenn sie nämlich aus ihrem akademischen Kontext, aus dem sie kamen, tatsächlich raus sind.

Weil sich dann die Meinungen möglicherweise geändert haben?

Kathrin Kunkel-Razum: Genau. Wenn die Frauen in der Realität eines Familien- und Berufslebens stehen; wenn sie wirklich mit der noch existierenden Ungleichbehandlung konfrontiert werden. Da müsste man diese Frauen fragen, ob sie immer noch für die sprachliche Vereinheitlichung, sprich: das generische Maskulinum sind, oder ob sich ihre Einschätzung da wandelt. Das kann man heute natürlich noch nicht sagen. Es wäre sehr spannend, da nochmals drauf zu schauen.