"Man wird einem anderen Islam begegnen"

Seite 4: "Ein Gesamtzusammenhang mit offenen Horizonten"

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Wie wichtig und warum ist diesbezüglich das Theorem vom Gesamtzusammenhang, welches ja heutzutage allgemein-theoretisch und -philosophisch gemeinhin als "Metaphysik" auf der Müllhalde der Philosophiegeschichte zu finden ist?

Thomas Metscher: In der Tat ist auch mir dieses Gespenst schon häufig begegnet - nicht selten als missglückter Versuch, noch ein Stück Metaphysik in die ach so nichtmetaphysische Gegenwart zu retten. Früher gebrauchte man statt seiner übrigens den Begriff des "Seienden im Ganzen", ich erinnere mich noch an meine philosophische Kinderstube. Nun halte ich den Begriff - gerade als dialektischen Begriff - durchaus für sinnvoll, und das nicht nur aus Gründen juveniler Reminiszenzen. Dialektisches Denken, gerade wenn es sich von seiner metaphysischen Herkunft trennen, das Gültige an ihm aber nicht aufgeben will, hat einen Begriff des Gesamtzusammenhangs zu entwickeln, der diesen eben nicht mehr als metaphysisches Monstrum behandelt, sondern als historisch-dialektisches Konkretum, sagen wir: ein Gesamtzusammenhang mit offenen Horizonten.

Zu diesem Zweck habe ich vor einiger Zeit den Versuch unternommen, den Begriff einer kategorialen Konkretion3 zu unterziehen. Herausgekommen ist dabei ein fünfschichtiges Modell: Erstens: der Alltag als Gesamtzusammenhang und die Kategorie des Weltwissens; zweitens: der Gesamtzusammenhang einer Gesellschaft. Konkrete Gesellschaft, gesellschaftliche Struktur und gesellschaftliche Formation; drittens: der Gesamtzusammenhang des geschichtlichen Prozesses; viertens: Einheit und Differenz von menschlicher Welt und Natur. Gesamtzusammenhang als ontologischer Begriff; und fünftens: die Wirklichkeit als das Seiende im Ganzen und die Frage nach Grund und Sinn von Sein: der Gesamtzusammenhang als metaphysischer Begriff. Die Aufhebung der Metaphysik in Dialektik.

Erkenntnisleitend war hier die Überzeugung, dass der Begriff als sinnvoller Terminus nur durch eine kategoriale Konkretion gerettet werden kann. Aus diesem Grund das Modell der fünf kategorialen Schichten (oder Dimensionen) und einem offenen Ende in der fünften Dimension. Inwieweit dieser Versuch gelungen ist, vermag ich nicht zu sagen. Eine Reaktion mit der Ausnahme höflicher Bekundungen ist bislang nicht erfolgt. Hans Heinz Holz, an den dieser Versuch adressiert war (er ist Bestandteil eines Gesprächs zu diesem Problem), hat darauf nicht mehr reagieren können. Sein philosophisches Anliegen war, die Metaphysik als Kern philosophischen Denkens durch Dialektik für marxistisches Denken zu bewahren, wird hier von mir geteilt - wenn ich hier auch einen anderen Weg ging als der von Holz beschrittene.

"Offener Bruch des Völkerrechts"

Nochmal zu Ethik: Wie sieht eine solche konkret aus? Wie beurteilt man anhand dieser Ethik beispielsweise den Israel-Palästina-Konflikt? Oder die Konfrontation zwischen den USA und dem Iran?

Thomas Metscher: Den Wunsch nach Konkretion teile ich auch hier. Eine politische Ethik, die den Namen verdient, existiert nur als konkrete. Nur vermag ich in den genannten Exempla keine Beispiele für ethische Pobleme zu sehen. Es ist das mittlerweile offen eingestandene (und seit langem praktizierte) Ziel israelischer Politik, einen nicht geringen Teil Palästina durch den Gebrauch von Gewalt zu annektieren. Ein solches verhalten ist nicht nur ‚unethisch’, es ist ein offener Bruch des Völkerrechts. Dazu hat bereits Norman Paech das Nötige gesagt. Auch die Konfrontation zwischen USA und Iran erfolgt erkennbar dem Muster der Aggression mit den USA als Hauptakteur. Die ethische Argumentation in beiden Fällen beschränkt sich auf die Feststellung eines Rechts auf Widerstand auf der Seite der bedrohten Völker.

Diese Beurteilung folgt dem Stand meines Wissens. Ein echtes ethisches Problem ist erst dann gegeben, wenn beide Seiten in einem gegebenen Konflikt ethische Gründe für ihr Handeln nennen können (das klassische Beispiel: Hegels Antigone-Interpetation).

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