Manipulation: Warum wir auf Fake News hereinfallen – und uns doch schützen können

Fake News

Bild: Bits And Splits, Shutterstock.com

Medienwissenschaftlerin Sabine Schiffer über Fake News. Wie manipulative Angebote Zwietracht schüren. Doch wer steckt hinter dem Phänomen? Ein Telepolis-Podcast.

Wenn von Fake News, also Falschnachrichten, die Rede ist, dann geht es hierzulande meist um solche aus russischen Quellen. Kürzlich erst haben das Nachrichtenmagazin Der Spiegel und das Investigativportal The Insider einen ausführlichen Bericht veröffentlicht, wonach in Russland massenhaft manipulative Internetseiten ohne Impressum und Herkunftsangabe produziert und über soziale Netzwerke verbreitet werden. Ziel sei es, so heißt es, Angst und Zwietracht im Westen zu schüren und die Unterstützung für die Ukraine zu untergraben.

Dietmar Ringel hat das zum Anlass für ein Gespräch mit Sabine Schiffer im Telepolis-Podcast genommen. Sie ist Professorin für Journalismus und Unternehmenskommunikation und Leiterin des Instituts für Medienverantwortung in Berlin.

▶ Wenn ich von Internetseiten ohne Impressum und Herkunftsangabe höre, dann klingt das für mich erst mal nach schlecht gemachten Fake News, denn so was erkennt man doch relativ schnell. Oder können solche Seiten trotzdem Wirkung entfalten?

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Sabine Schiffer: Ja, sie können Wirkung entfalten, weil wir alle ein wenig so gepolt sind, dass wir die Dinge, die uns in den Kram passen, die wir erwarten, die dem eigenen Erwartungshorizont entsprechen, schnell teilen und weitergeben. Darauf zielt das sicherlich ab.

Ansonsten ist es richtig, dass beim Erkennen von Fake News die Quellenprüfung ganz oben steht. Und insofern sollte das relativ einfach sein. Aber wir hatten ja auch diese Klone, wo Medien nachgemacht wurden, was dann gar nicht so leicht zu erkennen war. Also es wird mit allen möglichen Mitteln gearbeitet, und sicherlich nicht nur von russischer Seite.

▶ Im konkreten Bericht heißt es, kremlkritische Hacker hätten Einblicke erhalten in Unterlagen der russischen Geheimdienste. Ist das glaubwürdig, wenn hier die Geheimdienste im Spiel sind? Und zwar vermutlich auf beiden Seiten – beim Produzieren von Fake News einerseits, beim Aufdecken andererseits?

Sabine Schiffer:: Geheimdienste waren immer bei Fake News dabei. Das ist ja kein neues Phänomen, auch wenn der Begriff suggeriert, das wäre jetzt alles ein Internetphänomen und hätte vor allem etwas mit KI und Fälschung und solchen Dingen zu tun.

Tatsächlich ist das alte Soft-Power-Strategie. Und Geheimdienste waren eigentlich immer vorn dran, auch wenn es darum ging, Tricks und Tools und Techniken zu entwickeln, um manipulative Botschaften möglichst in Medien unterzubringen, die ja quasi die Hauptzielgruppe von allen möglichen Fake-Produzenten sind. Denn was in die Medien kommt, gilt als journalistisch geprüft und veredelt sozusagen dann auch eine Werbebotschaft.

▶ Sie haben schon angedeutet, dass nicht nur die Russen mit solchen Mitteln arbeiten. Wenn man die deutschen Medien verfolgt, kann man allerdings den Eindruck bekommen, die Russen seien gerade Weltmeister im Produzieren von Fake News. Ist das auch ihr Eindruck?

Sabine Schiffer: Was Sie sagen, ist gerade in aller Munde. Es wird ja auch ganz stark vorangetrieben von der sogenannten East StratCom Task Force. Das ist eine strategische Kommunikationsstelle von EU und NATO, die auch an Journalisten Dinge herausgibt – vor allem über russische Desinformation.

Ich bringe mal diesen zweiten Begriff ein, weil es hier oft wild durcheinander geht. Ich will nicht in Abrede stellen, dass es all diese Dinge gibt und sie natürlich von allen Seiten problematisch sind. Aber es sind auch zwei Ablenkungsmomente darin enthalten. Zum einen wird suggeriert, das sei vor allem ein Internetproblem. So als hätte es so was wie die "Hitler-Tagebücher" oder schlimme Verschwörungstheorien vor dem Internet nicht gegeben.

Und das andere ist, dass das vor allem ein Phänomen autoritärer Staaten sei. Und jetzt sage ich mal etwas ganz Provokantes: Manipulations- und Propagandatechniken braucht man vor allem in Demokratien. In Autokratien kann ich auch einfach befehlen. Aber in Demokratien muss ich überzeugen. Und die Techniken sind viel subtiler und ausgefeilter. Den Menschen soll nicht nur eingeredet werden, was man möchte. Sie sollen auch noch glauben, dass sie das selbst möchten.

Medien und Lobbyismus

▶ Welche Techniken haben Sie da im Blick?

Sabine Schiffer: Das ist ein riesiges Feld. Es gibt einen Begriff dafür, der von Thomas Leif und Rudolf Speth eingeführt wurde, nämlich "fünfte Gewalt". Es beginnt niedrigschwellig schon beim Lobbyismus für Thinktanks, große Verbände oder Unternehmen mit entsprechender Marktmacht, und natürlich auch für die Politik.

Da werden sogar NGOs gegründet, die aussehen wie Graswurzelbewegungen. Das nennt man dann Astroturfing, inszenierte Graswurzelbewegungen, die im Sinne derer agieren, die sie bezahlen.

Es gibt auch die Möglichkeit, Guerillatechniken einzusetzen, also durch Überraschungen, vielleicht auch durch Schock, bestimmte Diskurse zu befördern und anzustoßen. Da gibt es ein ganz weites Feld. Im Grunde fällt alles darunter, was die PR, die Public Relations hergibt.

Edward Bernays, einer der großen Geister auf diesem Gebiet, hat in einem Interview mal erklärt, dass die Begriffe PR und Propaganda im Grunde Synonyme sind. Man musste es nur nach dem Zweiten Weltkrieg umbenennen.

Werbung mit Suffragetten

In Bernays Arbeiten findet man interessante Dinge, wie über den Aufmarsch der Suffragetten in New York. Das waren Kämpferinnen für Frauenrechte, die Anfang des 20. Jahrhunderts in Erscheinung traten. Denen gab man bei ihrem Aufmarsch Zigaretten.

Frauen war das Rauchen damals zwar nicht verboten, es galt aber als unschicklich. Man gab den Frauen also Zigaretten und briefte gleichzeitig die Medien, dass da großartige Bilder entstehen würden und sie etwas Tolles einfangen könnten. Hat auch geklappt.

Plötzlich sah man fortschrittliche, progressive Frauen, die rauchten. Das hat den Zigarettenkonsum deutlich angekurbelt und damit der Tabakindustrie genützt. Solche und ähnliche Sachen sind im Bereich der Wirtschaft gängig.

Die Bertelsmann-Stiftung

Größter deutscher Think-Tank ist übrigens die Bertelsmann-Stiftung, und die ist sehr erfolgreich. Politisch ist das ganz ähnlich. Da spricht man von Soft Power. Dazu gibt es einige Forschungsergebnisse, die man aber erst zusammentragen muss.

Einen Lehrstuhl für Propaganda-Forschung haben wir in Deutschland nicht. Und ich glaube, den werden wir wohl auch künftig nicht bekommen. Es sei denn, es ginge darum, Propaganda außerhalb Deutschlands zu erforschen.

Solange man glaubt, dass wir hier nicht die gleichen Probleme haben wie anderswo auf der Welt, ist die Notwendigkeit bisher nicht erkannt, dass man das systematischer erforschen und in der Öffentlichkeit debattieren müsste.

▶ Da lassen Sie mich bitte gleich mal einhaken. Sie befassen sich intensiv mit diesem Thema, es gibt Bücher darüber. Aber viele Menschen haben davon kaum Kenntnisse. Finden Sie bei Fachkollegen Unterstützung, um dafür mehr Öffentlichkeit herzustellen?

Sabine Schiffer: Das kommt sehr darauf an. Im Netzwerk kritische Kommunikationswissenschaft ist das natürlich ein verbreitetes Thema. Da gibt es auch entsprechende Formate, in denen man Expertisen einholt. Auch in wissenschaftlichen Publikationen findet sich einiges. Im Springer Verlag z.B. wurde in einem Handbuch zur Medienpädagogik mal ein Aufsatz zur Propagandaforschung veröffentlicht.

Ein wenig versteckt zwar, aber immerhin. Neu aufgelegt wurde auch ein Klassiker von Jacques Ellul über die subtilen Methoden der Propaganda. Seit Langem schon gibt es die Arbeiten des Kommunikationswissenschaftlers Jörg Becker, der u.a. viel zu Kriegspropaganda geforscht hat und dazu regelmäßig publiziert.

Was es in die breite Öffentlichkeit schafft, ist noch mal eine andere Sache. Da habe ich den Eindruck, dass eher Online-Vorträge die Menschen erreichen, etwa von Professor Mausfeld, vielleicht auch von mir. Oder jetzt neu von Jonas Tögel, der sich mit der Softpower der NATO intensiver befasst und dazu publiziert.

Das sind dann eher überraschende Publikationen, weil man glaubt, Fake News gebe es nur in autoritären Staaten, und die NATO sei ja ein Verteidigungsbündnis. Man fragt sich: Wieso geht es da auch um Softpower und Propaganda und wird ganz offen darüber geredet? - übrigens seit 20 Jahren, das ist also eigentlich gar nichts Neues.

Allerdings sagen natürlich alle, hier gehe es ausschließlich um Verteidigungszwecke. Durch die belgische Historikerin Anne Morelli sind vor einigen Jahren noch mal die Lehren von Lord Arthur Ponsonby in die öffentliche Debatte gekommen.

Er hat 1928, also zwischen den beiden Weltkriegen, die Grundregeln der Propaganda veröffentlicht: Schuld sind immer die anderen, die sind die Bösen, wir sind die Guten, verteidigen uns nur usw. - alles das, was Kriegslogik befördert und nicht aus der Kriegslogik herausführt.

Es gibt also ein weites Feld, aus dem man schöpfen kann. Gelegentlich kommt das dann auch in den Medien vor. In Vorbereitung auf unser Gespräch habe ich einige Veröffentlichungen dazu bei der Deutschen Welle, im Deutschlandfunk und anderen Medien gefunden, in denen es zwar vorrangig um Autokratien ging, aber auch um Propaganda in Demokratien.

Der Historiker Adrian Hänni hat dazu einiges gemacht. Ich habe aber den Eindruck, solche aufklärenden Sendungen oder Hintergrundbeiträge tangieren den täglichen Nachrichtenfluss eher nicht.

▶ Lassen Sie mich auf den Ausgang unseres Gesprächs zurückkommen, also auf die russischen Fake News. Ganze Unternehmen sollen damit beschäftigt sein, Falschnachrichten zu produzieren und sie dann in den sozialen Medien zu streuen.

Machen Sie einen Unterschied zwischen solchen, ich nenne sie mal schwarz-weiß Nummern, wo die Wahrheit gänzlich auf den Kopf gestellt wird und Methoden subtiler Beeinflussung, wie Sie sie gerade geschildert haben? Oder ist das alles gleichermaßen verwerflich und zu kritisieren?

Sabine Schiffer: Das ist alles gleichermaßen verwerflich und zu kritisieren. Aber tatsächlich wäre es wichtig, diese Dinge genau voneinander abzugrenzen. Zum Beispiel kursieren die Begriffe Fake News und Desinformation teilweise als Synonym.

Dabei gehört zu Desinformation nicht nur die Falschinformation, sondern auch die Absicht, diese zu verbreiten. Falschnachrichten oder Enten, wie das früher mal hieß, enthalten zum Beispiel auch Sachen, die bei ihrer Weitergabe falsch oder verkürzt dargestellt werden.

Man kann aber auch mit Fakten lügen, indem man sie nach bestimmten Stereotypen auswählt. Gerade kann man am Beispiel Nahostkrieg relativ gut sehen, wie verzerrte Wahrnehmungen bis hin zu Falschnachrichten entstehen, einfach durch eine viel zu stereotype Auswahl an Nachrichten.

Sicher lässt sich darüber streiten, was die richtigen Begriffe sind. Ich wollte es aber mal grundsätzlich problematisieren. Und ich würde das auf verschiedenen Ebenen betrachten, so wie ich das auch in meinem Lehrbuch "Medienanalyse" dargestellt habe.

Da gibt es zum einen die volle Absicht der Manipulation über Softpower und andere Techniken. Wer viel Geld hat, kann auf diese Weise auch viel Propaganda machen. Er holt sich dafür einfach professionelle PR-Beratung. Ich will allerdings hinzufügen, dass es hier auch ethische Regeln gibt, an die sich viele PR-Profis durchaus halten. Nicht, dass hier eine ganze Berufsgruppe in Misskredit gerät.

Andererseits gibt es auf den verschiedenen Ebenen weitere sogenannte Filter. Das ist das, was Herman und Chomsky in ihrem Propagandamodell dargelegt haben. Das ist nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit, weil wir heute andere Medientechniken und Möglichkeiten haben.

Aber im Grunde ist das Prinzip richtig erkannt, dass durch schlechte Arbeitsbedingungen, schlechte Bezahlung von freien Journalisten, durch Briefings von Aufklärungsstellen über Desinformation, die bei genauerem Hinsehen selbst Propaganda-Stellen sind wie die "East StratCom Task Force" oder auch alle möglichen Aufklärungskampagnen, die es derzeit gegen Fake News gibt.

Da muss man genau hinsehen. Sehr oft ist die Politik an solchen Kampagnen prominent beteiligt. Dabei ist sie ja eigentlich nicht der Akteur, der uns über Falschnachrichten aufklären, sondern derjenige, der von den Medien kontrolliert werden sollte.

▶ Damit wären wir bei der nächsten Frage, die auch in der Europäischen Union ein großes Thema ist: Die großen Tech-Konzerne sollen für die Inhalte verantwortlich gemacht werden, die auf ihren Plattformen veröffentlicht werden. Seit einigen Jahren gibt es den Digital Services Act, der das regeln soll. Außerdem ist ein Medienfreiheitsgesetz geplant, das einerseits die Freiheit des Wortes schützen, ihr aber auch Grenzen setzen soll. Wie bewerten Sie das?

Sabine Schiffer Zunächst zu den Signalwörtern Schutz und Freiheit. Da rate ich immer, besonders sorgfältig zu recherchieren, was wirklich dahintersteckt. Das sind aus meiner Sicht Euphemismen, die gut klingen. Zum großen Teil werden die Begriffe strategisch benutzt. Und ja, was Sie gerade schildern und was momentan auf der EU-Ebene im Gange ist, zeigt eigentlich das ganze Dilemma.

Einerseits haben wir jetzt diese riesigen Tech-Giganten, die durch ihre Geschäftsbedingungen im Grunde vorgeben, was Freiheit im Internet bedeutet. Das kann nicht sein.

Sicher bedarf es einer gewissen Regulierung, um die Marktmacht von Amazon, Google und Meta zu kontrollieren. Schon deshalb, damit nicht aus ökonomischen Gründen die Kommunikation kontrolliert oder durch gezieltes Ausspielen von Werbung die Internetdiskurse komplett verzerrt werden, was die Demokratie beschädigen würde.

Das kann man hervorragend in dem Film "The Cleaners" sehen, wo es um Content-Moderatoren geht und um die Folgen ökonomisch programmierter Internetsoftware. Also einerseits gibt es eine Regulierungsnotwendigkeit, andererseits ist das aber ein riesiges Einfallstor für Kontroll- und Zensurmöglichkeiten.

Wir haben das beim Kampf gegen Kinderpornografie erlebt. Das ist ja ein hehres Anliegen. Aber gleichzeitig wird versucht, bestimmte Überwachungsmöglichkeiten einzuführen. Und genau an dieser Schnittstelle befinden wir uns gerade auch, wenn man sich die EU-Pläne anschaut.

Eric Bonse hat das in Brüssel recherchiert und mal geschaut, was für ein Potenzial in dem Medienfreiheitsgesetz oder auch dem Digital Services Act steckt. Zum Beispiel ist da immer wieder von Chatkontrolle und allen möglichen Dingen die Rede. Da fragt Bonse, und ich halte das für eine wichtige Frage, ob das überhaupt in die Hände der Politik gegeben werden soll.

Die Tech-Giganten sind ja heute die eigentlichen Gatekeeper, also Torwächter, das ist nicht mehr der Journalismus. Gegenüber diesen Tech-Giganten braucht es schon mächtige Akteure. Und die Politik muss dabei wahrscheinlich eine Rolle spielen.

Auf der anderen Seite ist die Politik der Akteur, der von den Medien kontrolliert werden soll. Deswegen gibt es Selbstkontrolle, deswegen gibt es den Presserat und eben keine staatliche Medienkontrolle, die antidemokratisch ist. Tatsächlich bewegen wir uns aber gerade auf der EU-Ebene im Gewässer antidemokratischer Medienpolitik.

▶ Was Sie gerade beschrieben haben, klingt wie eine Art Teufelskreis. Sehen Sie einen Ausweg daraus?

Sabine Schiffer: Es ist in der Tat nicht leicht zu lösen. Doch wer es ernst meint, findet auch einen Ausweg. Es werden ja alle möglichen Kommissionen, Gremien und sonstige Dinge gegründet.

Warum denkt man nicht darüber nach, sie mit verschiedensten Akteuren zu besetzen, darunter aus der Wissenschaft und den Medien selbst? Meinetwegen auch mit Politikerinnen und Politikern.

Solch ein Gremium könnte die Wünsche oder die erkannten Notwendigkeiten an die Politik herantragen.

Auf EU-Ebene sind die Politikakteure ja auch teils zweifelhaft demokratisch legitimiert. Die Kommission ist z.B. nicht in dem Sinne gewählt wie Regierungen einzelner Länder. Wenn ich dann noch an die vielen Korruptionsfälle in jüngster Zeit denke ...

Ich finde, das können wir nicht auf dieser Ebene belassen, da müssen auf jeden Fall unabhängige Stellen beteiligt werden. Und ich hoffe, dass das durch öffentliche Debatten und die Mitwirkung der Medien gelingt.

Es wäre gerade ihre Aufgabe als vierte Gewalt, sich dieser Verantwortung bewusst zu sein und nicht Dinge nachzubeten. Wir erleben allerdings gerade jetzt in Kriegszeiten, dass oft Dinge in den Medien nachgebetet und nicht unabhängig recherchiert und infrage gestellt werden.

▶ Sie haben vorhin den Gaza-Krieg als Beispiel für Fake News und Manipulationsversuche genannt. Können Sie dafür Beispiele nennen?

Sabine Schiffer: Zunächst werden ja dort gar keine unabhängigen Medien hereingelassen, obwohl das immer wieder gefordert wird. Ganz ähnlich war es übrigens in der Ostukraine schon vor Beginn des russischen Angriffs. Auch dort kamen bestimmte Journalisten nicht rein.

Nun gibt es zwar Leute vor Ort, die dort Vorgänge dokumentieren. Die Medien arbeiten ja vor Ort häufig mit Stringern oder Fixern zusammen - also mit Einheimischen, die sich gut auskennen, die Kontakte haben, teilweise auch selbst journalistisch tätig werden, wenn keine anderen Journalisten einreisen können.

Dann besteht allerdings der Verdacht, dass deren Berichte interessengeleitet sind. Mit Blick auf Gaza heißt es, von dort käme nichts, was nicht von der Hamas kontrolliert werde. Umgekehrt wissen wir, dass es in Israel ganz offiziell eine Zensur gibt, dass bei allen heiklen Themen die Militärzensur eingreift.

Kürzlich hat eine Zeitung, ich glaube "Haaretz", eine ganze Seite mit solchen Schwärzungen veröffentlicht, um mal ein Gefühl dafür zu geben, was das im journalistischen Alltag bedeutet. Damit sollte den Lesern klargemacht werden, dass sie vieles gar nicht erfahren können, auch wenn Medien es teilweise wissen.

Nun halten die deutschen Medien offenbar die israelische Kommunikation für glaubwürdiger als die palästinensische, anstatt zu sagen, man könne das nicht unabhängig prüfen. Das kommt auch vor, ja. Aber ich habe den Eindruck, dass es da eine verzerrte Wahrnehmung gibt. Das könnte man empirisch noch genauer untersuchen, doch die Wissenschaft kommt leider oft zu spät.

Viele Beobachter jedenfalls nehmen es so wahr, wie ich es beschrieben habe. Es gibt auch noch das "Cherrypicking", dass man sich immer die Beispiele aussucht, die die eigene These bestätigen. Wenn man meint, einen solchen Trend erkannt zu haben, fordere ich immer dazu auf, das Gegenteil zu suchen und zu recherchieren. Und dafür findet man dann auch immer Beispiele. Was letztendlich überwiegt und wer was glaubt, ist dann noch mal eine andere Frage.

Ich muss ehrlich sagen, ich bin seit Langem nicht mehr so stark auf ausländische Medien ausgewichen wie im Moment. Wenn ich mir auch nur ansatzweise ein Bild machen oder Zusammenhänge erkennen will, dann schaue ich zum Beispiel bei Democracy Now, Amy Goodman, englischen Zeitungen und anderen ausländischen Medien nach. Mir scheint die deutsche Berichterstattung und auch Kommentierung sehr, sehr schmalspurig.

▶ Um bei den vielen komplizierten Themen den Durchblick zu behalten, sich zu orientieren, erfordert es viel Sachkenntnis. Und da sind wir beim Stichwort Medienkompetenz, über das schon lange diskutiert wird. Gefordert wird etwa ein entsprechendes Unterrichtsfach an den Schulen. Auch Ihr Institut für Medienverantwortung in Berlin schaut da schon länger drauf. Sehen Sie Bewegung, werden die Leute schlauer?

Sabine Schiffer: Sagen wir mal so: Junge Leute überraschen mich immer wieder damit, dass sie merken, wo etwas schiefläuft. Und das bei der Dauerbeballerung, der sie ausgesetzt sind! Bei Tiktok zum Beispiel sieht man ja kaum noch, wer der Absender von irgendwas ist.

Was die Initiative für ein Schulfach Medienbildung angeht, für das wir uns ja auch einsetzen, muss man allerdings sehr aufpassen. Es ist der IT-Branche gelungen, das sehr stark auf digitale Fragen zu reduzieren. Ein Teil der Schieflage dabei ist, dass man glaubt, Fake News gebe es nur im Internet. Das ist natürlich viel, viel zu wenig.

Medienbildung ist sehr umfassend, beginnt eigentlich mit der Wahl des ersten Bilderbuchs. Und da müssten wir viel früher anfangen, auch mit den Eltern. Das ist versäumt worden. Ich wundere mich immer schon, warum wir in einer Demokratie, die auf die Reflexion von Meinungsbildungsprozessen angewiesen ist, kein systematisches Schulfach Medienbildung oder das zumindest in einzelnen Fächern verankert haben.

Wir überlassen es mehr oder weniger der Schule oder den Lehrkräften, welche Materialien sie da heranziehen. Das ist nicht evaluiert. Vieles, was unter Digitalkompetenzen gefördert wird, sind zum Teil Werbetexte von Microsoft. Da bedarf es eines eigenen Curriculums, einer Lehrplankommission.

Es bedarf evaluierten didaktischen Materials, eines Studiums und dauernder Fortbildungen, und es braucht mehr Wissen über Medienberufe. Wie kommen die Nachrichten in unsere Medien? Was erfahren wir alles, was nicht? Etwas mehr Distanz zu den Darstellungen zu entwickeln, ist lebenslanges Lernen.

Das sollte man in der Schule beginnen, methodisch gut fundiert und abgesichert, damit es nicht dabeibleibt, mal zu schauen, was es für eine Quelle hat, sondern vielleicht auch, wenn man etwas bemerkt an der medialen Oberfläche, wie man so eine Sache nachprüfen kann. Und es kann nicht sein, dass den einzelnen engagierten Leuten oder Institutionen überlassen bleibt. Das brauchen wir als Schulfach, und nicht nur reduziert auf IT-Fragen.

Im Telepolis-Podcast sprach Dietmar Ringel mit Sabine Schiffer, Professorin für Journalismus und Unternehmenskommunikation und Leiterin des Instituts für Medienverantwortung in Berlin.