Matrix und der "Terrorquotient"

Unklarheiten über die privat von einem dubiosen Geschäftsmann in Florida entwickelte Datenbank Matrix, die als Weiterführung des vom Kongress gestrichenen Terrorist Information Awareness Programms gilt

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Gefördert mit 12 Millionen Dollar vom Justizministerium und vom Heimatschutzministerium baut Seisint, Inc. mit Sitz in Boca Raton, Florida, eine Datenbank für den Austausch von Informationen über mehrere Bundesstaaten hin weg auf. Das Multistate Anti-Terrorism Information Exchange Program, bedeutungsschwanger abgekürzt "Matrix", hatte kurz nach dem 11.9. die Namen von 120.000 Menschen markiert, die aufgrund statistischer Wahrscheinlichkeiten potenzielle Terroristen sein könnten, darunter offenbar auch die Namen von einigen der Flugzeugentführer vom 11.9. Ob nach diesem "High terrorist factor" weiterhin der große Datenbestand durchsucht wird, ist nicht bekannt.

Fünf Bundesstaaten (Connecticut, Florida, Michigan, Ohio und Pennsylvania) beteiligen sich an Matrix, eine ganze Reihe von Bundesstaaten, die sich ursprünglich wie Kalifornien, New York oder Washington D. C. beteiligen wollten, sind aus Privacy-Gründen inzwischen wieder ausgestiegen, zuletzt hat Utah das Projekt verlassen. Die Datenbank ist ein von Hank Asher, dem Besitzer von Seisint, nach dem 11.9. entwickeltes Projekt, das er den Bundesstaaten anbot. Im Prinzip realisiert Matrix, was auch das vom Kongress verbotene), aber nicht ganz beendete Darpa-Projekt Terrorist Information Awareness Program hätte leisten sollen (Weltweites Schnüffelsystem): die Verbindung möglichst vieler Daten von US-Bürgern aus privaten und staatlichen Datenbanken, um "verdächtiges" Verhalten zu identifizieren (Matrix ist in Florida). Angeblich würde Matrix aber nur Daten verwenden, die der Polizei sowieso zugänglich seien, versucht man bei Seisint die Bedenken von Kritikern zu dämpfen.

Asher, passend zum ganzen Projekt und dessen Namen, ist eine zwielichtige Figur. Er hatte gute Beziehungen zum Secret Service und als Informant von FBI und der Drogenbehörde DEA gearbeitet, 1999 mussten aber beide Behörden die Zusammenarbeit mit ihm beenden, nachdem er sich schon in den 80er Jahren am Drogenschmuggel beteiligt hat. Asher hat auch enge Verbindungen zum Florida Department of Law Enforcement (FDLE), die zwar die Verbindung mit Ashers alter Firma DBT nach dem Bekanntwerden des Drogenschmuggels beendet, aber mit Ashers schnell neugegründeter Firma Seisint neue Aufträge erhielt.

Asher hat sich wohl auch bei dem US-Präsidenten George Bush beliebt gemacht. Seine alte Firma DBT hatte im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen einen Vertrag mit Florida - Gouverneur Jeb Bush, der Bruder von George W. Bush - geschlossen, um eine Wählerliste mit denjenigen Personen zu erstellen, die von der Wahl ausgeschlossen werden können. Aufgrund des Vorfalls musste Asher DBT 1999 an ChoicePoint verkaufen, die aber das Projekt weiter führte und die gewünschte Liste mit über 50.000 Personen lieferte, die möglicherweise in anderen Staaten vorbestraft waren. Einträge auf der Liste waren manipuliert, sie musste korrigiert werden, aber es blieben weiterhin Tausende von der Wahl ausgeschlossen, die schließlich, nachdem 170.000 Stimmen für ungültig erklärt wurden, mit 500 Stimmen Mehrheit für Bush ausging, der dank gerichtlicher Entscheidung, die eine Nachzählung in Florida verhinderte, zum Präsident wurde (George W. Bush ist rechtlich, aber wahrscheinlich nicht faktisch der von der Mehrheit gewählte US-Präsident). Nach 2000 brummten die Geschäfte von ChoicePoint. Allein 67 Millionen erhielt CoicePoint für einen Auftrag vom Justizministerium, mit der Einführung des Patriot-Gesetzes wurden der Firma neue Aufgaben zum Sammeln der reichlicher fließenden Daten zugewiesen.

Memorandum, das die Verwendung der Daten aus FACTS für Matrix betrifft

Matrix verdankt vermutlich der dubiosen Vergangenheit des Seisint-Gründers einiges, vermutlich auch einen angehäuften Datenbestand. Nun also hat Seisint in der Datenbank Matrix 120.000 Namen von möglichen Terroristen markiert, die nach dem "high terrorism factor" eines Bewertungssystems identifiziert wurden. Man habe dies kurz nach dem 11.9. gemacht, aber die Liste seitdem aufs Eis gelegt, versicherte ein Matrix-Mitarbeiter. Beim Florida Department of Law Enforcement will man von dem Data-Mining-Programm nichts wissen.

Nach Informationen der Nachrichtenagentur AP und der Bürgerrechtsorganisation ACLU wurde diese Suche aber auch nach 2001 weiter vorangetrieben und damit vor den staatlichen Geldgebern geworben. Das Justizministerium hat 2003 bei Bewilligung von vier Millionen Dollar an Matrix die "technischen Qualifikationen" hervorgehoben und dabei auch explizit erwähnt, dass das Data Mining den "Terrorquotienten" beinhaltet. Verwunderlich ist dies keineswegs, denn ebendies war ja auch Sinn des Terrorist Information Awareness Projekts der Darpa, zudem arbeitet man an einer Liste mit potenziellen Terroristen, in die möglicherweise auch die Ergebnisse von Matrix einfließen (Eine Terroristen-Master-Liste soll den Informationsfluss verbessern).

Wie es in einer Präsentation von Seisint heißt, wurden die 120.000 Namen der Verdächtigen oder nach dem "high terrorism factor" Auffälligen kurz nach dem 11.9. der Einwanderungsbehörde INS, dem FBI, dem Secret Service sowie der Polizei von Florida übergeben. Unter den Personen, die unter den ersten 80 Nennungen auf der Liste standen, sollen nach Seisint 5 der Flugzeugentführer vom 11.9. gestanden haben, 45 seien als Personen identifiziert worden, die von Strafverfolgungsbehörden untersucht werden oder wurden, 30 seien unbekannt gewesen. Auf die Liste hin seien zahlreiche Verhaftungen vorgenommen worden, wirbt Seisint. Tatsächlich wurden in den Tagen nach dem 11.9. Hunderte von Menschen aus arabischen Ländern vom FBI festgenommen (Alles in Ordnung). Ein Verdächtiger im Hinblick auf Terrorismus befand sich aber nicht darunter. Die Bürgerrechtsorganisation kritisiert daher nicht nur die Fehlerhaftigkeit des Programms, in dessen Datenbank die Daten aller Bürger durchsucht werden, sondern vor allem auch, dass es überwiegend in den Dienst der normalen Strafverfolgung gestellt werden soll.