Medien in Frankreich: Größter Vertrauensverlust seit Jahren

Glaubwürdigkeit und die Wahrnehmung der Unabhängigkeit der Journalisten sind ganz unten angelangt

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Ausgerechnet in dem Land, das so viel mit seiner aufklärerischen Tradition wirbt und dessen Regierung eine große Debatte bemühte, sind die Medien mit einer bislang ungekannten Dimension des Vertrauensverlusts konfrontiert. Eine kürzlich erschienene Reuters-Studie bestätigte die Misere: "The biggest fall in trust in years", wird über Frankreich berichtet.

Der Studie, die auch danach fragte, wie es um die Bereitschaft steht, für Online-Nachrichten Geld locker zu machen (Journalismusdämmerung? Für Online-Nachrichten will kaum jemand zahlen), war im Januar ein Stimmungsbarometer vorausgegangen, das in der Medienwelt einen Ruf hat, und das zum gleichen Befund kam: "Die Glaubwürdigkeit, die unterschiedlichen Informationsträgern zugestanden wird, und die Wahrnehmung der Unabhängigkeit der Journalisten sind ganz unten angelangt." (Frankreich: Vertrauen in Medien am Tiefpunkt).

Die Pointe, wenn man dies so nennen will, des Medienbarometers war, dass gleichzeitig ein Anstieg der Nachfrage nach News und Informationen festgestellt wurde. Anfang des Jahres dominierten die Proteste der Gelbwesten die Nachrichtenlage im Nachbarland. So fiel auch bei der Kantar-Umfrage auf, dass lediglich ein Drittel der Befragten zufrieden mit der Medienberichterstattung zu den Gelbwesten war. Genau diesen Aspekt betont auch die Reuters-Studie.

Die Libération veröffentlicht dazu heute einen Nachschlag in ihrer Kolumne CheckNews, die sich "Entgiftung" (Désintox) von Nachrichten als Zweck ausgesucht hat. Die Frage lautet heute: Ist das Vertrauen der Franzosen in ihre Medien auf ihrem Tiefstand?. Die Antwort bleibt unverändert: "Ja".

Nur 24 Prozent der Französinnen und Franzosen gaben an, dass sie den Medien trauen. Das sei der tiefste Stand, den Reuters jemals ermittelt habe. Allerdings fragt die Studie erst seit 2015 nach dem Vertrauen und schon damals war es eine Minderheit - nämlich 38 %. Damit war aber der Kredit doch deutlich höher als bei den Mediennutzern im Jahr 2019. Die Désintox-Kolumne erwähnt ebenfalls das Ergebnis der Kantarstudie und spricht von einer beachtenswerten Erosion zwischen 2018 und 2019: eine Abnahme des Vertrauens seither von 11 Prozentpunkten bei Reuters und im Durchschnitt von 6 Prozentpunkten beim Medienbarometer.

Die Berichterstattung über die Gelbwesten - Medien in einer "Übergangsphase"

Begründet wird das besonders schlechte Abschneiden Frankreichs gegenüber den anderen Ländern, inklusive Deutschland, in der Reuters-Umfrage mit der Berichterstattung über die Gelbwesten (Gilets jaunes). Alice Antheaume, die französischen Korrespondentin des "Institut Reuters" und Lehrerin einer renommierten Journalistenschule, meint, dass sich die französischen Medien in einer "Übergangsphase" befinden.

Sie hätten sich schwer getan mit einer Bewegung ohne "Anführer, Struktur und Agenda". Dazu komme, dass die Protestbewegung die traditionellen Medien als Problem betrachtet habe und die Journalisten hart kritisiert - und auch körperlich angegriffen - wurden. Zur Kritik bemerkt sie, dass man den Medien in Frankreich eine zu sehr aufs Sensationelle ausgerichtete Berichterstattung vorwerfe. Dass zu viel dramatisiert wurde, war auch bei der Studie von Anfang des Jahres moniert worden.

Allerdings lieferte France Soir, wo man durchaus qualitativ außergewöhnliche Artikel finden kann (etwa von Matteo Puxton zum IS in Syrien), gestern ein Beispiel dafür, dass der Weg von einer "Überdramatisierung" zur Diffamierung sehr kurz sein kann. Dort war ein Bericht über Dieudonné, der mit Vorliebe die obszöne, antisemitische Geste der Quenelle ausstellt, so überschrieben, dass auf die Nennung der Gelbwesten sehr schnell das Wort "Antisemitismus" folgt: "(…) Dieudonné: Gilets jaunes, livres antisémites et 'quenelles'".

Im Bericht selbst ist mit keinem Wort die Rede von den Gilets Jaunes (Gelbwesten); sie werden gar nicht erwähnt. Aus dem Text geht damit überhaupt nicht hervor, warum sie in der Überschrift stehen. Den Zusammenhang müssen offensichtlich die Leser selbst herstellen, indem sie sich an Vorwürfe erinnern, die im Zusammenhang mit dem Brüllen antisemitischer Aussagen und Parolen und der Geste der Quenelle gegen Teilnehmer der Gelbwesten-Proteste erhoben wurde. Das wurde in den Medien breit und als pars pro toto dargestellt, obwohl es sich nur um einzelne Teilnehmer handelte (Antisemitismus in Frankreich: Vorwürfe gegen Gelbwesten).

Nun hat sich Aude Lancelin, eine Journalistin, die zuvor beim Nouvel Obs und dann bei Le Média gearbeitet hat, entschlossen, ein neues Medium zu gründen, "alternativ zum Mainstream". Nicht zuletzt wegen der auffälligen Schematisierung der Gelbwesten-Proteste in großen Medien.

Man kann gespannt sein, wie dies angenommen wird. Ob die neue Nische sich gegenüber der Macht der von großem Geld finanzierten Medien durchsetzen kann? Zu hoffen ist, dass dies nicht das einzige Signal eines "Übergangs der Medien" ist, die sich aus dem Tiefstand der Glaubwürdigkeit herausarbeiten müssen.