Medienmisstrauen: Wenn Bürger sich nicht verstanden fühlen
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"Von Lügenpresse und abgehobenen Eliten": Studie über Vertrauensverlust in Medien und Politik in Sachsen. Doch erhellen die Ergebnisse ein größeres Feld.
Zum Misstrauen von Bürgerinnen und Bürgern gegenüber Medien und Politik lässt sich längst eine ganze Bibliothek aufstellen. So sind Wiederholungen kaum zu vermeiden und Neues zu entdecken, ist schwierig. Der Studie mit dem Titel "Von Lügenpresse und abgehobenen Eliten", so viel kann man in aller Kürze vorwegnehmen, gelingt es, aus einem größeren Feld hervorzustechen.
Ein Grund dafür ist, dass es sich um eine qualitative Studie handelt. Die Leipziger Medienwissenschaftler legen keine Aneinanderreihung von Prozentzahlen vor. Judith Kretzschmar, Markus Beiler und Uwe Krüger haben 61 Tiefeninterviews mit Angehörigen verschiedenster Milieus durchgeführt.
Was sie herausgefunden haben und welche Denkfäden sich an ihre Ergebnisse knüpfen, haben sie auf 331 Seiten niedergeschrieben, die auf der Seite des transcript-Verlags frei im Netz zugänglich sind, weshalb hier nur ein paar Schlaglichter angesprochen werden sollen, die die Untersuchung lesenswert machen.
Risse im Vertrauen von Bürgern
Es geht den Verfassern – von denen wahrscheinlich Uwe Krüger wegen seines 2016 erschienenen Buches "Mainstream. Warum wir Medien nicht mehr trauen, das zum Bestseller wurde, der bekannteste sein dürfte – um Risse im Vertrauen von Bürgern in den Journalismus und in das politische System sowie um die daraus entstehende dritte Frage, was beides miteinander zu tun hat.
Ihr Forschungsfeld ist begrenzt auf Sachsen, als "Hotspot der Medienskepsis und der Zustimmung zum Rechtspopulismus", und die Aussagen von 61 Tiefeninteriewten haben ebenfalls ihre Limitationen, worüber die Autoren auch ausführlich in ihren Schlussfolgerungen eingehen: Die Studie ist nicht repräsentativ. Aber sie liefert einige Erhellungen aus der Nahsicht.
Kritik
So ist ihr zu entnehmen, dass das Misstrauen nicht aus irrationalen Verschwörungstheorien entspringt, sondern aus Sicht der Befragten aus konkreten Wahrnehmungen und Erfahrungen.
Viele Bürger empfinden Medienberichte über Themen wie die Corona-Pandemie oder den Russland-Ukraine-Konflikt als einseitig und politisch gefärbt, was den "Hostile-Media-Effekt" widerspiegelt. Hinzu kommt eine Kritik an der kommerziellen Natur der Berichterstattung.
Mangelndes Repräsentationsgefühl
Ein mangelndes Repräsentationsgefühl ist ein wesentlicher Grund für das schwindende Vertrauen in die Politik. Bürger fühlen sich von "fernen Eliten" nicht verstanden und ihre Lebensrealität nicht abgebildet. Dies fördert das Bild einer abgehobenen politischen Klasse.
Die Studie zeigt, dass ein starkes Misstrauen gegenüber den Medien oft Hand in Hand mit einer Skepsis gegenüber der Politik und einer generellen Unzufriedenheit mit der Demokratie geht. Dies verdeutlicht die enge Verbindung zwischen Journalismus- und Politikvertrauen.
Vertrauensbildende Maßnahmen
Um das Vertrauen zu stärken, schlagen die Autoren vor, über die Arbeitsweise von Medien und Politik aufzuklären und einen konstruktiven Dialog zu fördern.
Ein konstruktivistisches Verständnis von Medien und mehr Transparenz könnten zu einem realistischeren Bild beitragen. Ebenso könnten Bürgerjournalismus und partizipative Ansätze wie Bürgerräte das Gefühl der Repräsentation und Teilhabe stärken.
Grundlagen des Verständnisses
Die Studie liefert nicht nur eine Diagnose, sondern auch Vorschläge zur Therapie der Vertrauenskrise: Durch Schulbildung und öffentliche Veranstaltungen soll ein Verständnis für die Konstruktionsprozesse von Medieninhalten gefördert werden.
Interessant ist, was die Verfasser hier als gute Grundlage herausstellen, die in der Wirklichkeit längst da ist:
Anschlussfähig an eine rationale, wissenschaftlich fundierte Debatte scheint die Medienkritik in unserem Sample auch deshalb zu sein, weil kommunikationswissenschaftliche Fachtermini bereits in die Alltagssprache diffundiert sind: Einseitigkeit und »Propaganda« werden in den Interviews zuweilen verbunden mit "Framing", "Agenda-Setting" und Nachrichtenselektion.
Die Reflexion darüber, dass journalistische Inhalte kein simples "Spiegeln" bzw. "Abbilden" der Welt darstellen, sondern eine Konstruktion von Wirklichkeit mit Auswahl-, Strukturierungs, Akzentuierungs- und Einordnungsleistungen, hat offenbar begonnen, muss allerdings noch zu Ende gedacht werden.
Framing (also das Rahmen und Strukturieren eines Themas), Agenda-Setting (also das Setzen einer Themenagenda für die Öffentlichkeit, die diese dann behandelt) und Nachrichtenselektion (also das Auswählen aus der unendlichen Fülle an potenziell berichtenswerten Ereignissen auf der Welt) erscheinen in manchen Interviews als verwerfliche Taten, sind allerdings bei jedem kommunikativen bzw. journalistisch-redaktionellen Akt unvermeidlich.
Man kann nicht nicht framen, nicht nicht auswählen und nicht nicht beeinflussen, worüber die Rezipierenden nachdenken.
Sieben Interviewte gestanden zu, dass absolute Objektivität oder Vollständigkeit unmöglich sei, und artikulierten damit von sich aus eine konstruktivistische Sicht auf das Verhältnis von Massenmedien und Realität.
Diese Einsicht gilt es in der Bevölkerung zu verbreiten und zu vertiefen, sei es durch Schulbildung, öffentliche Veranstaltungen, Medienjournalismus oder selbst ausgeübte publizistische Tätigkeiten (Bürgerjournalismus, Schulmedien, Offene Kanäle).
Studie: Von Lügenpresse und abgehobenen Eliten
Bürgerräte und Zukunftswerkstätten könnten als neue Formate der Beteiligung und Mitsprache dienen. Journalistisches Handwerk und Rollenverständnis sollen im Sinne einer konfliktsensitiven Berichterstattung und des konstruktiven Journalismus weiterentwickelt werden, hofft die Studie.