Mehr Demokratie wagen…

Seite 3: Hohle Worthülsen mit beliebigen Inhalten

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Leerformeln nannte der österreichische Philosoph und Soziologe Ernst Topitsch (1919-2003) in Weltanschauungen und Ideologien vorgetragene Immunisierungsstrategien, die als "hohle Worthülsen" mit beliebigen, sich widersprechenden Inhalten gefüllt werden.

Für die weitgehend austauschbaren Volksparteien haben die ursprünglichen Ziele von Wahlkämpfen - nämlich politische Alternativen aufzuzeigen - völlig an Bedeutung verloren. Es geht um alles Mögliche und auch Unmögliche: Nur nicht darum, politische Alternativen aufzuzeigen. Bloß nicht. Die Parteien üben sich stattdessen in einfältiger Polemik gegenüber den politischen Gegnern. Sachfragen spielen in diesen Schlammschlachten ohne allzu viel Schlamm keine Rolle mehr. Und das wiederum steigert den Verdruss der Wähler.

Wahlkämpfe in demokratischen Staaten dienen schon längst nicht mehr dazu, die Wähler zwischen politischen Alternativen entscheiden zu lassen. Sie sind professionell inszenierte Showveranstaltungen, für die Parteiführungen politische Themen aufbereitet haben, die sie für die Bevölkerung von PR-Experten auf theatralische Weise in Szene setzen lassen. Bloß keine kontroversen Themen aufbringen. Die muss man vermeiden wie der Teufel das Weihwasser. Stattdessen wählen die PR-Fritzen für viel Geld völlig unverdächtige Themen aus wie "Wir setzen uns für Euch ein" oder gar "Wir kämpfen für Euch". Die Bürger wissen längst: Die kämpfen nur für sich selbst.

Öffentliche Veranstaltungen wie Wahlen dienen nur noch dazu, mit viel Mühe den demokratischen Schein zu wahren. Auch wenn der offensichtliche Betrug schon längst nicht mehr funktioniert. Wichtige Entscheidungen fallen trotzdem nur in dunklen Hinterstübchen und im kleinen Kreis der wahren Entscheidungsträger. Die Demokratie hat sich längst abgeschafft.

Eine der am meisten strapazierten Leerformeln ist "Populismus". Populist ist jeder, der einem gerade nicht in den Kram passt. Kaum sagt ein altgedienter Linker etwas nicht so hundertprozentig Linkes, ist er ein Linkspopulist der den Leuten der breiten Masse nach dem Maul redet. Bei altgedienten Konservativen ist das Diffamierungsetikett inzwischen so abgegriffen, dass die allesamt und über Bausch und Bogen einfach nur als "Populisten" abqualifiziert werden.

Nur in seltenen Fällen wird da speziell unterschieden zwischen CSU-Politikern, die sich nun als "Rechtspopulisten" hervortun, und normalen "Populisten", als die man ganz allgemein alle Vertreter der Alternative für Deutschland (AfD) abtut.

Dabei machen die alle nur das Gleiche: Sie fischen in Gewässern, in denen das den etablierten politischen Parteien höchst unangenehm ist, weil denen die Wählerinnen und Wähler in wahren Scharen davonlaufen. Warum bloß denkt kaum jemand mal darüber ernsthaft nach, warum denen die Wähler weglaufen? Die laufen doch nicht weg, weil ihnen die Populisten nach dem Mund reden.

Solange die etablierten Parteien im Prinzip genau dasselbe taten und mit ähnlich primitiven Leerformeln aus der PR-Küche Wähler gewannen, hieß das "demokratischer Wahlkampf" oder vielleicht sogar "mehr Demokratie wagen".

Wolfgang J. Koschnick ist Autor des Buchs: Eine Demokratie haben wir schon lange nicht mehr. Das Ende einer Illusion. Westend Verlag 2016.