Meine Neuseeland Road Show

Seite 2: Hindemith, Wikinger und Regen

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Ich übernachte im Gäste-Häuschen, das es noch nicht gab, als ich zuletzt hier war. Rolf hat es also, wenn ich nachrechne, gebaut, als er schon um die 80 war. Es ist selten, dass man einen Literaturprof trifft, der auch als Zimmermann etwas taugt. Noch seltener, dass er ein Meister seines Fachs ist. Auch das Haupthaus hat Rolf, in den Jahren davor, selber gebaut. Ich bewundere die saubere Arbeit am Holz, die schönen Kupfernägel, die gediegene Einrichtung. Es hat die lichte, luftige Offenheit amerikanischer Häuser, umgeben von Obstbäumen. Zitronen in Gelb und Grün, verschiedene Apfelsorten. Im Hintergrund Äcker und weites Land. Es ist eine der schönsten Wohnstätten, die ich kenne.

Irmgard Seefried, die bayerische Sopranistin, auf einer Decca-Klassik-Platte aus den Fünfzigerjahren mit geistlichen Motetten von Hindemith. Handgemachte Graphik mit kostbarem Silberdruck. Beim Mozart spielte ihr Gatte die Geige: Wolfgang Schneiderhan.

Im Gästehaus, neben dem Bett, ein Bücherregal mit gediegenem Lesestoff, Homer bis Friedrich Engels. Ich blättere die halbe Nacht durch ein Dutzend Bücher. Am Morgen entdecke ich, oben, neben der Küchen-Nische, das Puppenstuben-Wohnzimmer. Hier sitzt ein echter Plattenspieler, gedacht zum Abspielen von Schallplatten, statt zum Scratching. Darunter eine gediegene Klassik-Sammlung, lauter alte Vinyl-Scheiben aus den Fifties und Sixties. Ich entdecke eine Hindemith-Aufnahme, die mir unbekannt ist, und höre sie mir an, während ich meinen Frühstücks-Kaffee ("Espresso" aus der Stempelkanne) trinke.

Das Platten-Label erstrahlt in goldener Klassik-Qualität, sogar das schwarze Vinyl glänzt nach fast 60 Jahren noch völlig unzerkratzt. Welche Silberscheibe könnte DA wohl mithalten?

Kurze Zeit darauf bin ich wieder "on the road". Ich werfe die nächste Kassette ein. Mit "Mahagonny", Twen-Platte aus den Sechzigerjahren, eine Kurzversion der Brecht-Weill-Oper, ausgewählt von Hans Magnus Enzensberger.

Unt dr Haifiisch
Dr hat Zähneee
Unt die trägt eeer
Im Gesiiicht
Unt Mackheath deeer
Hat ein Messor
Doch das Messor
Sieht man niiicht.
Annem schönön Plauen Sonntaag
Liegt ein totor
Mann am Straaand
Unt ein Mänsch geeht
Um die Eck-kö
Den man Mack-kie
Messor neeennt.

Endet bei 48 Minuten mit dem Choral "Können einem toten Mann nicht helfen." Auf der Rückseite, eine langsame Wiener "Drei-Groschen-Oper". Amerikanische und deutsche Sänger und Sängerinnen, aber die Mackie Messer Ballade singt ein Wiener. Sehr gedehnt, sehr moritatenhaft.

Steak and Cheese-Pastete aus der chinesischen Bäckerei in Dannevirke, der Stadt mit dem Wikinger-Symbol. Der Regen lässt das ohnehin nicht aufregende Kaff in noch sang & klangloserer Tristesse versinken.

Dann bin ich auch schon in Dannevirke, einer Stadt, die von Dänen gegründet und besiedelt wurde, und deshalb den Besucher mit gehörnten Pappkameraden begrüßt. Es sind gigantische Laubsäge-Arbeiten, die "Wikinger" darstellen. Ich erwerbe in einer anheimelnd "dänisch" aussehenden Bäckerei einen Pie, eine Pastete, gefüllt mit Fleisch und Käse. Die Betreiber der Bäckerei, indessen, sind einheimische "Chinesen" - nicht mehr und kaum weniger "Dänen" als die übrigen Bewohner der Stadt.

Pinkelpause auf einem Zwischenstopp beim Bahnhof von Waipukurau. Das farbenfrohe "Espresso Loco" (oder "Verrückte Café") ersparte ich mir; trotz der bunten Blumenbänke dröhnt die Ortschaft industrielle Ödnis aus.

Dieses Dannevirke atmet eine gewisse Fadesse, auch im nächsten Kaff, Waipukurau, renke ich mir fast das Gesicht aus vor Gähnen. Ich fahre im Regen an Hastings und Napier vorbei, Städten, die einst von einem Erdbeben unter enormem Verlust von Menschenleben plattgewalzt wurden, und seitdem, seit ihrem Wiederaufbau, als Art Deco-Zentren Neuseelands gelten. Auch die kuriosen Wolkenformationen am Himmel dieser Städte sind berühmt. Aber bei dem unausgesetzten Geregne reizt mich keiner dieser Orte zum Verweilen. Erst nach Napier wird die Landschaft wieder interessant. Zerklüftete, merkwürdige Hügel, Tiere, die im Regen stehen. Ein Grand Canyon im Westentaschenformat. Und seltsam. Kaum noch Verkehr.

Regen, Regen, soweit das Auge reicht. "Lichtfahrer sind sichtbarer" - aber nicht alle fahren auch mit Licht.

Allmählich werde ich unruhig. Ich habe natürlich auf keine Karte geschaut. Der Tank ist nur noch Viertel voll. Und bis zu meiner nächsten Destination sind es 200 Kilometer. Da treffe ich, Glück muss der Mensch haben, mitten im Nirgendwo, in Tutira, auf den Tutira Store, einen Gemischtwarenladen - mit Benzinpumpe draußen vor der Tür. Hier tanke ich, um 15:01 Uhr, wie mein Kassenbon beweist, für 40 Dollar - und tatsächlich gibt es auf dem Rest der Strecke, bis nach Gisborne, keine zweite Tankstelle. Ich hätte also, wäre ich hier, in der Wildnis, stecken geblieben, schön dumm ausgesehen, denn am Sonntag kommt keine Rettung von der Automobile Association, und das Handy funktioniert hier ebenfalls nicht.

Zuweilen dramatische Hügelformationen und vermoderte alte Brücken unterbrechen die grüne Monotonie nur notdürftig. Hier gab es einst überall Urwald. Geblieben ist nur der Regen.

Die Strecke ist aber auch so schon ziemlich horrormäßig. Zunächst einmal gelingt es selbst dem spärlichen Verkehr offenbar jede Menge Possums totzufahren. Der Road Kill ist beträchtlich. Ständig erheben sich vor meinen Scheinwerfern große Flattermänner - Harriers, eine australische Falken-Art - die sich an den niedergemachten Fellträgern gütlich tun. Bei halber Dunkelheit fahre ich selber an einem kleinen Burschen vorbei, der am Straßenrand mit flehend vor den Augen erhobenen Pfoten steht, und zu rufen scheint, "Bitte, blende mich nicht!" Vielleicht wollte er auch sagen: "Bitte fahr nicht weiter!"

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