Meine Neuseeland Road Show

Seite 3: Wiener, Roadkill und Coffee Chic

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Während Weezers Island in the Sun von einer FM-Fear Cassette an mir vorbeidüdelt, erinnere ich mich an einen Andreas aus Wien, der mir einst auf der Südinsel von Neuseeland begegnete. Ich fuhr als Beifahrer, also links, wo sonst das Steuer ist, mit einem Fotografen-Kollegen, an einem Radfahrer vorbei und rief ihm durchs offene Fenster zu, sich ran zu halten. Er strampelte gerade mühsam bergauf. Aus dem einzigen Diphthong, den er äußerte, erkannte ich natürlich den Wiener, und wir hielten an, um mit ihm zu quatschen. Dann bat ich ihn, sich für ein Foto mit seinem Rad hinzustellen. Nein, noch einen Schritt weiter zurück. Und schon trat er auf ein sklerotisiertes Possum. Ich sagte: "Hearst, des is makaber. Do liegt ja a Kadaver. Wer is'n des? Kennst du den?" Und er antwortete: "Naaa- bei dem zerschnitt'nen G'sicht kann i des net sehn." (Nicht-Wienern zur Erklärung: Es handelt sich dabei um ein Spontan-Zitat aus "Da Hofa" von Wolfgang Ambros, einem Austro-Pop-Klassiker. Selten fand ich populäre Kultur so rasch so nützlich, und so zu Herzen gehend.)

Hier, in der grau-blauen Vampirlandschaft vor Gisborne, kommt allerdings keine Stimmung auf, höchstens Beklemmung. Und dann klemmt sich tatsächlich, bei 80 Km/h, auf gewundenen Serpentinen, plötzlich ein wolfsgesichtiger Sattelschlepper an meinen automobilösen Hintern. Fünf Meter hinter mir fährt er, Tempo 80, 90, 100, wieder 80, er lässt sich nicht abschütteln. Ich fühle mich an den ersten Film von Steven Spielberg erinnert, (Duel, 1971) wo ein bösartiger Truck einen armen Teufel zur Hölle jagen will. Endlich sehe ich eine kleine Ausweichparzelle neben der Straße, biege seitwärts ab und bremse mit 80 Sachen auf engstem Raum, während der Riese mit lautem BAAAAAHHHHP an mir vorbeidonnert. Hinten drauf geladen ein überdimensionaler Container mit der gigantischen Aufschrift HAMBURG-SÜD. Drecksau, schimpfe ich hinter ihm her.

Gisborne in Blau. Gisborne ist der "Planet Pluto" der neuseeländischen Städte, eine Welt für sich. Trotzdem. Gäbe es da nicht ein wenig Blau in der Landschaft, das Auge würde glatt daran abgleiten.

Als ich in Gisborne eintreffe, bin ich ziemlich bedient. Diese Stadt ist so etwas wie der Planet Pluto unseres Sonnensystems, gerade groß genug, um als eigener Planet zu gelten, und zugleich der größte in seinem - sehr abgelegenen - Winkel. Was nichts daran ändert, dass Gisborne trotzdem ein trauriges Kaff ist, und an der Stadteinfahrt fährt man endlos an Motels vorbei, die alle "Vacancies" aufweisen, weil natürlich kein Mensch, der noch ein bisschen bei Verstand ist, jemals in dieser Gegend Station macht. Die Straße, auf der ich hier hereinschneie, ist einfach nur grau, aber irgendein Zufall hat ein paar massive BLAU-Akzente hinein gepflanzt. Das ist schön, und ich mache ein paar Fotos davon, tanke noch einmal, dann bin ich auch schon wieder weg. Durch die immer dunkler werdende Nacht mit ihren unfasslich hellen Sternen fahre ich nach Opotiki, dann weiter nach Whakatane.

Hier habe ich einst als Reporter des Lokalblatts gearbeitet. Ich finde mich auch nach 35 Jahren noch bei nächtlicher Sparbeleuchtung fast mühelos zurecht. Um Mitternacht geselle ich mich zu den Fahrzeugen der PflegerInnen auf dem Parkplatz vorm städtischen Krankenhaus, lege den Sitz zurück, ziehe ein Kopfkissen und den Schlafsack hervor, setze mir eine Mütze und den Hut auf und verbringe eine geruhsame Nacht. Am nächsten Morgen benutze ich das Klo der Notaufnahme, und suche mir dann eine Frühstücks-Klause. Es muss natürlich McDonald's sein, denn um 7 Uhr früh ist sonst noch nichts auf. Das McCafé hat allerdings 24 Stunden lang, rund um die Uhr geöffnet. "Gibt's denn hier überhaupt genug Leute, um so ein Lokal 24 Stunden lang offen zu halten?" frage ich die freundliche junge Frau an der Theke. "Sieht ganz so aus", sagt sie. Und das scheint sie auch zu freuen. Ich bestelle mir daraufhin ohne weitere Zwischenfragen ein "Großartiges Kiwi-Frühstück". (Anmerkung: Es heißt so.) (Weitere Anmerkung: "Kiwis" sind die Neuseeländer selber, nicht etwa die Kiwi-Früchte. Die gibt es hier nicht zum Frühstück. Ein richtiges Neuseeland-Frühstück besteht aus gebratenen Eiern, Bratwürsten, Bratkartoffeln, gebratenen Pilzen, Tomaten, möglicherweise Bohnen mit Ketchup, Speck, und etlichen Scheiben Toast, und dazu Tee oder Kaffee. Bei McD's gibt's so was natürlich nur in der Diminutiv-Version.)

McDonald's in Whakatane, 24 Stunden geöffnet.

Kurz darauf, es ist ungefähr Halbacht, fahre ich an einem Wagen vorbei, der die Aufschrift "Coffee Chic" trägt. Eine junge Frau serviert dort mit einer Espresso-Maschine Kaffee am Straßenrand. Ich frage mich, ob das ihr eigenes Geschäft ist, und ob sie sich als "schicke Kaffee-Verkäuferin" anpreist, oder als "Kaffee-Mädel." Das Wort "Chick" als Bezeichnung für eine junge Frau war zeitweilig außer Mode gekommen. Ich mache also eine Kehrtwendung, bestelle mir einen Kaffee, schwarz, und frage sie persönlich. Sie heißt Stevie-Lee, und es ist nicht ihr eigenes Business. Sie ist nur eine Angestellte. Ja, sagt sie, der eine ihrer beiden Chefs denkt bei dem Wort "chic" wohl eher an "elegant", der andere dagegen an "Mädel". Vier solche Wagen sind unterwegs, an manchen Morgenden verkauft sie an die 40 Tassen, bei manchen anderen Anlässen auch schon über Tausend. Ich denke bei solchen Jobs gewöhnlich daran, wie und wo man wohl mal eine kleine Pause machen kann, wenn man mal "muss"? Vor allem wenn der Morgen kalt, nass und unfreundlich ist? Aber das diskutieren wir heute nicht.

Den fahrbaren Kaffee vom "Coffee Chic" liefert Stevie-Lee bereits in aller Frühe. An manchen Morgenden bis zu 40 Tassen, bei besonderen Anlässen können es auch über Tausend sein.

Und der Morgen ist auch nicht nass, kalt und unfreundlich. Im Gegenteil. Von Whakatane bis Tauranga strahlender Sonnenschein, eine wahrhaft schöne Strecke, fast durchgängig am Meer entlang. Daneben, noch näher am Strand, führt auch die Bahn ihre Schienen. Das Wort "Reissverschlussverkehr", im Deutschen üblich in der Form, "dreisträngig, geht in eins", gab es hier, wie mir auffällt, bislang noch nicht. "MERGE like a ZIP" steht auf Verkehrstafeln, das Konzept wird den Fahrern eben erst beigebracht. Dafür gibt es hier den Verteilerkreis - gerade auch in Whakatane - wo ein Stadtplaner diese Verkehrsrondells wohl aus lauter Daffke alle 100 Meter neu hingepflanzt hat.

Wild ausschlagender Mais am Rand eines Maisfeldes. Auf dem Baum daneben wachsen Dinger, die aussehen wie Maiskolben aus einem jahrtausendealten Inkagrab; es sind aber nur eine Art vertrocknete Tannenzapfen ...

Und schließlich erreiche ich Tauranga, das Ziel meiner Reise. Ein Simpsons-Himmel, blau mit weißen Wölkchen, die sich bald verziehen. Blau von einem Ende bis zum andern. Angenehme Wärme um 25 Grad. Raffinerien, ein Bootshafen mit einem veritablen Wald an Segelmasten. Und auch der Kommerzhafen dieser 100.000-Seelen Kommune ist umschlagskräftiger als der von Auckland, der 2-Millionen-Metropole. Stadtautobahnen stürzen wie Wasserfälle aus allen Richtungen zum Zentrum. Wie in einer amerikanischen Großstadt sind die Avenuen nummeriert statt benamt. Witzige kleine Stadt.

Die feineren Nuancen der Zivilisation, Zähneputzen am Straßenrand in Tauranga. Die rotglühende Zahnpasta mit Sassaparillo-Geschmack darf eigentlich nicht in den Gulli, denn das Abwasser hier fließt ziemlich direkt ins Meer...

Und ich treffe bei guten alten Freunden ein, die mich für einige Tage beherbergen werden. Auch ihr Haus hat die luftige, licht-durchflutete Offenheit amerikanischer Häuser. Das Ganze gebaut aus Holz. Wir sitzen auf der Terrasse, diskutieren das Erdbeben von Christchurch, diskutieren das Erdbeben von 1987, als Tauranga und die ganze Umgebung längere Zeit immer wieder schwer erschüttert wurde. Wie man damals alle schweren Gegenstände, die einem auf den Kopf hätten fallen können, auf dem Fußboden ausbreitete. Wie man Mühe hatte, bei den heftigen Bewegtheiten der Erde, aufrecht zu stehen, ohne sich irgendwo festzuhalten.

Ein zauberhafter Garten in Tauranga, mit feuerroten chilenischen Fuchsien, gigantischen Basilikum-Pflanzen, Feijoas, eine Guavenart, (milden) "Damen-Pepperoni", gigantischen Bananen-Stauden mit extraterrestrischen Blütengehängen und, nicht zuletzt, Passionsfrüchten, einem alles überwuchernden Lianengewächs.

In den nächsten Tagen, und nun ist es hier schon Herbst, aber jeder Tag ist warm und sonnig, genieße ich den Garten mit seinen schon lädierten aber immer noch strahlenden Rosen, mit seinen unzähligen Obstbäumen, mit den gigantischen Bananenstauden, deren Biologie rätselhaft und faszinierend ist, mit seinem duftenden Rauch verbrannter Gartenabfälle - und mit seinen Schmetterlingen. Große, rot oder orangenfarben gemusterte Monarchs segeln - sie flattern nicht, sie segeln - um die Milkweed-Sträucher herum, deren giftige Blätter ihnen Nahrung und Schutz vor dem Gefressenwerden bieten. Freilich nicht vor den Wespen, die ihnen in jeder Phase nachstellen, die ihnen auch im Raupenstadium durch den harten Chitin-Panzer ein Loch bohren und ihre lebendige Biomasse aussaugen. Gerade in diesem Verpuppungszustand sehen die Monarchen besonders "schmuck" aus, als wären sie Gehänge aus Jade und Gold, die, an einem Goldkettchen, um den Hals einer Frau getragen werden wollten. Und ich beobachte das Schauspiel der "Wiedergeburt", als der voll entwickelte Schmetterling sich aus seiner Brutkiste befreit, die großen, schlaffen Flügel eine Stunde lang abtropfen lässt - ist es Fett, das aus ihnen entweicht? - und sie dann allmählich aufbläht und plötzlich - als wäre das alles gar nichts Neues für ihn, ein Experte der Flugkunst - in diesem Garten Eden seine Kreise zieht.

Ein kleiner Garten-Elefant aus Zinn, bzw aus Thailand, der hier vermutlich über die Wohlgerüche wacht. Beim Verbrennen der Abfälle entsteht jedenfalls ein deutliches Aroma von Ganesh-Beedies. Weiter: Puppe des Monarch-Schmetterlings und ein frisch geschlüpfter Monarch Schmetterling

Meine Neuseeland Road Show (29 Bilder)

Unterwegs ein Stopp in Otaki. Eine gottverlassene Landschaft, der man offensichtlich aber auch nicht entfliehen kann. Das einzige Auto weit und breit steht auf Stelzen, ohne Räder, einsam in der schrundigen Botanik.

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