Mem_brane - Labor für mediale Strategien

Seite 2: Zur Situation der Medienkunst

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Den Schwerpunkt im Sommerprogramm bildet "ein Gespräch über die Arbeitsbedingungen im Bereich kritischer Medienkunst" unter dem Titel "Medien Kunst Aggregate" am 5.Juli mit Margarete Jahrmann (popTarts), Michael Krome (Galerist), Nils Röller (KHM), Pit Schultz (Nettime Editor) und den Knowbotics selbst. Mitinitiator und Gesprächsleiter ist Andreas Broeckmann (Kulturhistoriker, V2-Organisation, Rotterdam). Broeckmann schrieb in einem begleitenden Statement zu "Medien Kunst Aggregate":"Es findet eine willkommene Verlangsamung des Diskurses über Medienkunst statt. Die bisherige Notwendigkeit, sich vom Hype um die technologische Entwicklung in futurologische Spekulationen treiben zu lassen verkehrt sich in ein Zögern. Eine Mischung aus Überdruß und Ratlosigkeit führt zu einer Haltung kritischer Reflexion darüber, welche Rolle - sagen wir - Medienkunst spielen kann, wo Ansatzpunkte für produktive Interventionen liegen, an welchen Stellen eines sich verfestigenden Feldes möglicherweise Öffnungen, Turbulenzen, Brüche, Flüsse initiiert werden können."

Diese Fragestellung ist sicherlich für den gesamten Bereich der sogenannten Medienkunst wichtig. Noch direkter aber spielt sie auf die Situation einer bestimmten Generation von Medienkünstlern an. Obgleich die Einteilung in Generationen immer fragwürdig ist, könnte man von einer ersten Generation sprechen und dabei Namen wie Weibel oder Jeffrey Shaw nennen. Diese Künstler sind inzwischen soweit etabliert, bzw. institutionalisiert, daß sie keine Probleme haben, ihre Arbeiten und Ausstellungen zu finanzieren und ihre Meinungen auch in Mainstream-Diskursen zu Gehör zu bringen. Diese erste Generation hat, was wohl ein Grundproblem des Etabliertseins ist, wenig Anstöße von außen, die sie zu einer grundlegenden Revision ihrer Position zwingen würde. Deshalb wird Jeffrey Shaw sicherlich weiterhin interaktive Virtual Reality Installationen produzieren und Peter Weibel seine diskursive Kontextkunst über die Ausstellungshallen dieser Welt verstreuen. Nach ihnen kam, chronologisch gesehen, erst mal lange nichts, sofern man das traurige Zwischenspiel der Videokunst in den Achtzigern außer acht läßt. Erst Ende der achtziger-, Anfang der neunziger Jahre wurde eine neue Diskurskraft in der Medienkunst spürbar. Zu den Verursachern dieses frischen Winds zählen auf jeden Fall Knowbotic Research, Ulrike Gabriel, Christa Sommerer, um einige der bekanntesten Namen zu nennen. Ich nenne sie im folgenden die "zweite Generation" von Medienkünstlern. Obwohl Pauschalisierungen natürlich immer den Kern des Reduktionismus und damit der Falschheit beinhalten, erlaube ich mir, diesen Begriff von der "zweiten Generation" einzuführen und möchte versuchen, einige gemeinsam Aussagen über sie aufzustellen. Oberflächlich fällt auf, daß sie alle von Peter Weibel protegiert wurden (wobei damit keineswegs gesagt sein soll, daß sie ihren Erfolg allein dem Protektionismus und nicht eigener Leistung zu verdanken hätten) und daß sie um 92/93 herum am Institut für Neue Medien (INM) in Frankfurt/M tätig waren, das Weibel zu diesem Zeitpunkt leitete und das gerade auch aus heutiger Perspektive, zu jener Zeit eine ausgesprochene Keimzelle europäischer Medienkunst bildete.
Weibels Geschick war es, nicht nur die interessantesten jungen Künstler ans INM zu holen, sondern auch für die Ausstattung des Instituts mit einem High-End Maschinenpark zu sorgen. Man könnte nun fragen, "kommt die Maschine zur Kunst oder die Künstler zur Maschine?" Hinter dieser halbernsten Fragestellung verbirgt sich aber ein wichtiger Gedanke. Ist die Arbeit von Medienkünstlern von vorneherein durch die Art der verwendeten Maschine determiniert oder gelingt es ihnen, Aussagen zu machen, die über die reine Technikimmanenz hinausgehen und von allgemeinerer Bedeutung sind? Am INM Anfang der neunziger Jahre standen jedenfalls reihenweise SGIŽs rum und die Künstler waren in der priviligierten Situation, mit Rechenpower nicht geizen zu müssen. Eine ganze Reihe von Kunstwerken entstand, die man auf der Basis ganz oberflächlicher Merkmale (und mit dem bereits erwähnten generellen Pauschalisierungsvorbehalt) einem bestimmten Stil, dem Stil des Instituts für Neue Medien, zuordnen könnte.
Da waren also meist eine oder mehrere Projektionsleinwände, eventuell noch ein reales Objekt (C.Sommerers Pflanzen; U.Gabriels Atmungsgürtel), verschiedene Sensoren (Infrarot, Druck, Wärme) und im Hintergrund mindestens eine obligatorische SGI-Indigo oder gar eine Onyx, die den Sensoreninput in Steuerbefehle umwandelte und daraus in Echtzeit einen grafischen Output für die Projektionsleinwände berechnete. Wenn Broeckmann also schreibt,"...die bisherige Notwendigkeit, sich vom Hype um die technologische Entwicklung in futurologische Spekulationen treiben zu lassen...", dann könnte damit genau jener Frankfurter Installationsstil angepeilt sein, der den User, auch wenn er gar nicht wissen mußte, was in der Installation eigentlich vorging, auf jeden Fall mit einer Fülle Live berechneter visueller Daten auf Großbildprojektionen versorgte. Und das machte sich in dunklen Ausstellungsräumen, untermalt von der entsprechenden Akustik und gestützt von SGI-Rechenpower und Barco-Projektionstechnik immer ausgesprochen gut.

Es wäre wahrlich ungerecht, nun aus der zeitlichen Distanz alle künstlerischen Arbeiten, welche diese Erscheinungsform wählten, als schlecht abzuqualifizieren. Diese Dinge hatten zu ihrer Zeit ihre Berechtigung. Man muß sich vor Augen halten, daß "damals" (ich sage damals, dabei ist das erst drei/vier Jahre her) das Virtual-Reality-Paradigma in der Kunst- und Technologieentwicklung noch wesentlich stärker war. VR kam Ende der achtziger Jahre über den großen Teich zu uns. VR war "die neue Technologie", die als zukunftsweisend gepriesen wurde und die ähnlich wie heute das Web mit allen Vokabeln einer Hoffnungsrhetorik ausgeschmückt wurde, als etwas, das unsere ganze Lebenswelt grundsätzlich und radikal verändern würde. Es ist nur natürlich, daß gerade bildende Künstler, die gewohnt sind, mit "schweren Bilddaten" umzugehen, diese räumliche Echtzeitvisualisierungstechnik bereitwillig verwendeten, wenn sie den Zugang dazu hatten. Für den Zugang sorgten, wie gesagt z.B. Weibel in Frankfurt, aber auch das ZKM mit Jeffrey Shaw und die damals noch junge Hochschule für Kunst und Medien (KHM) in Köln. Es war auf jeden Fall für junge Künstler einen Versuch wert, in diese Richtung vorzustoßen und der VR-Technologie ihre eigenen futuristischen Deutungen zu verleihen. Damals aber wie heute wurde kritisiert, daß die Künstler mit ihren High-tech Arbeiten der Industrie in die Hände arbeiten würden. Indem sie mit Stil und ästhetischem Geschmack das visionäre Potential dieser Technologien betonten, unterdrückten sie die negativen sozialen Implikationen, ließe sich eine Stoßrichtung der Kritik vielleicht in einem Satz zusammenfassen. Ein weiterer Aspekt ist natürlich, daß diese Gerätschaften wirklich sündteuer sind und für Normalmenschen schlichtweg unerschwinglich.

Seit dem "kurzen Sommer der VR" hat sich sehr viel getan. Die "zweite Generation" der Medienkünstler, die Gabriels, Sommerers, Knowbotics erlebten ihre Phase des Hype. Sie wurden mit Preisen überhäuft, ob Prix Ars Electronica oder Siemens Medienkunstpreis, ihre Arbeiten wurden auf allen relevanten Festivals in Europa und schließlich auch in USA und Japan gezeigt. Da die Medienkunst jedoch noch immer vornehmlich in einem Ghetto spezialisierter Konferenzen, Ausstellungen und Festivals gedeiht, kann man des Herumgereichtwerdens in diesem Zirkus allerdings ziemlich schnell überdrüssig werden. Und vor allem: Es kommt nichts nach. Ob system- oder altersbedingt, auf den Lehrstühlen hocken noch immer die gleichen Leute und ob ein solcher für knapp dreißigjährige Künstler erstrebenswert wäre, ist überhaupt die Frage. Der vielbeschworene Synergieeffekt mit der Industrie wurde von dieser wohl immer recht einseitig interpretiert, und so sieht es mit Sponsorship, sieht man von wirklich großen Institutionen oder Festivals ab, recht lahm aus. Die Medienkünstler der zweiten Generation haben sich, so scheint es, gerade durch ihre Erfolge in ein "Zwischen-Aus" katapultiert. Ihre Studien haben sie abgeschlossen, für Hochschulen sind sie also zu jung oder zu alt, je nachdem, wie man es sieht. Das heißt auch, daß sie nun das Problem haben, ihre gewohnte Arbeitsumgebung und Maschinenausstattung aufrecht zu halten, außerhalb der Institutionen, auf eigene Rechnung als Künstler und Privatpersonen. Ein Ausweg kann sein, selbst eine Institution zu gründen, wie das - die Frage wurde in der Deutlichkeit allerdings nicht gestellt - bei Mem_brane der Fall ist, um eine technisch-logistische Arbeitsbasis zu haben.

Die Schaffensbedingungen der Medienkünstler sind schwierig. Eine neue Arbeit herzustellen bedeutet meist auch, ein gut Teil eigener Entwicklungsarbeit zu leisten oder zumindest Industriekomponenten kreativ zusamenzustöpseln. Das aber geht nicht unbedingt so leicht von der Hand wie ein Maler jeden Tag ein neues Bild malt. Die Entwicklung eines neuen Projektes kann leicht ein bis zwei Jahre dauern. In der Entwicklungszeit aber heißt es, keine Ausstellungen, also auch keine Einnahmen.

Und noch ein weiterer, externer Faktor wird nun für die Medienkünstler der zweiten Generationd relevant. Während sie noch ihre Erfolge im VR-Paradigma feierten, ereignete sich das explosionsartige Wachstum des WorldWideWeb. Das Internet rückte ins Scheinwerferlicht und wurde zur neuen Hoffnungstechnologie. Ohne nun auf die vielen guten und wichtigen Gedanken der Netzkritik bezüglich des Netz-Hype einzugehen, läßt sich auf jeden Fall sagen, daß sich damit ein neues Paradigma auch für die Medienkunst eingestellt hat. Der Schwerpunkt liegt nicht mehr auf den alleinstehenden Installationen, die verschiedenartige Möglichkeiten der Mensch-Maschine-Interaktion anbieten, sondern auf der Kommunikation zwischen Menschen über Brücken, welche die Netze anbieten. Um Mißverständnissen an dieser Stelle vorzubeugen, sei gesagt, daß damit keineswegs behauptet wird, die "Zweite Generation" wäre unfähig, mit dem Netzparadigma klarzukommen und damit auch schon alt und langweilig wie ihre Ziehväter der ersten Generation. Gerade bei den sehr pauschalen Vorwürfen, die in letzter Zeit gegen Künstler wie z.B. Knowbotic zu hören waren (Agenten der Industrie; institutionshörig; etc.), kann man nur betonen, daß diese Künstler meist wesentlich unabhängiger, flexibler, institutionskritischer und vordenkerischer sind, als es einem Teil ihrer Kritiker lieb ist, die nun nach dem Rudelinstinkt auf sie einhacken, weil sie denken, jetzt wäre es opportun. Und insbesondere Knowbotics hatten von Anfang an den Netzaspekt als besonders wichtigen Teil ihrer Arbeit implementiert. Wie sie es aber implementiert hatten, nämlich via Onyx oder anderer SGI-Wundermaschine und Datenhelm und-handschuh, mag so manchem Internet-Aktivisten und Pc-User nicht PC (Politically Correct) genug sein. Hier könnte man als Frage - in zwei Richtungen gestellt - aufwerfen, ob die Qualität einer medienkünstlerischen Arbeit von der Art oder dem Preis der verwendeten Maschinen abhängig ist.

Die Summe der Veränderungen jedenfalls, welche die "zweite Generation" der Medienkünstler betrifft, und die sich im Wechsel vom VR-Paradigma zum Netzparadigma subsumieren läßt, läßt es für sie wirklich dringend an der Zeit erscheinen, die eigene Position kritisch zu überprüfen und zu untersuchen, ob es einer Veränderung in Strategie und Praxis bedarf und in welche Richtung diese gehen sollten.