Mem_brane - Labor für mediale Strategien

Seite 3: Der Standpunkt der Knowbotics

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"Eine Mischung aus Überdruß und Ratlosigkeit führt zu einer Haltung kritischer Reflexion darüber, welche Rolle - sagen wir - Medienkunst spielen kann...", schrieb Andreas Broeckmann im Einleitungsstatement zur Diskussion "Medien Kunst Aggregate". Die Notwendigkeit zur Positionsbestimmung und einige mögliche Motivationen (welche z.T. auf einem sehr pragmatischen Niveau angesiedelt sein mögen) für die "zweite Generation" wurde bereits oben beschrieben. Doch auch das neue Orientierungsmerkmal, die "Webness", bzw. die Charakteristika des Netzparadigmas sind nicht ohne Tücken. Denn wie Broeckmann weiter schreibt, ist das Internet, das,"... was noch vor einem Jahr als offenes, anarchistisches Feld beschrieben wurde", nun selbst bereits in einem Verfestigungsprozeß. Die großen Unternehmen haben ihre Claims bereits abgesteckt oder sind dabei und die Präsenz kommerzieller Webserver übersteigt das "browsende" Fassungsvermögen einer, zumindest in Europa, verschwindend geringen Prozentzahl von Privatusern. Universitäre, nichtkommerzielle, künstlerische oder einfach irgendwie kulturelle Inhalte sind gemessen am Gesamtangebot des Webs rückläufig. Die angebliche potentielle Öffentlichkeit von 40 oder 100 Millionen Internet-Usern bildet also wirklich mehr ein virtuelles denn ein reales Publikum, wenn eine so große Zahl kommerzieller Angebote um eine so kleine Zahl potentieller Kunden streitet, noch verschärft durch den Umstand, daß diese Kunden innerhalb der Gesamtbevölkerung einen minimalen Anteil bilden, statistisch festnagelbar auf die Eigenschaften Hautfarbe weiß, geschlecht männlich, Alter zwischen 30 und 40, Einkommen Besserverdienend.

Zitat Andreas Broeckmann: "Andererseits: es besteht keine Notwendigkeit, uns allzu sehr auf die kommerziellen und ideologischen Reterritorialisierungen zu konzentrieren; wir sind mit einer gesellschaftlichen und medialen Formation konfrontiert, die Interventionspunkte anbietet, an denen sich neue Deterritorialisierungen initiieren lassen."

In der Frage, was eine kritische Medienkunst tun kann, ist die Frage aufgehoben, was Kunst überhaupt tun kann und wie sich die Medienkunst zur Kunst verhält. Die Frage "was ist Kunst?" ist wahrscheinlich so alt wie die Kunst selbst und sicherlich nicht endgültig zu beantworten. Die Medienkunst nun hängt an das eine unerklärbare Wort Kunst ein weiteres unerklärbares Wort dran, nämlich Medium. Geht man allein nach dem Wortstamm, dann wäre das ein "Mittel" oder "Mittler", die Medienkunst also ein Mittel, um die Kunst zu vermitteln. Das aber will die Medienkunst ganz gewiß nicht sein, sie will selber Kunst sein, mit allem was sie hat, mit Kabel und Compiler. Auf der Ebene der Verallgemeinerungen läßt sich so wohl nur Worthülse auf Worthülse begrifflich entschlacken und am Ende hätte man ein tausendseitiges Wörterbuch. Deshalb ist es vielleicht nützlicher an einem konkreten Beispiel, Knowbotic Research, über diese Fragen nachzudenken.

Ist Medienkunst ein neues Subgenre der Bildenden Künste oder ist es etwas ganz anderes? Knowbotikerin Yvonne Wilhelm von Knowbotic grenzt sich gezielt von der traditionellen bildenden Kunst ab. Nach ihr ist, "Medienkunst eine Erweiterung des traditionellen Kunstverständnisses...". Zum Unterschied von der objektverliebten Bildenden Kunst sei die Medienkunst, "von vorneherein auf Prozeßhaftigkeit, Systemhaftigkeit und Interaktivität" ausgerichtet. Doch Yvonne Wilhelm geht auch zum Begriff Medienkunst auf Distanz. Sie sagt:"Wir produzieren keine Kunst sondern realisieren interdisziplinäre Projekte".

Die Arbeiten von Knowbotic haben diese Grundannahmen untermauert. In einer ihrer früheren Arbeiten konnten die User eine Datenbank begehen, indem ihre körperliche Aktion im Raum mit optischen und visuellen Reizen gekoppelt wurde. Durch die körperliche Intervention kam es zu einer Auseinandersetzung mit Sinn-Repräsentationen von Daten, die, ob akustisch, visuell oder räumlich codiert, gleichzeitig und überlagert erfahrbar wurden. In ihrer Raumkonzeption verzichteten Knowbotic auf die allzugeläufige Darstellung eines perspektivischen, dreidimensionalen Raums und wählten nebelartige Datencluster. D.h. die Visualisierung war nicht das Ziel, sondern eine Möglichkeit für User, direkt mit den Sounddaten in visueller Form umzugehen. Damit entstand eine Raumkonzeption, die auf Differenzen und fluktuierenden Materialien aufgebaut war. Knowbotic sahen ihre Arbeit immer schon in einem doppelten Bezug sowohl als Theorie, als auch als Praxis. In ihrer Broschüre "Nonlocated Online" ließen sie andere für sich sprechen und stellten Fragen, wie z.B. die, was Territorien und Körper sind, bezogen auf Datennetze, aber auch auf eine immer mehr von Netzen durchdrungene Wirklichkeit. Auf die Frage angesprochen, wie denn nun das Verhältnis von Theorie und Praxis bei Knowbotic sei, ob dies einem Schema "theoretische Hypothese - Experiment - Evaluierung" wie in der Wissenschaft folge, meinte Ivonne Wilhelm, daß sie sich als Künstler die Freiheit nähmen, sowohl in der Theorie als auch bei den realisierten Projekten mit einem wesentlich größeren Gedankenspielraum als die Wissenschaft zu arbeiten. Ein stringentes, utilitaristisches Vorgehen setzt von vorneherein die Ziele und beeinflußt damit die Fragestellung. Knowbotic geht offener an die Dinge heran. Ergebnisse müssen nicht interpretierbar sein, nicht in einen theoretischen Rahmen einpaßbar. Die Theorie bei Knowbotic hat einen noch größeren Freiheitsgrad als die praktischen Arbeiten, weil sie beweglicher ist, weil keine Hardware dranhängt. Knowbotic arbeitet formal ebenso wie praktisch ziemlich eng an fortschrittliche wissenschaftliche Diskurse angelehnt, nimmt sich aber die Freiheit, auch diese noch zu kritisieren. Das wird besonders deutlich an ihrem letzten abeschlossenen Projekt, dem "Dialogue with the knowbotic south" (DWKTS). Verkürzt beschrieben, haben User die Möglichkeit, mit virtuellen Agenten in Kontakt zu treten, die (theoretisch in Echtzeit, praktisch im Dreistundenrhythmus updated) Live-Daten aus den Wissenschaftsnetzen holen, welche Institute von Forschungsstationen auf der Antarktis beziehen. Insbesondere der von Knwobotic in diesem Zusammenhang eingebrachte Begriff der "Computer Aided Nature" hat sehr viel Verwirrung gestiftet. Knowbotic unterstützt nämlich gerade nicht den von manchen Naturwissenschaftlern und Computertechnologen gehegten Glauben, daß alles durch Rechner konstruierbar sei. Vielmehr machen sie diese, wie andere Annahmen, die der großen abendländischen Erzählung der Wissenschaft eingeschrieben sind, in einer künstlerischen Installation erfahrbar. Knowbotic bieten über ihre Agenten den Zugang zu verschiedenen naturwissenschaftlichen Konstrukten von Natur. Durch die Umsetzung als sinnlich erfahrbare Kunstinstallation wird der theoretische Diskurs über Natur und Wissenschaft für die User auf die Ebene einer realen Erfahrung geholt.

In DWTKS haben wir naturwissenschaftliche Erkenntnisstrategien zum Wahrnehmungsmedium umfunktioniert, und das innerhalb eines, wenn es sein muss, künstlerischen Projektes. Es geht dabei um den Begriff der Natur, der durch eine unkonventionelle Datenverarbeitung oder -missbrauch (und das ist das Künstlerische) erneut zur Diskussion gestellt wird, und dies auf der Basis naturwissenschaftlicher Realitätskonstruktionen.

Yvonne Wilhelm

Die Agenten von Knowbotic Research sind also bloß Hilfskonstrukte, beladen mit von den Künstlern gefilterten Naturrepräsentationen wie sie die Wissenschaft erzeugt. Es entsteht ein Raum vernetzter Hypothesen, die für den Rezipienten abstrakt-intellektuell, sprachlich, akustisch, durch Licht und durch Temperatur erfahrbar werden. Nicht alles jedoch, so die Knowbotics, konnte dabei voll umgesetzt, einiges mußte im Theoretischen belassen werden.