Menschen sind nicht auf hohes Alter angelegt

Auch gentechnische Aussichten auf Lebensverlängerung könnten bei einer unerwartet hohen Komplexität der Alterungsprozesse auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen

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Schnelle Fortschritte sind möglicherweise auch für die nächsten Generationen im Hinblick auf das Alter zu erreichen. Unsere Körper sind schlicht nicht auf hohes Alter ausgerichtet. Nach den besten Jahren für die Reproduktion können Tausende von Genen auf unterschiedliche Weise bei verschiedenen Menschen nicht mehr richtig funktionieren. Das könnte bedeuten, dass auch eine künftig perfektionierte Gentechnik, auf die man Hoffnungen gesetzt hat, das Leben verlängern zu können, überfordert wäre.

Unsere Körper, so der Biostatistiker Jay Olshansky von der School of Public Health der University of Chicago, haben sich im Zuge der Evolution so entwickelt, dass wir Kinder erhalten und sie aufziehen können. Die Menschen haben es zwar geschafft, das Altern immer weiter hinauszuzögern und die Lebenserwartung ganz erheblich zu steigern, doch scheint jetzt eine Verlangsamung dieses Trends eingesetzt zu haben, auch wenn einzelne Menschen noch immer älter werden.

Nach Auswertung der Daten über die Lebenserwartung und das Todesalter in Japan, Frankreich und den USA müsse man, so Olshansky bei einem Vortrag während des Jahrestreffens der American Association of the Advencement of Science (AAAS) in San Francisco, davon ausgehen, dass die Lebenserwartung erst im 22. Jahrhundert auf 100 Jahre in Frankreich, in den USA erst im 26. Jahrhundert angestiegen ist. Die bislang älteste Frau, die im Alter von 122 Jahren 1997 gestorben ist, kam ebenfalls aus Frankreich, in das jetzt vielleicht alle schnell übersiedeln sollten, die länger leben wollen. Die meisten Menschen aber, "beruhigt" der Statistiker, werden wohl nicht länger als etwa 85 Jahre leben können, weil dann ihr Körper schlicht nicht mehr mitmacht, sofern man nicht direkt in den Alterungsprozess eingreifen kann.

Biologisch jedenfalls sei der Körper auf kurzfristigen Gebrauch angelegt: "Was wir machen, ist, diese Körper über das Ende der Garantiezeit für lebendige Maschinen hinauszustoßen. Wenn wir daher bis ins hohe Alter überleben, setzen wie bei Autos und Rennwagen Störungen ein, und wenn wir nicht die Struktur unseres Körpers selbst oder den Ablauf, in dem das Alter geschieht, verändern können, wird vieles nicht mehr funktionieren, wenn wir die Grenzen des menschlichen Lebens ausdehnen."

In "If Humans Were Built to Last", veröffentlicht im Scientific American (März 2001) hat Olshansky zusammen mit Bruce Carnes und Robert Butler die Schwachstellen des Körperdesigns herausgearbeitet. Für einen längeren Gebrauch und eine weniger schnelle Abnutzung wäre da beispielsweise von Vorteil, wenn die Augen anders mit dem Gehirn verbunden, die Ohren größer und beweglicher, der Nacken gebogen, der Oberkörper stärker nach vorne geneigt, die Gelenke besser gesichert, die Knochen und Muskeln größer und die Gliedmaßen relativ kleiner wären. Das aufrechte Gehen, so wichtig vielleicht für die Entwicklung des homo sapiens, bringt beispielsweise große Nachteile mit sich: Bandscheibenvorfälle, Rückenschmerzen oder brüchige Venen. Die Verbindung zwischen der Retina und dem optischen Nerv ist schwach und löst sich während des langen Gebrauchs auf, auch die die zum Hören notwendigen Härchen in unseren Ohren geben ihren Geist auf. und dann gibt es auch noch "Installationsprobleme", so dass bei Männern eine sich vergrößernde Prostata das Urinieren behindert.

Weniger optimistisch, was die Möglichkeiten der Verbesserung des Körpers durch Gentechnik anbelangt, zeigte sich jedoch George Martin, Direktor des Alzheimer Disease Research Centre an der University School of Medicine, Seattle. Allerdings räumte auch er ein, dass es durchaus möglich sein könnte, das Leben zu verlängern. Die Lebenszeit sei plastisch: "Wir wissen das, weil man im Labor Fruchtfliegen nehmen und sie so selektieren kann, dass sie 50 Prozent länger als normal leben. Wenn der Natur die Möglichkeit gegeben wird, bessere Allele und Mechanismen zum Schutz von Makromolekülen zu entwickeln, so wird das geschehen. Daher gibt es eine Möglichkeit für erhebliche Verbesserungen der menschlichen Lebenserwartung." (Programmierter Zelltod)

Vorerst schaut es aber nicht so rosig aus, denn es gibt einfach zuviel, was im Zuge des Alterns nicht mehr funktionieren kann. So gibt es vermutlich eine große Zahl von genetischen Varianten, die das Altern beeinflussen und bei unterschiedlichen Menschen unterschiedlich kombiniert sind. Für das Lebensalter bei den verschiedenen Arten sind für Martin vornehmlich Unterschiede bei der Steuerung von Genen verantwortlich, die sich direkt auf den Körper auswirken.

Ab einem Alter von 40 oder 50 Jahren versucht der Körper, sich dem Abbau durch Altern nach dem Höhepunkt der Reproduktionszeit durch Veränderung von Kontrollgenen anzupassen, die wieder die Expression von Genen beeinflussen. So würden beispielsweise die Neuronen in Kompensation zum altersbedingten Verlust von Neuronen sich stärker verzweigen. Aber auch diese kompensatorische Tätigkeit verlangsamt sich mit zunehmenden Alter und hört schließlich auf.

Aber es gibt, so Martin, auch Gene, die zunächst wichtig sind und erst im zunehmenden Alter schädlich werden. Martin führt ein Gen bei Männern an, das den Rezeptor für das Hormon Testosteron codiert. Bei diesem Gen gibt es eine ganze Reihe von Varianten, beispielsweise solche, die die Aufnahme von Testosteron verstärken, was zu größeren, stärkeren und auch aggressiveren Männern führe. Nach Martin ist das aus der evolutionären Perspektive ein Vorteil, gleichwohl müssen solche Männer auch biologisch ihren Preis bezahlen, da sie später einen größeres Risiko haben, an Prostatakrebs zu erkranken, der überdies aggressiver als sonst ist.

Überdies scheinen durch Gene verursachte Probleme auch vom Alter abhängig zu sein, so dass beispielsweise Allele zu unterschiedlichen Zeiten wirken: "Jedes Altersfenster scheint ein unterschiedliches Sandwich an Genaktionen und Interaktionen zwischen Genen und Umwelt zu bedingen." Neben den Allelen gibt es noch die selteneren Mutationen, die aber einen großen Einfluss ausüben können und beispielsweise auch an Alzheimer beteiligt sind. Das große Problem dabei ist, dass Mutationen, deren Auswirkungen erst spät auftreten, nicht mehr unter die natürliche Selektion fallen, da das zeugungsfähige Alter schon überschritten ist. "Das daraus entstehende Bild", so Martin zusammenfassend, "geht dahin, dass es viele 'Achillesfersen' in jedem von uns gibt." (Langes Leben, schlechte Gene)

Bis zu 7 Prozent des menschlichen Genoms könnten für die Produktion von Allelen und Mutationen verantwortlich sein, die den Alterungsprozess beeinflussen und bedingen, dass jeder ein wenig anders altert. Allein beim Bakterium E. coli seien mindestens 100 Gene an der fortlaufend zu leistenden Reparatur der DNA beteiligt. Vermutlich sind das beim Menschen, so Martin, wesentlich mehr. Allerdings spielen beim Altern auch nicht nur die Gene eine Rolle, sondern auch die Umwelt - und vielleicht auch, wenn man sehr alt wird, eine Portion Glück.