Merkel: "Eine aggressive, fremdenfeindliche Stimmung, die in keiner Weise akzeptabel ist"

Die Bundeskanzlerin bezog erstmals eine klare Position zu den Ausschreitungen, beim Treffen mit Poroschenko zeigten sich Hollande und Merkel zurückhaltend

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Vermutlich mit großen Erwartungen war der ukrainische Präsident Poroschenko nach Berlin gefahren, um unter Ausschluss Russlands mit Kanzlerin Merkel und Präsident Hollande mehr Unterstützung für die Ukraine zu erhalten. Dort hatte er vor der Abreise nach Berlin an der Feier zur Unabhängigkeit teilgenommen. Doch in Berlin wollte man es sich nicht mit Moskau ganz verderben und hatte vor allem brennendere Probleme, nämlich die europäische Flüchtlingspolitik. Da ist dann das Pleiteland Ukraine, bis nicht von dort auch Wirtschafts- oder Kriegsflüchtlinge nach Aufhebung des Visumzwangs in die EU strömen, weiter entfernt.

Lange hatte Merkel gezögert, der öffentliche Druck aber ist gestiegen, dass sie sich zur Lage der Flüchtlinge in Deutschland, der wachsenden Aggressivität von ausländerfeindlichen Rechten und den zu erwartenden Flüchtlingsströmen klar und eindeutig äußert. Offenbar hat sie Haidenau und anderen Anschlägen und Gewalttätigkeiten gegen Flüchtlingsheime und Flüchtlinge die Notbremse gezogen. Reichlich spät, wahrscheinlich zu spät, weil die Stimmung bereits aufgeheizt ist. In Bezug auf Heidenau erklärte Merkel in der Pressekonferenz:

Zu dem ersten Thema möchte ich aus dem Grund, dass wir erschreckende Bilder aus Heidenau in Sachsen gesehen haben, wiederholen, dass ich die gewalttätigen Ausschreitungen dort auf das Schärfste verurteile. Dort gab es eine aggressive, fremdenfeindliche Stimmung, die in keiner Weise akzeptabel ist. Es ist abstoßend, wie Rechtsextremisten und Neonazis versuchen, dumpfe Hassbotschaften zu verkünden. Es ist genauso beschämend, wie Bürgerinnen und Bürger, sogar Familien mit Kindern, durch ein Mitlaufen diese Dinge noch unterstützen.

Angela Merkel

Das ist deutlich, auch darin, dass Merkel nicht nur die Rechtsextremisten, sondern eben auch die Mitläufer verurteilt, die die Aggressivität mittragen und ermöglichen. Weniger klar ist jedoch, wie auf europäischer Ebene die Flüchtlingspolitik verändert werden könnte, um den Druck auf Deutschland zu nehmen, das gegenwärtig am meisten Flüchtlinge aufnimmt, übrigens gefolgt von Ungarn. Es geht um ein gemeinsames Asylrecht, das von allen Staaten umgesetzt wird, auch um eine angemessene Verteilung der Flüchtlinge, um eine gemeinsame Liste von sicheren Herkunftsländern und gemeinsame Regelungen der Abschiebung derjenigen, die kein Asyl in Anspruch nehmen können (Hollande: "würdevolle Rückführung"), und um eine gemeinsame Einrichtung von Registrierungszentren in Griechenland und Italien. Die Rede ist auch davon, den Nachbarländern Syriens besser zu helfen, Flüchtlinge unterzubringen, damit diese nicht nach Europa kommen, dazu soll auch mehr Entwicklungshilfe für afrikanische Länder sorgen.

Das alles wird freilich schon länger diskutiert. Vor allem das einst "Neue Europa", also die osteuropäischen und baltischen Länder sowie Großbritannien, die alle sich vor dem Irak-Krieg auf die Seite der USA gestellt und die Invasion unterstützt haben, wollen von einer Verteilung der Flüchtlinge nichts wissen, obgleich die als Teil der "Koalition der Willigen" direkt für die Ursache der Flüchtlingsströme aus Syrien und der Region mit verantwortlich sind. Der Egoismus scheint derzeit zu überwiegen, in vielen Ländern der EU stehen die Regierungen unter dem Druck von rechten, ausländerfeindlichen Parteien und Bewegungen. Sie riskieren lieber eine Einschränkung der offenen Grenzen als die Beteiligung an der Lösung der Flüchtlingskrise.