"Mich interessiert der HSV auch mehr als die deutsche Fußballnationalmannschaft"
Hans-Olaf Henkel (AfD) zur Europawahl
Am 25. Mai ist Europawahl. In Deutschland treten dazu 32 politische Gruppierungen an. Telepolis hat bekannten Kandidaten der sieben wichtigsten davon einige Fragen gestellt. Im ersten dieser Interviews äußert sich Hans-Olaf Henkel, der ehemalige Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) und stellvertretende Sprecher der Alternative für Deutschland (AfD), unter anderem zum Euro, zu einer Wirtschaftspolitik, wie er sie machen würde, "gallopierenden Zentralismus", zusammengelegte Sozialversicherungssysteme und Regionalisierungsbewegungen.
Herr Henkel - verhindert die EU, dass ihre Mitgliedstaaten Wirtschaftspolitik nach Maß betreiben?
Hans-Olaf Henkel: Selbstverständlich. Vor allen Dingen seit Einführung des Euro ist es immer klarer geworden, dass die Einheitswährung für den Süden viel zu schwer und für den Norden viel zu leicht ist. Daraus resultiert, dass der Süden nicht mehr wächst und eine steigende Arbeitslosenquote zu beklagen hat und im Norden die Sparer kalt enteignet werden, weil der Einheitszins für den Norden zu niedrig ist.
Finden Sie es nicht erstaunlich, dass Sie sich hier in geistiger Nähe zu einigen linkssozialdemokratischen Ökonomen befinden, die in ähnlicher Weise die finanzpolitischen Konsolidierungspolitik der EU kritisieren?
Hans-Olaf Henkel: Da ist was dran: Nicht nur linke Ökonomen, sondern vor allem die AfD-Wirtschaftsexperten der Mitte sehen, dass eine Einheitswährung in unterschiedlichen Kulturen keinen Sinn macht. Es gibt aber einen fundamentalen Unterschied bei den Lösungsansätzen: Die Linken möchten die Einheitswährung ohne weitere Sparauflagen behalten, was bedeutet, dass die Deutschen noch mehr zahlen sollen als bisher. Deswegen sind ja auch die Vertreter des linken Spektrums für den Eurobond.
"Galoppierender Zentralismus" und zusammengelegte Sozialversicherungssysteme
Welche Wirtschaftspolitik würde stattdessen die AfD empfehlen?
Hans-Olaf Henkel: Eigentlich die alte liberale Wirtschaftspolitik im Geiste Ludwig Erhards: Wir sind für Subsidiarität in Europa und nicht für Zentralismus. Um den Euro zu retten wird jetzt in Europa der galoppierende Zentralismus eingeführt. Dieser Prozess folgt der Logik der Euroretter: Denn nur durch eine einheitliche Wirtschafts- und Sozialpolitik sowie eine Bankenunion kann der Euro gerettet werden. Diese Positionierung der Euro-Retter in Richtung Zentralismus ist zwar aus deren Warte heraus völlig logisch, nur wollen wir das wegen der Nebenwirkungen hin zu mehr Zentralismus nicht.
Der zweite Punkt betrifft die Harmonisierung der Systeme: Wir wollen mehr Wettbewerb. Auch das ist ein alter Grundsatz von Ludwig Erhard. Um den Euro zu retten, sollen jetzt die Sozialversicherungssysteme in Europa harmonisiert werden, das heißt, der Wettbewerb um die beste Lösung scheidet aus. Das geht so weit, dass die europäische Kommission gerade vorgeschlagen hat, die Sozialversicherungssysteme in der Euro-Zone langfristig zusammenzulegen. Das ist, wie gesagt, auch ein logischer Vorschlag, wenn man den Euro retten will, nur mit Ludwig Erhard hat das nichts mehr zu tun.
Der dritte Punkt stellt die Vergemeinschaftung der Schulden dar, die inzwischen über den Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM und die Europäische Zentralbank, die bereit ist, Staatspapiere aus maroden Südländern zu Lasten Deutschlands kaufen zu lassen, eingesetzt hat. Nicht zu vergessen auch die Bankenunion, die ja nichts anderes bedeutet, als dass deutsche Guthaben irgendwann auch für marode Banken im Süden Europas gerade stehen müssen.
"Aus der Währungsunion wurde eine Haftungsunion, dann folgt die Schuldenunion und schließlich die Inflationsunion"
Wohin würde denn nach Ihrer Meinung die aktuelle EU-Politik führen, wenn sie nicht geändert wird?
Hans-Olaf Henkel: Der Euro würde erst einmal gerettet, aber das würde zu einer langfristigen Aushöhlung der Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Euro-Zone führen. Es hat sich noch nie ein Wirtschaftsblock in der globalisierten Welt durchgesetzt, der auf den tönernen Füßen von Zentralismus, Harmonisierung und Vergemeinschaftung von Schulden aufgebaut ist. Deshalb sehe ich auch unmittelbar keine Gefahr für den Euro. Der Euro wird nur gerettet, weil die gegenwärtige Politiker-Generation nicht in der Lage ist, einen Fehler zuzugeben wie Herr Lucke oder ich.
Denn wir beide waren ja bis zum Mai 2010 auch für den Euro, haben dann aber erkennen müssen, dass die Politik das Versprechen, uns niemals für Schulen anderer Ländern in Haftung zu nehmen, gebrochen hat. Deshalb wird zu Lasten der Wettbewerbsfähigkeit der Euro-Zone einfach weiter wie bisher gemacht. Aus der Währungsunion wurde eine Haftungsunion, dann folgt die Schuldenunion und schließlich die Inflationsunion.
"Eine komplett schizophrene Situation"
Was meinen Sie: Sind sich die regierenden Politikern der von Ihnen antizipierten Konsequenzen bewusst oder verdrängen sie diese?
Hans-Olaf Henkel: Ich vermute, es gibt beides, obwohl ich denke, dass intelligente Menschen wie Wolfgang Schäuble genau wissen, was sie tun. Das sind mittlerweile fanatische Überzeugungstäter, die erkannt haben, dass für die Rettung des Euro nur noch Zentralismus, Harmonisierung und Vergemeinschaftung der Schulden die Lösung ist und deswegen ganz konsequent diesen Weg beschreiten. Ich nehme aber an, dass die Mehrheit der deutschen Abgeordneten nicht wissen was los ist, anders übrigens als die Deutschen, die zumindest ahnen, was passiert. Sonst könnte man sich nicht erklären, warum sich über sechzig Prozent der Deutschen für den Euro aussprechen, aber 85 Prozent sich weigern, ihn zu retten. Das ist eine komplett schizophrene Situation, die die Politik durch das Diktum der behaupteten Alternativlosigkeit herbeigeführt hat!
Was kritisieren Sie am Euro-Rettungsschirm?
Hans-Olaf Henkel: Ich kritisiere, dass damit sämtliche Vorgaben, auf die man sich bei der Aufgabe der D-Mark geeinigt hat, außer Kraft gesetzt wurden: Ursprünglich hieß es, dass kein deutscher Steuerzahler auch nur indirekt dafür belangt werden kann, wenn irgendein ausgabefreudiger Politiker im Süden Europas sein Land an die Wand fährt. Bei Griechenland, Portugal und Spanien haben wir gesehen, wie diese Versprechen gebrochen wurden. Zur Zeit wird zwar so kurz vor der Europawahl unter allen Umständen verhindert, dass die weiter schwelende Krise in Griechenland, wieder ein Thema wird. Wir werden dann nach der Wahl sehen, dass das Land immer noch am finanziellen Tropf Deutschlands hängt wie zuvor.
"Selbstbestimmungsrecht eines Volkes kann wichtiger sein als die Unverletzbarkeit bestehender Grenzen"
Was sagen Sie zur "Erweiterung der EU nach innen" - also zu den Unabhängigkeitsbestrebungen von Regionen wie Schottland, Katalonien et cetera?
Hans-Olaf Henkel: Damit hat sich die AfD vor dem Hintergrund der aktuellen Krimkrise beschäftigt, deren Entwicklung mich nicht überrascht. Denn diese hängt einesteils ein wenig mit den vorher dargelegten Zentralisierungsbemühungen in Europa zusammen, die im Windschatten der Euro-Rettung festzustellen sind, andererseits aber wesentlich auch mit der Globalisierung:
Wir dürfen nicht vergessen, dass der immer schneller werdende technische Fortschritt und sich beschleunigende Wandel in allen Bereichen der Gesellschaft dazu führen, dass die Menschen Halt brauchen und sich nach einem Stück Heimat sehnen. Mir persönlich geht es auch so: Mich interessiert der HSV auch mehr als die deutsche Fußballnationalmannschaft.
Es ist ein interessantes Phänomen weltweit, dass die Menschen sich in einer Welt, in der alles ähnlicher wird, sich nach Wurzeln sehnen. Insofern ist es für mich kein Wunder, dass viele Schotten und die meisten Katalanen gerne in einer eigenen Nation wären. Diese beiden Beispiele zeigen sehr schön, dass die Idee eines vereinten Europa mit vierundzwanzig Sprachen und völlig unterschiedlichen Kulturen nicht funktionieren kann. Man sieht es selbst an einem zweisprachigen Land wie Belgien, das nicht zur Ruhe kommt. Ich bin der Meinung, dass - solange eine Trennung friedlich und auf einer gesetzlichen Basis geschieht - das Selbstbestimmungsrecht eines Volkes wichtiger sein kann als die Unverletzbarkeit bestehender Grenzen. Auch die Wiedervereinigung hat das gezeigt.
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