Südeuropa mit TTIP und einer Senkung der US-Zölle für Lebensmittel retten
Alexander Graf Lambsdorff (FDP) zur Europawahl
In Deutschland treten am 25. Mai zweiunddreißig politische Gruppierungen zur Europawahl an. Telepolis hat bekannten Kandidaten der sieben wichtigsten davon einige Fragen gestellt. Mit dem Spitzenkandidaten der FDP, Alexander Graf Lambsdorff sprach Reinhard Jellen über die Eurokrise, die Agenda 2010, das TTIP-Abkommen, die AfD und die Euro-Rettungsschirme.
Graf Lambsdorff, läuft die EU Gefahr, mit der Eurokrise in eine umfassendere politische Krise zu geraten?
Alexander Graf Lambsdorff: Ich glaube, die Gefahr einer wirklich großen politischen Krise ist mittlerweile abgewendet worden. Niemand erwartet mehr ernsthaft, dass die Euro-Zone explodieren könnte. Wenn es noch einmal eine politische Zuspitzung geben sollte, dann höchstens aufgrund der angespannten sozialen Situation in einigen der Krisenländer. Hier sagt die FDP ganz klar, dass wir Kurs halten und Nerven bewahren müssen: Die Reformen, die eingeleitet worden sind, brauchen eine gewisse Zeit, bis sie wirken. Es ist deshalb auch falsch, jetzt plötzlich wieder die Einführung von Eurobonds zu diskutieren (so wie Martin Schulz und Jean-Claude Juncker), oder sogar die Auflösung der Eurozone zu fordern, wie es die AfD tut.
"Die Rentengeschenke der großen Koalition sind finanziell verantwortungslos"
Eine EU-Skepsis ist dennoch durchaus verbreitet. Aus welchen Gründen resultiert diese?
Alexander Graf Lambsdorff: Das hat eine Reihe von Ursachen, die nicht unmittelbar mit dem Wahlkampf zu tun haben: Ein Grund ist ganz sicher, dass die Bürgerinnen und Bürger das Gefühl haben, die EU kümmere sich zu sehr um Details des täglichen Lebens. Zum Teil stimmt das ja auch - ich sage nur Glühbirnenverbot, Staubsaugermotoren und Kaffeemaschinen. Deshalb fordern wir als FDP auch, dass die Ökodesign-Richtlinie, aus der all diese Vorschriften stammen, abgeschafft werden muss. Wer auch immer der nächste Kommissionspräsident werden will, muss einen solchen Vorschlag machen.
Der zweite Punkt ist, dass es in Teilen der südeuropäischen Länder Ressentiments gibt, weil die EU für Reformen verantwortlich gemacht wird, die mit gewissen Härten verbunden sind. Das Problem ist aber, dass solche Reformen viel zu lange verschleppt worden sind. Deutschland hat mit der Agenda 2010 genau eine solche Reform mit großem Erfolg vorgemacht. Es ist deshalb gerade auch aus europapolitischer Sicht ein Skandal, dass dieses Reformpaket jetzt bei uns in Deutschland wieder rückabgewickelt wird: Die Rentengeschenke der großen Koalition und besonders die Absenkung des Renteneintrittsalters sind finanziell verantwortungslos und zerstören unsere Glaubwürdigkeit gegenüber den anderen europäischen Ländern.
"Neue Chancen für Arbeitsplätze, gerade in Südeuropa"
Zur Zeit gibt es Verhandlungen über das Freihandelsabkommen mit den USA. Welche Position vertreten Sie hierzu?
Alexander Graf Lambsdorff: Es ist prinzipiell zunächst einmal eine sehr gute Sache, wenn die beiden größten Wirtschaftsräume der Welt versuchen, bürokratische Hürden abzubauen, Zollsätze zu senken und Standards gegenseitig anzuerkennen. Das schafft neue Chancen für viele Unternehmen in Europa und Amerika, die ihre Produkte dann günstiger anbieten können. Sorgen bereitet mir aber, wie darüber berichtet wird. Es wird ja so getan, als ob es in nächster Zukunft nur noch Chlorhühnchen und Hormonfleisch zu kaufen gebe und darüber vollkommen intransparent hinter verschlossen Türen verhandelt würde. Nichts davon stimmt.
Ein weiterer Punkt, den die Campagneros von links immer vergessen: Die Jugendarbeitslosigkeit ist viel zu hoch in Südeuropa. Gleichzeitig gibt es dort hochentwickelte Lebensmittelproduktion: Griechischer Käse, französischer Wein und spanischer Schinken sind alles Produkte, die sich in Amerika kein Normalverdiener leisten kann, weil die Zollsätze so hoch sind. Wenn man sie absenkt, werden diese Waren erschwinglich und der Export angekurbelt. Das schafft neue Chancen für Arbeitsplätze, gerade in Südeuropa. Deswegen passt es überhaupt nicht zusammen, wenn man die hohe Jugendarbeitslosigkeit kritisiert und gleichzeitig gegen das Freihandelsabkommen zu Felde zieht.
Das Freihandelsabkommen umfasst aber nicht nur den Handel mit Lebensmitteln, sondern auch mit Dienstleistungen. Könnte es hier nicht zu einer Erosion der Sozialstandards bei den europäischen Arbeitsverhältnissen kommen?
Alexander Graf Lambsdorff: Beim Freihandelsabkommen geht es in erster Linie um Finanzdienst- und Rechtsdienstleistungen, also ausschließlich um hochqualifizierte Tätigkeiten. Die europäischen Arbeitsstandards werden davon kaum tangiert. Insofern sehe ich hier kein Problem.
Ermöglicht die EU den einzelnen Mitgliedsstaaten eine adäquate Wirtschaftspolitik?
Alexander Graf Lambsdorff: Europa ist der größte Markt der Welt und Wohlstandsmotor, weil die Menschen ihre Produkte und Dienstleistungen in anderen Teilen Europas anbieten können. Europa schränkt also nicht ein, sondern bietet große Chancen. Gerade beim Exportweltmeister Deutschland ist deutlich zu sehen, dass das heimische Spielfeld die Europäische Union ist. Alle unsere Wirtschaftsverbände bestätigen das bei jeder Gelegenheit.
Mit der AfD teilt die FDP viele wirtschaftspolitische Positionen. Beide Parteien gelangen aber in Sachen EU zu einer gegensätzlichen Ausrichtung. Was sind die Ursachen hierfür?
Alexander Graf Lambsdorff: Ihre Prämisse ist nicht richtig: In den beiden zentralen wirtschaftspolitischen Fragen sind wir völlig anderer Auffassung als die AfD: Die AfD will den Euro nicht stabilisieren, sondern die Euro-Zone in die Luft sprengen. Beim Freihandelsabkommen sind wir als liberale Partei dafür, die Vorteile in den Blick zu nehmen und ein gutes Abkommen mit den USA auszuhandeln, während sich die AfD aus rein populistischen Gründen dagegen stellt. Hier zeigt sich ganz deutlich, dass die AfD keine wirtschaftspolitische Kompetenz hat. Die AfD ist eine rechtsnationale und populistische Partei, damit haben wir nichts zu tun.
Was halten Sie von den Euro-Rettungsschirmen?
Alexander Graf Lambsdorff: Wir helfen mit diesen Rettungsschirmen finanziell, aber wir sagen auch: Solidarität gibt es nur gegen Solidität, Geld gibt es nur gegen Auflagen. Wir wollen zwar auch, dass es die Rettungsschirme nicht mehr braucht, aber zur Zeit sind sie für die Reformen absolut notwendig. Sie sind ein wichtiges Instrument, um der Reformpolitik in den Südstaaten zum Durchbruch zu verhelfen.
Innerhalb der EU-Staaten gibt es Unabhängigkeitsbestrebungen von Regionen wie Schottland oder Katalonien. Welche Position vertreten Sie dazu?
Alexander Graf Lambsdorff: Die Länder müssen alleine entscheiden, wie sie sich organisieren, ob sie Autonomie gewähren oder Unabhängigkeit zulassen. In Schottland gibt es im Herbst dazu ein Referendum. Eines aber ist mir wichtig: Diese Unabhängigkeitsbewegungen, ganz gleich ob in Flandern, Katalonien oder Schottland, im Baskenland oder im Veneto sollten die EU nicht als Ausrede für ihre Bestrebungen benützen. Die EU darf von diesen Bewegungen nicht als Rechtfertigung zum Zerschlagen ihrer Mitgliedsstaaten missbraucht werden. Persönlich finde ich, dass die EU Freiheit und Chancengleichheit auch für ihre Minderheiten so garantieren sollte, dass es die regionale Unabhängigkeit vielleicht gar nicht braucht.
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