Mindert städtisches Leben die Fruchtbarkeit?

Nach einer Studie haben Paare, die Cousins dritten oder vierten Grades sind, am meisten Kinder

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Nach einer in Science veröffentlichten Studie des Gen-Unternehmens deCODE, das Zugang zu den genetischen und medizinischen Daten der isländischen Bevölkerung erworben hat (Das Zeitalter der genetischen Aufklärung), gibt es eine seltsame Beziehung zwischen dem Verwandtschaftsgrad von Paaren und der Zahl ihrer Nachkommen. Das Unternehmen kann aufgrund von Stammbäumen auf mehr als 200 Jahre der genetischen Geschichte der Bevölkerung zurückschließen und ist bei der Analyse von mehr als 160.000 Paaren auf die Erkenntnis gestoßen, dass Paare, die Cousins dritten oder vierten Grades sind, die größte Zahl von Nachkommen haben. Cousins dritten Grades haben Ururgroßeltern gemeinsam.

Frauen, die zwischen 1800 und 1824 geboren wurden und einen Cousin dritten Grades geheiratet hatten, erzeugten durchschnittlich 4,04 Kinder und hatten 9,17 Enkel, während die Frauen, die mit einem Cousin achten Grades noch entfernter verheiratet waren, "nur" 3,34 Kinder und 7,31 Enkel haben. Bei Frauen, die zwischen 1925 und 1949 geboren wurden, und einen Cousin dritten Grades geheiratet haben, lag die Zahl der Nachkommen zwar niedriger, aber weiterhin höher als bei Frauen, die entferntere Verwandte geheiratet haben. Überprüft wurde dies bei Paaren in einem Zeitabschnitt von jeweils von 25 Jahren von 1800 bis 1965. Aufgrund der zeitübergreifenden Konsistenz der Ergebnisse gehen die Wissenschaftler davon aus, dass die beobachtete Korrelation zwischen Verwandtschaftsgrad und Fruchtbarkeit genetisch determiniert sein muss.

Kontraintuitiv finden die Wissenschaftler das Ergebnis aus evolutionärer Perspektive, weil enger verwandte Eltern mit höherer Wahrscheinlichkeit Kinder mit negativen rezessiven Mutationen haben können. Interessant könnten vielleicht die Folgerungen sein. Wenn eine gewisse verwandtschaftliche Nähe eine hohe Fertilität mit sich bringt, dann würde dies heißen, dass gesellschaftliche Verhältnisse, die eine sexuelle Verbindung von Verwandten schwieriger machen, eine sinkende Fertilität zur Folge haben könnten. Die isländische Bevölkerung lebte lange Zeit unter den Bedingungen einer ländlichen, weniger mobilen dörflichen Gesellschaft, die erst vor relativ kurzer Zeit verstädtert wurde. Dadurch werden sexuelle Beziehungen zwischen Verwandten unwahrscheinlicher. Die Folge könnte sein, dass die Verstädterung in Island und anderswo mit dem Rückgang der Fertilität zusammenhängt, die sich überall in den verstädterten Industriegesellschaften beobachten lässt.

Aus welchem Grund entfernte Verwandte, aber nicht genetisch weitgehend Fremde oder eng Verwandte, am meisten Kinder und Kindeskinder haben, geht aus der Studie nicht hervor. Möglicherweise könnte eine genetische Nähe der Eltern mehr Schwangerschaften und gesunde Kinder bedingen. Die Ergebnisse könnten allerdings auch durch die relativ engen Verwandtschaftsverhältnisse der kleinen Bevölkerung Islands, die weitgehend isoliert gelebt hat, bedingt sein und auf kontinentale Populationen nicht zutreffen.