Minenfeld Internet Governance

Seite 3: Streitfeld 3: ICANN

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Innerhalb ICANN spitzen sich die Konflikte gleichfalls zu. Auslöser ist hier die seit Jahren andauernde Debatte über die Einführung neuer Top Level Domains. Das noch offene Problem, wer wie und unter welchen Umständen eine neue Top Level Domain (TLD) betreiben kann, spülte die Frage nach oben, wer denn eigentliche die letztendliche Entscheidungsautorität hat. Das ICANN Direktorium reklamiert dieses Recht für sich und verweist auf die entsprechenden Passagen ihrer Verfassung (den "Bylaws") die den Regierungen eine lediglich "beratende Funktion" zuweist. Die im Governmental Advisory Committee (GAC) sitzenden Regierungen haben demgegenüber die Auffassung, dass bei einer Vielzahl von Bezeichnungen für neue TLDs, die politische, geografische, religiöse, kulturelle oder Trademark-geschützte Namen enthalten, das letztendliche Entscheidungsrecht auf ihrer Seite liegt.

In den Bylaws von ICANN gibt es für einen solchen Konfliktfall ein bislang noch nicht ausprobiertes Verfahren. Lehnt das ICANN-Direktorium einen "GAC Advice" ab, kann das GAC eine Konsultation einfordern, eine Art Vermittlungsausschuss. Scheitert die Vermittlung, kann ICANN alleine entscheiden, muss aber der Öffentlichkeit erklären, warum es den Regierungsratschlag nicht befolgt, während die Regierungen sich das Recht vorbehalten, nicht weiter spezifizierte "Maßnahmen" zu ergreifen.

Beim ICANN-Teffen Anfang Dezember 2010 in Cartagena näherte man sich nun erstmals diesem kritischen Punkt. Die gemeinsame Sitzung zwischen dem GAC und dem ICANN-Board wurde zu einem end- und ergebnislosen Armtwisten über das Recht des letzten Wortes. Da keiner der beiden Seiten nachgab, wird nun Ende Februar 2011 in Brüssel erstmalig ein solcher Vermittlungsausschuss zusammentreten. Mitte März 2011 findet dann die nächste ICANN-Tagung in San Francisco statt und dort wird wohl - mit oder ohne Regierungssegen - die Einführung neuer TLDs beschlossen.

Da die amerikanische Regierung (nicht zuletzt unter dem Druck der mächtigen Trademark-Lobby in Washington) mit zu jenen GAC-Mitgliedern gehört, die die Einführung neuer TLDs als zu verfrüht ansieht, könnte es Ende des Jahres zu einer delikaten Konstellation kommen.

Der noch gültige IANA-Vertrag gibt der US Regierung das Recht, die Publikation der sogenannte Zonefiles neuer TLDs im Internet Root zu autorisieren. Mit anderen Worten, ohne das Okay des amerikanischen Handelsministerium stellt VeriSign Inc. die Zonefiles nicht in den Hidden-Server des Root Server System (RSS). Bei .shop, .web, .music, oder .berlin sollte das kein Problem sein. Aber schon bei .sport will das IOC mitreden, bei .catholic der Papst und bei .tibet die chinesische Regierung. Und was ist mit .jihad, .mohamed, .nazi, oder .paedophile? ICANNs Regelwelt für Antragsteller ist auf über 500 Seiten angewachsen und sieht für viele Einzelfälle Einspruchsverfahren vor. Die letzte Entscheidung aber liegt beim ICANN Direktorium.

Würde also ICANN nun gegen einen von der US-Regierung mitgetragenen GAC-Einspruch neue TLDs zulassen, käme es zu einer spannenden "Stunde der Wahrheit". Dann nämlich würde sich erweisen, ob die US-Regierung - wie immer behauptet - tatsächlich der neutrale Sachwalter der Interessen der Internet-Community ist, indem sie auch gegen ihre eigenen nationalen Bedenken die Publikation des Root-Zonefiles autorisieren würde. Würde sie aber von ihrem formalen, aus dem IANA-Vertrag erwachsenen Recht Gebrauch machen, die Einspeisung einer neuen TLD zu blockieren, würde sie sich als "Oberaufseher" von ICANN outen und damit Wasser auf die Mühlen der Chinesen leiten, die in ICANN noch immer eine Marionette der US Regierung sehen. Der IANA-Vertrag läuft im Oktober 2011 aus, ein weiteres vermintes Feld.