Minenfeld Internet Governance

Seite 4: Nebenschauplatze: ITU, UNESCO, G7, WTO, WIPO, ACTA, OECD, Europarat

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Mittlerweile gibt es fast keine größere Organisation mehr die nicht ein Internet Governance Thema auf ihrer Agenda hat. Die ITU hatte jahrelang versucht, ICANNs Aufgaben selbst zu übernehmen. Bei der jüngsten Vollversammlung im November 2010 in Guadalajara aber räumte die ITU ein, dass es keine Alternative zu einer auf Gegenseitigkeit beruhenden konstruktiven Kooperation gibt.

Erstmals tauchte der Name "ICANN" in einer ITU-Resolution auf, wenngleich auch nur als Fußnote. Ob aus den jahrelang vergifteten Beziehungen aber eine Freundschaft wird, bleibt abzuwarten. Immerhin soll aber ein "ITU-ICANN Memorandum of Understanding" zur Entkrampfung der Beziehungen diskutiert werden. Nichtsdestotrotz positioniert sich die ITU schon jetzt als Gastgeber für einen möglichen 3. UN-Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (WSIS III) im Jahr 2015. Dann kann man ja die ungelöste Frage wieder aufwerfen.

Die UNESCO hat ihrerseits ein Abkommen mit ICANN geschlossen und sich auf eine neue, am Multistakeholder-Prinzip orientierende Beziehung eingelassen. Eine Überraschung ist das nicht, war doch der neue stellvertretende UNESCO-Generaldirektor Janis Karklins bis Anfang 2010 noch Vorsitzender von ICANNs GAC.

Das Internet rückt auch wieder auf die Tagesordnung der G7. Frankreichs Präsident Sarkozy, der am 1. Januar 2011 den Vorsitz der G7 übernommen hat, will diesem Thema sogar Priorität einräumen. WIPO und WTO schlagen sich mit neuen Internetthemen herum, wenngleich nicht als Konkurrent zu ICANN. All diese Verhandlungen berühren wie auch der neue ACTA Vertrag Zugangs-, Informations- und Meinungsäußerungsfreiheit von mittlerweile mehr als zwei Milliarden Internetnutzern sowie den Schutz von geistigem Eigentum und persönlichen Daten. Und all das hat mit Internet Governance zu tun, denn am Schluss landet man immer wieder beim Management von Domainnamen, IP-Adressen, Root- und Nameservern.

Etwas weniger kontrovers geht es in der OECD zu. Dort wurden nach der Ministerkonferenz in Seoul im Juli 2009 zwei neue Beratungsausschüsse für die Internetnutzer und die technische Community geschaffen, die eng mit den OECD Mitgliedsstaaten zusammenarbeiten. Multistakeholderismus ist bei der Pariser OECD ebensowenig ein Fremdwort wie im Strasbourger Europarat, wo nach der Reykjaviker Ministerkonferenz im Mai 2009 gleichfalls eine Cross Border Internet-Arbeitsgruppe an einem Deklarationsentwurf arbeitet, der sich auf der Idee des kollaborativen gleichberechtigten Zusammenwirkens aller Stakeholder gründet. Der aus 47 Mitgliedsstaaten bestehende Europarat, Heimstatt der europäischen Menschenrechtskonvention von 1948 und der Cybercrime Konvention von 2001 wird im April 2011 in Strasbourg auf einer hochrangingen "Multistakeholderkonferenz" über eine "Universelle Prinzipiendeklaration für Internet Governance" beraten die nach ihrer geplanten Annahmen im Jahr 2012 sowohl von Regierungen als auch Nichtregierungsvertretern unterschrieben werden soll.

Diese wahrhaft mannigfaltigen politischen Kontroversen werden noch überlagert durch die konträren wirtschaftlichen Interessen der verschiedenen Player bei Themen wie Netzwerkneutralität, Cloud Computing oder Internet der Dinge. Dort trifft die "old new economy" der Telekommunikations- und Rundfunkunternehmen, der Musik-, Zeitungs-, Zeitschriften- und Buchverlage auf die "new new economy" der Suchmaschinen, sozialen Netzwerke, ISPs, Wikis und VOIP-Provider. Auch das ist ein Minenfeld.