Mit Kopfschuss im ost-ukrainischen Massengrab
- Mit Kopfschuss im ost-ukrainischen Massengrab
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Die OSZE bestätigt die Existenz von Massengräbern in einem Ort, den die ukrainische Nationalgarde vor kurzem verlassen hat
Jetzt wo, die ukrainischen Truppen im Zuge des Waffenstillstands aus einigen Orten in der Ost-Ukraine abgezogen sind, stoßen Anwohner auf grausige Spuren. In dem Bergwerk Kommunar und am Rande des Dorfes Nischnjaja Krynka - 35 Kilometer nordöstlich von Donetsk - wurden die Menschen durch einen starken Leichengeruch aufmerksam. Man fand drei Massengräber mit insgesamt neun Toten. Kiew spricht von "Lüge".
Die Meldung von den Gräbern löste in den russischsprachigen Medien einen Sturm der Empörung aus. Ein offizieller Vertreter der ukrainischen Armee sprach von einer "Lüge". Die Moskauer Zeitungen Kommersant und Rossiskaja Gazeta veröffentlichten grausame Bilder der Gräber. Auf einem Foto sind deutlich Einschusslöcher am Hinterkopf einer Leiche zu sehen.
Anfang der Woche wurde von dem russischen Fernsehkanal Rent TV der erste Bericht über die Gräber gesendet. Der Reporter zeigte ein Grab (Minute 1:20) am Rand des Dorfes Nischnjaja Krynka, in dem Aufständische beerdigt sein sollen. Anwohner berichteten dem Reporter, ukrainische Nationalgardisten hätten unter Einwohnern mit vorgehaltener Waffe Sympathisanten der "Donezk-Republik" gesucht.
Die Militärpolizei der selbsternannten Donezk-Republik informierte die Special Monitoring Mission (SMM) der OSZE über die Gräber. Die SMM überwacht mit 350 Inspektoren die Einhaltung des Waffenstillstands. Die OSZE-Inspektoren besuchten die Massengräber und bestätigten am Mittwoch in ihrem Tages-Bericht deren Existenz.
Körper seien "geöffnet" worden
Täglich kommen neue Details und Vermutungen über die Massengräber an die Öffentlichkeit. Der "Ministerpräsident" der Donezk-Republik, Aleksandr Sachartschenko, erklärte am Donnerstag gegenüber dem russischen Fernsehkanal Rossija 24 (ab Minute 2:05), er habe zwei Massengräber besucht und gesehen, dass die Körper einiger Toten "geöffnet" worden waren. Möglicherweise handelte es sich um chirurgische Eingriffe wegen Kriegsverletzungen, möglicherweise aber auch um die Entnahme von Organen, meinte Sachartschenko.
Nach einem Bericht des Radio-Senders "Stimme Russlands" wurden vier Leichen auf dem Bergwerks-Gelände "im Beisein der OSZE-Inspektoren exhumiert". Es handelte sich um einen Mann und drei Frauen. Eine der Frauen "sei vermutlich schwanger" gewesen. Das liberale Moskauer Blatt Kommersant schreibt dagegen von "vier toten Männern".
Nach russischen Medienberichten waren die Hände der Toten gefesselt. Außerdem wurden an den Toten Spuren von Folter auf. "Stimme Russlands" berichtete, zwei Köpfe seien vom Körper getrennt gewesen. Die Leichen befanden sich im Zustand der Verwesung. In fünf Meter Abstand von den Toten fanden die OSZE-Inspektoren außerdem acht Patronenhülsen einer Makarow-Pistole.
"Gestorben für die Lügen Putins"
In dem Bericht der OSZE-Inspektoren wird vermerkt, dass auf dem dritten Grab, welches mit einem Erdhaufen bedeckt war, ein Stab mit einer Tafel steckte. Auf der Tafel stand "Gestorben für die Lügen Putins". Darunter standen in Russisch die Namen (in einem Fall die Initialen) der fünf Toten. Als Todestag war der 27. August 2014 angegeben.
Zwei der Toten im Dorf wurden nach Angaben der Nachrichtenagentur Ria Novosti bereits identifiziert. Es handelt sich um einen Aufständischen und einen Anwohner des Ortes, der 1957 geboren wurde.
Die Spuren führen zur ukrainischen Nationalgarde
Die Untersuchung zu den Massengräbern führt zurzeit die Militärpolizei der selbsternannten Republik Donezk. Die OSZE-Inspektoren konnten die Leichen nicht untersuchen, weil keine forensischen Experten vor Ort waren.
Die Vermutung liegt nahe, dass die Menschen von ukrainischen Nationalgardisten erschossen wurden. Denn nach Angaben liberaler russischen Medien, wie dem Internetportal Lenta.ru und der Zeitung Kommersant war das Dorf Nischnjaja Krynka bis vor kurzem noch in der Hand des 500 Mann-starken Ajdar-Bataillons, das zur ukrainischen Nationalgarde gehört.
Ein Vertreter der Donezk-Republik berichtete der Zeitung Kommersant, die Aufständischen hätten sich vor einem Monat aus dem Dorf Nischnjaja Krynka zurückziehen müssen. Die gefunden Leichen seien ein oder zwei Wochen später getötet worden. Die Aufständischen hätten sich zu diesem Zeitpunkt in fünf Kilometer Entfernung von dem Dorf Nischnjaja Krynka befunden.
Ukrainischer Militärberater kontert mit Vorwürfen gegen "russische Militärs"
Der Leiter für Militäroperationen der ukrainischen Armee, Aleksej Dmitraschkowski, bezeichnete die Beschuldigungen gegen die ukrainische Nationalgarde gegenüber dem Kommersant als "Lüge". "Ukrainische Soldaten und Kräfte der Anti-Terror-Operation haben nicht auf die friedliche Bevölkerung und nicht auf Wohnbezirke der Städte geschossen." Von ukrainischer Seite wird behauptet, es könne sich auch bei drei der Toten um Männer aus Tatarstan handeln.
Der ukrainische Militärexperte Dmitri Tymtschuk erklärte, mit der Meldung von den Massengräbern wolle der "russische Generalstab" und "örtliche Terroristen" von eigenen Verbrechen ablenken. Es fehlte nur noch, dass "schwangere Kinder" gefunden würden. Tymtschuk behauptete, "russische Militärs" hätten die Leichen russischer Soldaten im ostukrainischen Gebiet Swerdlowsk in den Schacht eines stillgelegten Bergwerkes geworfen. Beweise für seine Behauptung legte Tymtschuk nicht vor.
Moskau fordert internationale Untersuchung
Der "Ministerpräsident" der Donezk-Republik, Aleskander Sachartschenko, nannte die Massengräber gegenüber dem Kommersant http://kommersant.ru/doc/2574393?isSearch=True "ein empörendes Verbrechen und ein Genozid gegen unser Volk".
Der Präsident der Föderation der jüdischen Gemeinschaften Russlands (FEOR), Aleksandr Boroda, äußerte gegenüber dem Internetportal Lenta.ru, er hoffe sehr, "dass sich die Vermutung über Massengräber nicht bestätigt", denn das sei "ein furchtbares Verbrechen, welches an ähnliche Vergehen der Nazis vor 70 Jahren" erinnere.
Der Leiter des Duma-Komitees für Auswärtige Beziehungen, Aleksej Puschkow, erklärte, Russland werde die Massengräber in den internationalen Organisationen zur Sprache bringen. Im Übrigen gäbe es weitere Fälle, "wo erbarmungslos gegen friedliche Bürger vorgegangen wurde, die nicht mit der offiziellen Position Kiews einverstanden waren". Puschkow erinnerte an den Brand im Gewerkschaftshaus von Odessa (Die Tragödie von Odessa) und die Beschießung der Polizei-Zentrale von Mariupol, wo es zu einer Meuterei gekommen war (Ost-Ukraine: Unabhängigkeits-Referendum trotz Militärterror).
Der Sprecher des russischen Ermittlungskomitees, Wladimir Markin, kündigte an, man werde zu den Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung im Südosten der Ukraine Ermittlungen aufnehmen.