Mit Nato und EU gegen Desinformation – und gegen die Bürger?

Seite 2: Ein besseres Wort für ... Propaganda

Vorbild und Kooperationspartner von Clingendael ist das Nato Strategic Communications Centre of Excellence (CoE). Die Nato selbst beschreibt die Methode der strategischen Kommunikation folgendermaßen:

Strategische Kommunikation der Nato ist der koordinierte und angemessene Einsatz der Kommunikationsaktivitäten und -fähigkeiten der Nato zur Unterstützung der Politik, der Operationen und der Aktivitäten des Bündnisses und zur Förderung der Ziele der Nato.

Diese sind (neben militärischen Aktivitäten auch) geplante psychologische Aktivitäten, bei denen Kommunikationsmethoden und andere Mittel eingesetzt werden, die sich an zugelassene Zielgruppen richten, um Wahrnehmungen, Einstellungen und Verhaltensweisen zu beeinflussen und so die Erreichung politischer und militärischer Ziele zu fördern.

Über strategische Kommunikation, Website der Nato (Hervorhebung d. Verf.)

Auf Telepolis hat sich die Kommunikationswissenschaftlerin Sabine Schiffer ausführlich zum Phänomen der strategischen Kommunikation und dem bedenklichen Verhältnis zwischen einer autonomiebestrebten Europäischen Union und einer traditionell von den Vereinigten Staaten geführten Militärallianz geäußert.

Ein anderer Name für strategische Kommunikation lautet freilich: Propaganda.

Dass sich nun Deutschland und die EU auf jene Propaganda verpflichten, ist nur ein Teil des Problems beziehungsweise ein Teil des Phänomens: Denn es verdichten sich die Anzeichen dafür, dass die Kommunikationsmöglichkeiten der öffentlichen Sphäre genutzt werden, um die Deutungshoheit in einer nicht länger unipolaren Welt aufrechtzuerhalten.

Günstig abzugeben? Menschenrechte im Notstand

So verpflichten Olaf Scholz (SPD) und Annalena Baerbock (Grüne) in der Nationalen Sicherheitsstrategie nicht alleine auf die vielzitierte "regelbasierte Ordnung", sondern auch auf die Vereinten Nationen als deren Mittelpunkt.

In einer Stellungnahme zum hybriden Werkzeugkasten von 2022 bezieht sich der Europäische Rat explizit auf die Corona-Krise als Präzedenzfall einer sogenannten hybriden Bedrohungslage und knüpft damit ebenso unmittelbar an das Regelwerk der UN an.

Die Autoren Iain Davis und Whitney Webb haben Anfang Juni auf dem Blog Unlimited Hangout minutiös die bedenklichen Schritte dieses Regelwerks nachgezeichnet, das ihrer Ansicht nach in einem "UN-Polizeistaat" mündet.

Zunächst einmal zeigte sich die UN-Generalversammlung bereits im Dezember 2021 "zutiefst besorgt" über die "Verbreitung von Desinformationen" und betonte in einer Resolution, jener Verbreitung in der Öffentlichkeit "mit wissenschafts- und evidenzbasierten Daten und Informationen entgegenzuwirken".

2022 wurde Desinformation im Bericht des UN-Generalsekretärs António Guterres sogar zur Menschenrechtsverletzung erklärt (!). Das ist mehr als bemerkenswert.

Denn in der allgemeinen Erklärung der "unveräußerlichen" Menschenrechte halten die Vereinten Nationen einerseits fest:

Diese Rechte und Freiheiten dürfen in keinem Fall im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen ausgeübt werden.

Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

Zum anderen heißt es in der UN-Publikation "Covid 19 and Human Rights" von 2020:

In den Menschenrechtsgesetzen wird anerkannt, dass nationale Notlagen Einschränkungen bei der Ausübung bestimmter Menschenrechte erfordern können. Das Ausmaß und der Schweregrad von Covid-19 erreichen ein Niveau, bei dem Einschränkungen aus Gründen der öffentlichen Gesundheit gerechtfertigt sind.

Vereinte Nationen, Covid 19 and Human Rights (Hervorhebung d. Verf.)

Davis und Webb merken nicht nur zurecht an, dass es mit der Unveräußerlichkeit folglich nicht weit her sein kann, sondern benennen auch den Missstand, mit dem sich eine zentralisierte Autorität wie die angedachte konfrontiert sieht:

Wer darf mit welchem Recht die Meinungsfreiheit einschränken?