Mit diesem Schritt könnte die Nato den Streit mit Russland umgehend beenden

Nato-Uno-Flagge

In der Ukraine ist der Konflikt zwischen Nato und Russland eskaliert. Per se ist keine der beiden Parteien das Problem. Es fehlt ein nachhaltiges Sicherheitssystem. Eine Utopie.

Nichts sollte unversucht bleiben, den Krieg zwischen der Russischen Föderation und der Ukraine zu beenden. Letztlich droht hier neben der Zerstörung der Infrastruktur, der Natur und der Auslöschung von Hunderttausenden Menschenleben die Gefahr eines dritten Weltkrieges mit dem Einsatz von Nuklearwaffen.

Dies würde den Untergang auch alles bisher zivilisatorisch Erreichten bedeuten. Ein nukleares Inferno kann niemand, der noch bei Verstand ist, wollen.

Nato des Friedens: Es ist nur eine Erkenntnis nötig

Wenn man überzeugt ist, dass die gegenwärtigen und künftigen globalen Probleme nur durch transnationale Verständigung unter Beteiligung einer übergeordneten Struktur zu lösen sind, ist der Schritt nicht weit, Gräben zu überbrücken und den verfeindeten Staaten ein Angebot der mächtigsten transnationalen Militärmacht, der Nato, zu unterbreiten.

Es geht darum, Sicherheit neu zu denken und militärische Dogmen sowie sicherheitspolitische Vorurteile beiseitezulegen.

Dieses Angebot würde einen unmittelbaren Waffenstillstand als Voraussetzung für entmilitarisierte und international kontrollierte Zonen zwischen der Ukraine und der Russischen Föderation enthalten und damit verbunden die Aufnahme von Nato-Beitrittsverhandlungen für die Ukraine, für Belarus und der Russischen Föderation.

Die Nato und das Verhältnis zu China

Gleichzeitig gälte es, die Sicherheitsarchitektur mit der Volksrepublik China über ein Kooperationsabkommen zu verbessern. Dies wäre gleichwohl mit einer Beitrittsperspektive für Beijing verbunden.

Letztlich geht es darum, eine globale Sicherheitsarchitektur über eine weltweite Ausweitung der Nato und dem Einbezug aller Staaten anzustreben.

Was gäbe es bei einem solchen Angebot zu verlieren?

Letztlich steht dahinter eine internationale Neuordnung und den Entwurf einer Weltordnung, der eine demokratisch kontrollierte übergeordnete Macht auf UN-Ebene vorsieht. Eine derartige, neu zu konzipierende UNO würde, gestärkt durch weltpolizeiliche Zusammenarbeit mit einer globalen Nato, eine gemeinsame Bekämpfung der Klimakrise, Pandemien, Kriege, Hungersnöte und Wirtschaftskrisen planen und umsetzen.

Auch die weltweite Umverteilung von Vermögen und gesellschaftlichem Reichtum wäre ein Ziel dieser transnationalen Agenda, da Frieden nur über innergesellschaftliche und transnationale Gerechtigkeit erreichbar ist.

Dies kann aber erst gelingen, wenn eine mit Macht ausgestattete übergeordnete Struktur und darin enthaltenen ökonomische Institutionen dies ordnungspolitisch umzusetzen versuchen.

Was werden künftige Generationen denken?

Künftige Generationen werden es nicht verstehen können, wenn es hier keine Einigung geben könnte. Der brutal geführte Krieg in der Ukraine könnte im gemeinten Nato-Angebot dann in sein historisches Gegenteil gewendet werden und zum Ausgangspunkt einer positiven Zukunftsentwicklung werden.

Es ist davon auszugehen, dass keiner der beteiligten staatlichen Kriegsakteure ein Interesse an einer militärischen Eskalation und Destruktion hat. Alle beteiligten Staaten und auch die Weltgemeinschaft werden als Verlierer übrig bleiben – wenn denn nach einem Nuklearkrieg überhaupt noch etwas von ihnen vorhanden ist.

Die Utopie ist ausbaubar

Die hier skizzierte Utopie ließe sich dann wie folgt weiterentwickeln: Neben einer Globalisierung der Nato würden dann Schritt für Schritt koordiniert alle Nationalstaaten und transnationalen Verbünde so weit abrüsten, dass die weltpolizeiliche Funktion der Nato unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen möglich wird.

In einem ersten Schritt ist der Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen für alle Nationen umzusetzen. Dies wird wesentlich leichter fallen, wenn es gelingt, dass künftig sukzessive alle Staaten der Nato als gemeinsames und globales Sicherheitsbündnis beitreten.

Nato unter Dach der UNO

Damit ein solches militärisches Sicherheitsbündnis keine Übermacht bekommen kann und dort nicht einzelne Staaten (oder ein einziger Staat) Dominanz erlangen kann, ist die Integration der Nato unter die Vereinten Nationen zwingend erforderlich.

Hierbei sind die Vereinten Nationen nicht nur zu stärken, sondern – immer etwas dem Empowerment vorauseilend auch zu demokratisieren. Geeignete Vorschläge und Diskussionen hierzu gibt es genug, sowohl innerhalb der Vereinten Nationen als auch durch NGOs von außen herangetragen.

Ist eine globale Nato des Friedens naiv?

Sicherlich werden sofort aus allen politischen Richtungen die Gegner eines solchen Zukunftsentwurfs hervorkommen und den fehlenden Realismus und eine Naivität dieses Entwurfs anprangern.

Doch wer ist naiv? Derjenige, der für ein Weiter-So oder sogar für eine militärische Eskalation stimmt oder derjenige, der nach Auswegen sucht, die das Ganze und dessen Zusammenhänge sowie die künftige Entwicklung planetarischer Zivilisation im Blick hat?

Die verpönte Angst vor dem Atomkrieg

Ist es verwerflich, vor einem Nuklearkrieg Angst zu haben und nach auf Kooperation basierenden Auswegen zu suchen? Gehört nicht viel Mut dazu, das Undenkbare zu denken und sich radikal neuen Kooperationsmodellen zu stellen?

"Das ist utopisch!" wird der Vorwurf der Rezipienten dieses Essays sein. Ja, das ist er. Eine Utopie versucht, sich konstruktiv in eine Zukunft hineinzudenken und Lösungen für drängende Probleme zu schaffen. Die Fähigkeit zum utopischen Denken ist vielen Verantwortlichen derzeit abhandengekommen und einem flachen und ideenlosen Realismus gewichen.

Politikwissenschaft hat die Aufgabe, sich das gesellschaftlich Unpopuläre und Ungedachte konzeptionell vorzustellen und Vorschläge in einem utopischen Sinne zu unterbreiten, wie eine verhängnisvolle Entwicklung noch verhindert und gleichzeitig etwas Neues aufgebaut werden kann.

Wenn hieraus Anregungen und konkrete Schritte erfolgen können, wie aus verfeindeten Menschen Kooperationspartner werden können, war es die Mühe der Utopie allemal wert.

Wenn dann im gesellschaftlichen Diskurs den Grundannahmen des hier vorliegenden utopischen Entwurfs in der Tendenz zugestimmt wird, gilt es zu klären, welche Widerstände es gegen die Durchsetzung dieses Entwurfs geben wird und wer die gesellschaftlichen Bündnispartner im transnationalen Kontext sein können, die ein Interesse an der Durchsetzung dieses Entwurfs haben.

Klaus Moegling, Politikwissenschaftler und Soziologe, Hochschullehrer, apl. Prof. i.R. im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Universität Kassel, Dr. rer.pol. habil., Autor des Buches ‚Neuordnung eine friedliche und nachhaltig entwickelte Welt ist (noch) möglich. Webseite mit der Publikation der 5. aktualisierten Auflage im open access