Mittelmeer-Migranten: Falsche Slogans und Hotspots am falschen Ort

Das Rettungsschiff "Lifeline" im Hamburger Hafen unter dem früheren Namen Sea-Watch 2. Foto (von 2016): Hol and / CC BY-SA 4.0

Mission Lifeline - das nächste Rettungsschiff mit Migranten, das einen sicheren Hafen sucht. Wie könnten europäische Lösungen aussehen?

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Der Streit zwischen den Seenotrettern-NGOs und der neuen italienischen Regierung geht weiter. Nach der Aquarius hat nun das Rettungsschiff Lifeline Migranten an Bord, für die sie einen sicheren Hafen sucht. Über 200 sind es, die Versorgung auf dem Schiff kann nur kurzfristig gewährleistet werden. Der italienische Innenminister gab Bescheid, dass italienische Häfen für das Schiff der deutschen NGO geschlossen sind.

Es ist keine bloße Wiederholung des Aquarius-Dramas. In diesem Stück geht es schärfer zu und es werden andere Hintergründe aufgezogen. Innenminister Salvini begnügt sich nicht mit der Erklärung, dass Italien keine Migranten von der Lifeline auf italienischen Boden lässt, sondern er erhebt schwere Vorwürfe gegen die Besatzung.

Sie habe in einem Bereich agiert, wofür die libysche Küstenwache verantwortlich sei und darüber hinaus falsch gehandelt, weil sie damit mehr Gerettete aufnahm, als ihre technischen Möglichkeiten zulassen. Zuletzt warf der italienische Innenminister den Verantwortlichen des Rettungsschiffes vor, dass sie unter falscher Flagge fahren, weswegen er - zusammen mit dem Transportminister - die Absicht äußerte, das Schiff der Mission Lifeline wie auch den Seefuchs der NGO Sea-Eye zu beschlagnahmen.

Die Story zum Feindbild

Beides sind deutsche NGOs und passen damit zu einem Feindbild, mit dem Salvini großen Publikumserfolg hat und auch hierzulande Beifall bekommt: Die NGOs sind in diesem Bild "deutsche Taxis" im Mittelmeer, die das Geschäft der Schlepper betreiben und zig Tausende Migranten nach Italien bringen. Das Verhalten der NGOs wird in den Anklagen, die in Foren nicht nur in Italien zu einem Chor der Entrüstung angewachsen sind, mit einer gewissen Überheblichkeit des Verhaltens Deutscher in Europa verbunden.

Es ist eine Diffamierungskampagne. Um das zu erkennen, braucht es gar nicht die statistischen Kurven und Zahlen, wie sie zum Beispiel aktuell von Elena Corradi, Matteo Villa und Antonio Villafranca beigebracht werden. Derartige Grafiken und Zahlen sind argumentativ leicht zu umgehen, wie sich in der Vergangenheit beim Thema "Pullfaktor Seenotretter" schon gezeigt hat.

Es kratzt auch ein anderes Bild an der anscheinend für nicht wenige eingängigen Story von den deutschen "NGO-Taxis", die man nur anzurufen braucht, damit sie Migranten aus Libyen holen und ins völlig überforderte Italien bringen. Das Bild stammt von den Erfolgsmeldungen der libyschen Küstenwache.

Das Wirken der libyschen Küstenwache

Am Donnerstag habe die libysche Marine 301 Migranten vor der Küste bei Garrabulli (dem derzeit häufig genutzten Ablegeort) gerettet, berichtet die libysche Ausgabe der al-Wasat. Dort ist weiter zu erfahren, dass die Migranten, die aus verschiedenen afrikanischen Ländern stammen, in den Hafen nach Tripolis gebracht wurden und dass die libysche Marine (welche die Küstenwache weiter draußen auf dem Meer übernimmt) in der vergangenen Woche 273 Migranten gerettet und 17 Leichen gefunden habe, die "während unterschiedlicher Rettungsaktionen" ertrunken sind.

Das bedeutet, dass es ein Risiko gibt, das möglicherweise nicht so leicht einzuschätzen ist, dass ein Schlauchboot von der Küstenwache abgefangen wird, bevor es überhaupt in den Bereich kommt, wo sich NGOs aufhalten. Dazu kommt das ebenfalls nicht leicht einzuschätzende Risiko selbst dann umzukommen, wenn Rettungsaktionen schon initiiert wurden.

Das ist dann doch ein anderes Risiko als bei einer Taxi-Bestellung.

Zumal die Notrufe, wie sich im Fall der Aquarius vor einer Woche gezeigt hatte, den "Dienstweg" gehen und über die Seenotleitstelle in Rom abgewickelt werden. Eine seltsame Rolle im augenblicklichen Geschehen spielen die Niederlande.

Das Verhalten der Niederlande

Sowohl die "Lifeline" wie das NGO-Rettungsschiff "Seefuchs" segeln unter niederländischer Flagge. Lifeline hat ein entsprechendes Schreiben veröffentlicht. Beim "Seefuchs" gab es Erstaunen seitens der NGO Sea Eye über die niederländische Erklärung. Die sieht die Lage so, dass die niederländische Beflaggung nicht mehr rechtens sei.

Salvini hatte wie erwähnt angekündigt, dass man die beiden Schiffe daraufhin überprüfen werde. Was wohl nur für den Fall gilt, wenn sie italienische Hoheitsgewässer befahren. Der Innenminister erklärte den Verantwortlichen der Lifeline, dass sie die Migranten nach Holland bringen könnten, aber nicht in einen italienischen Hafen.

Wer nun, wie im Fall der Aquarius Spanien, "einspringt", um die Geretteten auf der Lifline zu übernehmen, ist zur Stunde noch nicht bekannt. Auch das Hintergrundbild hat sich verändert.

Der Streit in der deutschen Regierung zwischen Kanzlerin Merkel und Innenminister Seehofer darüber, ob Migranten an der Grenze abgewiesen werden können, zeigte mit einer jähen Plötzlichkeit, wie sehr die Migrations-Politik das Nervenzentrum einer Öffentlichkeit berührt, in der Mehrheitsverhältnisse herrschen, die lange Zeit nicht ernst genommen oder überhaupt nicht wahrgenommen wurden.