Mittelmeer-Migranten: Falsche Slogans und Hotspots am falschen Ort

Seite 2: Die Dringlichkeit in den Köpfen und die Fakten

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Die Frage, wie mit den Migranten umzugehen ist, die augenblicklich an Bord der Lifeline sind, und die im gerade begonnenen Sommer von anderen Schiffen gerettet werden, steht nun im drängenden Zusammenhang mit einer "europäischen Lösung". Dafür ist am kommenden Sonntag ein Arbeitstreffen der EU-Spitzenpolitiker anberaumt.

Bemerkenswert ist die Dringlichkeit, die wie es die Zahlen zeigen, durch eine faktisch zwingende Lage hervorgerufen werden. Wie der oben genannte italienische Wissenschaftler Matteo Villa anhand von aktuellen Zahlen darlegt, gibt es keine Krise, weil sich die Zahl der Migranten im Land erhöht. Das ist auch in Deutschland der Fall. Die Krise findet in den Köpfen statt.

Es kommen weniger Migranten übers Mittelmeer nach Italien als zuvor (und es kommen sehr viel weniger Migranten über die Grenze nach Deutschland als in den beiden Jahren 2015 und 2016, dem Auslöser der politischen Flüchtlings- und Migrantenkrise)

Dennoch glaubt eine knappe Hälfte der Italiener in einer Umfrage, dass "genauso viel oder mehr kommen", obwohl doch das Libyen-Konzept des vormaligen Innenministers Minniti für einen bedeutenden Rückgang der Zahl der Migranten gesorgt hat, die über das Mittelmeer nach Italien kommen. Es sind in den ersten Monaten dieses Jahres 75 Prozent weniger als im selben Zeitraum des Vorjahres.

Dass die Krise in den Köpfen stattfindet, heißt aber nicht, dass es dafür keine realen Grundlagen gibt. Die Mehrheit für eine andere, strengere Grenzpolitik mit mehr Abweisungsbefugnissen, einer genaueren Kontrolle bis hin zu einer Abschottung (es wäre interessant, wie hier die Abstufungen in den Meinungen genau ausfallen) rührt nicht aus einer Fiktion. Sie hat echte Gründe.

So zum Beispiel die Arbeitslosigkeit in Italien, die mit der deutschen Wirtschaftsweise zu tun hat, die daraus folgende, von der Politik viel zu wenig beachtete Lageeinschätzung, dass mehr Konkurrenz durch Zuwanderung die Sache nicht eben besser macht und dazu die Probleme, die Italien an vielen Orten mit dem Zusammenleben mit Migranten erfährt und sich nicht nur einbildet, "weil hier ein falsches Bewusstsein vorherrscht".

Dass die Krise in den Köpfen stattfindet, heißt aber auch, dass hetzerische Sichtweisen akzentuiert, betont und betoniert werden, die zum eigenen politischen Lager passen, aber nur wenig mit Fakten zu tun haben - siehe die Darstellung der NGOs als Taxis oder ein diffamierendes Bild von Muslimen, das verstärkt wird (siehe Muslime in Zeiten der rechten Deutungshoheit).

Wer ins Forum schaut und Beiträge zu Migranten liest, weiß sofort, wie Hetze funktioniert und ankommt. Dazu braucht man keine kritische Diskursanalyse, sondern nur den gesunden Menschenverstand, der von den neuen Rechten stets eingefordert wird.

Arrogante Behandlung Italiens

Von der Diffamierung zu trennen ist aber der Fakt, dass es, wie erwähnt, sehr viele gibt - und nicht nur in Italien oder unter Rechten -, die für eine andere Grenz- und Migrationspolitik sind. Dabei beweist die deutsche Regierung wie auch andere europäische Staaten (Frankreich!), wie sich an der kürzlichen Empörung bei Ministerpräsident Conte und Innenminister Salvini zeigt, politische Hochnäsigkeit und Defizite.

Weil ein Schreiben mit Abmachungen zum EU-Arbeitsgipfel am Sonntag schon vor dem Treffen kursierte und die italienische Regierung davon überrascht wurde, sollte Conte laut Salvini gar nicht erst hinfahren. Es bedurfte eines eigenen Krisenmanagements, das zu klären.