"Mörderdrogen für bunte Revolutionen"

Für den Chef der russischen Antidrogenbehörde sind irgendwie synthetische Drogen wie Methadon oder Spice für den Maidan-Protest verantwortlich gewesen

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Russische Behörden neigen offenbar zu Paranoia oder wollen zumindest solche schüren. Der Chef der Russischen Anti-Drogen-Behörde, Viktor Iwanow, erklärte, wie staatliche Medien unkommentiert wiedergeben, dass "Bio-Drogen" wie Spice, das aus synthetischen Cannabinoiden besteht, zu finsteren politischen Zwecken entwickelt würden.

Iwanow erklärte in bester Verschwörungstradition, dass irgendwelche Forschungszentren an "Mörderdrogen für bunte Revolutionen" arbeiten würden. Man habe im letzten Jahr eine synthetische Droge entdeckt, die mit einer neuen Fluor-Verbindung angereichert worden war. Das habe der Droge "Eigenschaften eines chemischen Kampfstoffes" gegeben, der "zu einer tödlichen Epidemie" geführt habe. Damals seien 2000 Menschen durch Spice vergiftet worden, 40 seien daran gestorben.

Zu den "bestimmten Forschungszentren" gehörten solche in Großbritannien und den USA. Sie würden Drogen entwickeln, die bei "bunten Revolutionen" eingesetzt werden könnten. Gemeint sind damit westlich orientierte und vom Westen unterstützte Protestbewegungen, die wie in Georgien (Rosenrevolution 2003), der Ukraine (Orangene Revolution 2004) oder in Kirgisien (Tulpenrevolution 2005) erfolgreich die Regierungen stürzten, auch wenn das Ergebnis, beispielsweise in Georgien, wo der einstige Präsident sich zuerst in die USA und nun als "Berater" in die Ukraine abgesetzt hat, weil gegen im eigenen Land wegen Verschwendung öffentlicher Gelder und des harten Vorgehen gegen eine Demonstration von Oppositionellen angeklagt ist. Auch in der Ukraine hat die Orangene Revolution nur zu einer Machtverschiebung innerhalb des Oligarchensystems geführt, bislang sieht es so aus, als habe der Maidan daran nicht viel geändert. In Weißrussland wurde die Protestbewegung innerhalb von Tagen mit großer Repression niedergeschlagen. Eine Zeitlang schien es so, als würde auch in Russland eine größere, bunt gemischte Protestbewegung entstehen, die aber aus internen Gründen und durch zunehmende Einschränkungen der Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit sowie hartes Vorgehen der Polizei weitgehend zerfallen ist. Der Konflikt in der Ukraine hat mit dem wachsenden Nationalismus und der Rekordpopularität von Putin die Opposition weiter geschwächt.

Dass Putin und die russische Führung Angst vor Protestbewegungen wie auf dem Maidan haben, ist lange bekannt. Letztlich ist dies auch mit ein Grund dafür gewesen, den Arabischen Frühling, gewissermaßen die Weiterführung der bunten Revolutionen im arabischen Raum, nicht zu unterstützen. Moskau stellte sich hinter die iranische Führung, die die kurz aufbegehrende Oppositionsbewegung brutal unterdrückte, und später hinter Assad. Dabei ging es geopolitisch um Sicherung des Einflusses in der Region, aber eben auch um die Wahrung von Stabilität, die der russischen Führung im eigenen Land wie auch im Ausland vor Demokratie geht.

Gerade hatte wieder der russische Verteidigungsminister Lawrow herausgestellt, dass Russland zusammen mit China "das Libyen-Szenario in Syrien verhindert" habe. Allerdings ist Syrien auch staatlich auseinandergebrochen und herrscht der Terror von allen Seiten. Wie man Syrien als die bessere Lösung gegen Libyen ausspielen kann, bleibt das Geheimnis des russischen Diplomaten. Die russischen Journalisten waren auch so höflich, hier nicht weiter nachzuhaken.

Wie groß die mit den Folgen der Sanktionen und des niedrigen Ölpreises gewachsenen Sorge vor möglichen Unruhen ist, zeigte sich kürzlich. Da in den bunten Revolutionen und im Arabischen Frühling das Internet eine wichtige Kommunikations- und Koordinierungsrolle spielte und man damit Informationen ins Ausland übermitteln kann, wird offensichtlich von russischen Behörden geprobt, wie das russische RuNet vom Internet abgehängt werden kann, um die Kontrolle über den Informationsfluss zu erlangen. Zudem wurde die Bekämpfung von Protesten durch die Bereitschaftspolizei geübt. Explizit wurde dabei auf die Maidan-Proteste verweisen (Russische Regierung übt das Abschalten des russischen Internets).

Während man im Westen gerne Menschen, die mit prorussischen Separatisten sympathisieren, als beeinflusst von russischer Propaganda betrachtet, die eine Art Gehirnwäsche realisiert, scheint man nun in Russland neben der Verführung durch den Faschismus und westlichen auch Drogen ins Feld zu führen, um die Maidan-Proteste zu erklären. Die Argumentation ist komplementär zur These von der medialen Gehirnwäsche, wegerklärt werden soll mit beiden, die jeweils unerklärliche Tatsache, dass sich Menschen anders verhalten, als dies von der ideologischen Schwarz-Weiß-Malerei in Russland, in der Ukraine und im Westen vorgesehen ist. Allerdings ist die Drogenthese schon ziemlich gewagt, um es gelinde auszudrücken.

Nach Iwanow seien viele Demonstranten auf dem Maidan unter Drogen gestanden. Irgendwelche "totalitäre Sekten" hätten die Drogensüchtigen von Methadon abhängig gemacht, das man als Ersatz für Heroin gibt. Und diese Drogensüchtigen seien "im Grunde genommen eine Art Kanonenfutter auf dem Maidan wie auch später im Südosten der Ukraine". Bei Letzterem ist allerdings nicht ganz klar, ob die angeblichen Drogensüchtigen eher bei den Separatisten oder bei den ukrainischen Milizen zu finden sind. Spice kommt jedenfalls nach Angaben der Drogenbehörde vornehmlich aus Asien, etwa aus China, was kaum dazu passt, dass der Westen angeblich plant, mit solchen Drogen bunte Revolutionen anschieben zu wollen. Der frühere Innenminister Sachartschenko hatte schon im Januar 2014 behauptet, Maidan-Aktivisten hätten "Mutpillen" erhalten, um Molotowcocktails gegen Polizisten zu werfen. Iwanow hatte die These schon im Mai des letzten Jahres vertreten und gesagt, dass er keine Informationen habe, ob die Drogen von den USA geliefert worden wären.

Dass im Westen wie im Osten auch an nichtletalen chemischen Mitteln zur Verhaltensbeeinflussung geforscht wird, ist unbenommen, sollte Iwanow darauf anspielen (Entwickelt das Pentagon chemische Waffen?). Man kann allerdings just zu diesem Punkt darauf hinweisen, dass die russischen Sicherheitskräfte 2002 einen chemischen Kampfstoff für die Erstürmung des von tschetschenischen Terroristen besetzten Theaters in Moskau einsetzen, an dem die meisten der 128 tot aufgefundenen Geiseln waren durch das Gas getötet worden (Der Giftgaseinsatz in Moskau). Die betäubten Geiselnehmer wurden vor Ort exekutiert. Putin hatte bei dem Narkosemittel von einer "neuen Waffe" gesprochen ("Eine mächtige Waffe").