Morddrohung wegen eines Berichts über Dieselschmuggel

Seite 5: Besetztes Land oder Mafiakratie?

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Für mich bleibt als Wahrheit, dass die nicht etwa keine vernünftige Reform hinkriegen können. Sie wollen es einfach nicht.

Leftheris Charalambopoulos: Genau! Aber jetzt kann ich wieder sagen, dass Griechenland ein besetztes Land ist, in dem Troika, Task Force und neuerdings die europäische Bankenaufsicht das Sagen haben.

Wie bitte? Wie passt das denn nun?

Leftheris Charalambopoulos: Fragen sich die deutschen Journalisten nicht, ob neben dem Kreditnehmer nicht auch eine Schuld beim Kreditgeber liegt? Ist der Kreditgeber nicht auch seinen Geldgebern gegenüber Rechenschaft schuldig? Jahrelang hat man dem Land Kredite gewährt, ohne dass es je eine Aussicht gab, die Gelder auf normalem Weg zurück zu bekommen. Allein die Zinsen waren gemessen an der Wirtschaftsleistung des Landes Wucher. Hat man nicht die Öffentlichkeit wunderbar getäuscht? Weder die Griechen noch die übrigen Bürger Europas wussten Bescheid. Warum also fing 2009 bei exakt dem gleichen Schuldenquotient, der seit zwanzig Jahren stetig zwischen 110 und 120 Prozent pendelte plötzlich das Gerede um die Pleite an? Warum die Panik?

Dir entgeht bei Deiner Argumentation, dass man in Griechenland selbst seit zwanzig Jahren die Produktionsstätten aus dem Land gejagt hatte. Bei gleicher Schuldenlast fehlte die Produktionsbasis, das geht immer schief.

Leftheris Charalambopoulos: Gut, akzeptiert. Aber warum finanzierte das Ausland diese Misswirtschaft so lange. Hier manifestiert sich eine Verantwortung der Kreditgeber. Wem nutzte die? Die Bürger im Land hatten schließlich keine Ahnung, was geschah. Es wurde uns etwas vorgegaukelt. Auch auf persönlicher Basis. Mir wurden die Kreditkarten auch nachgeschmissen. Erst die erste, dann die zweite, die dritte usw. am Ende steht meine persönliche Pleite und die Bank sieht keinen Cent mehr. Die Bank wird es akzeptieren müssen, denn sie hat mir die Kredite gewährt und ist für ihre Investition verantwortlich.

Die Banken sind versichert. Mach Dir da keine Sorgen, das zahlen wir alle über die Rettungsschirme.

Leftheris Charalambopoulos: Eben. Das ist das Bankensystem. Für mich sind das internationale Wucherer, die eiskalt vorgehen.

In Griechenland überschätzt man leider die ausländische Kenntnis über griechische Realitäten. Ich glaube, dass das zu Verschwörungstheorien beiträgt. Hinter dem ganzen Komplex steckt doch nur das hemmungslose Gewinnstreben.

Leftheris Charalambopoulos: Mag sein. Aber unbestritten ist die bisherige Konsumgesellschaft am Ende. Wir haben 100 Tassen in unseren Küchenschränken, wir besitzen drei Fernseher, fünf Mobiltelefone. Mit wir meine ich alle in Europa. Das ist das Grundproblem. Was sollen wir noch kaufen? Das Wachstum geht so nicht mehr weiter, weil der Exportüberschuss eines Landes woanders immer ein Defizit erzeugt. Wer um alles in der Welt kam auf die Idee, dass der Euro eine harte Währung sein muss. Das macht alles nur noch schlimmer. Für uns ist die harte Währung der sichere Tod. Denn alles wird für uns unerschwinglich, konkurrieren können wir unter diesen Bedingungen nicht.

Was wissen wir voneinander?

Das ist wirklich so. Ich stimme Dir auch vollkommen zu, dass Griechenland ebenso wie die übrigen Krisenländer gelernt hatte, mit einer weichen Währung zu leben. Eben drum legten die Menschen ihr Kapital hier in einer eigenen, wertbeständigen Immobilie an. Aber, der harte Euro, das ist ein Credo der Deutschen. Denn die hatten, plakativ gesagt, ihr gesamtes Leben auf Mietwohnungen, geleaste Autos und Erspartes ausgerichtet. Das deutsche System muss nicht unbedingt besser sein, es hat am Ende aus welchen Gründen auch immer die Eurozone dominiert. Neben der Bankenkrise, die ihren großen Anteil am Problem hat, haben wir inkompatible Wirtschaftssysteme, die ohne politische Union zusammengepappt wurden. Siehst Du das anders?

Leftheris Charalambopoulos: Nicht unbedingt. Weiß das der deutsche Bürger? Hat er diese Info?

Die Deutschen denken freilich anders als die Griechen. Sie erleben auch einen anderen Alltag. Ich hatte über das Verbot der Bilder des Elends durch den Rundfunkrat in Telepolis geschrieben und teilweise heftige Reaktion erhalten. Für die Deutschen ist das Recht am eigenen Bild wichtiger als ein Bericht über einen Clochard.

Leftheris Charalambopoulos: So habe ich 2007 auch noch gedacht. Aber der Clochard von 2007 ist eine vollkommen andere Person als die heutigen Obdachlosen. Hättest Du mit Deiner Kamera vor meinen Augen 2007 einen Clochard fotografiert. ich wäre ausfallend geworden. Denn damals waren bei uns nur Randgruppen der Gesellschaft obdachlos. Es waren wenige, vereinzelte, verkrachte Existenzen. Wenn wir heute einen Obdachlosen in Not sehen, dann wissen wir nicht, ob er in einer Stunde noch lebt oder wegen Hunger oder Kälte stirbt. Es sind Menschen wie wir, die aber durch die Krise in Not gerieten und denen der Staat in keiner Weise hilft. Das ist ein humanitäres Drama, das wir dokumentieren müssen. Wir müssen dem Staat sein Versagen vor Augen führen. Wer es nicht macht, hat den Beruf verfehlt.

Das ist doch etwas hart, oder? Ich kann zum Beispiel meine Scheu, Menschen ohne Rückfrage zu fotografieren nicht ablegen, denn das habe ich einst als Anstandregel gelernt.

Leftheris Charalambopoulos: Als Journalist verweise ich Dich auf die Verfassung, da steht im Prinzip drin, wie Journalismus zu machen ist. Der Rundfunkrat verfährt doch ebenso wie das Regierung mit ihren am Parlament vorbei erlassenen Notstandsgesetzen. Den könnte man ebenso einsparen wie die Gehälter für die offenbar nutzlosen Parlamentarier. Die Rolle der Journalisten, unsere Rolle, ist die Kontrolle. Schlimmer als einen schlecht ausgebildeten und untalentierten Journalisten finde ich einen teilnahmslosen, eventuell sogar korrupten Journalisten. Letztere sind sogar gefährlich. Denn, wenn ich es schnell auf den Punkt bringen sollte, würde ich sagen, dass Griechenland mitten in der Krise steckt, weil wir schlechte, teilnahmslose und korrupte Journalisten hatten, die ihre Kontrollfunktion nicht erfüllten. Da liegt die Hauptschuld.

Das ist sehr selbstkritisch gegen den Berufsstand.

Leftheris Charalambopoulos: Aber es ist so. Dem Rundfunkrat würde ich übrigens gern fragen, warum er nicht die gleiche Empfindlichkeit für das Recht am eigenen Bild an den Tag legt, wenn die Polizei Fotos von geschlagenen oder an den Pranger gestellten Festgenommenen zeigt. Egal, welches Verbrechen ein Mensch begannen hat, Prügel und öffentliche Zurschaustellung sollten in einer Demokratie nicht erlaubt sein.

Selbst Journalisten entschuldigten im TV und in Printmedien die "paar Ohrfeigen". Das macht auch mir Sorge.

Leftheris Charalambopoulos: Kein Gericht erlaubt Prügelstrafen. Sie dürften auch beim schlimmsten Verbrecher nicht angewandt werden. Aber hier sprechen einige ja bereits wieder von der Todesstrafe. Ok. Wenn es gewünscht wird, wenn die Mehrheit entscheidet, dass wir wieder eine Prügelstrafe und die Todesstrafe erhalten, mag es korrekt sein. Es sollte dann aber auch offiziell verkündet werden. Könnte so etwas in Deutschland in dem Maß passieren?

Es soll im Fall der Entführung eines kleinen Jungen, Jakob Metzler, zur Androhung und zur Durchführung von Folterähnlichen Maßnahmen gekommen sein. Jedoch wurden die Verantwortlichen der Polizei von der Justiz dafür zur Rechenschaft gezogen.

Leftheris Charalambopoulos: Siehst Du. Genau das passiert hier nicht. Nie! Es ist kein Zufall, dass die rechtsradikale Chryssi Avgi in Umfragen weit mehr als zehn Prozent erzielt. Diese zehn Prozent lebten schon lange unter uns. Sie waren in anderen Parteien und werden es nie kapieren- Diese Gruppe wird immer für Selbstjustiz und Ausländerhass eintreten. Auch das ist eine Gefahr für das Land. Alle anderen müssen wir so gut wir können informieren.

Vielen Dank für das lange Gespräch!