Moscheen: Der Klischeereport

Seite 2: Aus 150.000 Türken werden 150.000 Soldaten

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Erneut geht es im folgenden Studiogespräch nicht um die praktische Integrationsarbeit der Moschee, die weit mehr als 45 Minuten Freitagpredigt umfasst. Vielleicht weil sich in der Predigt kaum Anlass für Kritik finden lässt, widmet sich Schreiber der persönlichen Glaubwürdigkeit des Gastimams. Mehrmals erfährt der Zuschauer, dass Mourou "Gründungsmitglied der islamistischen El-Nahda"-Partei ist. Dass die Partei die erste demokratische Regierung in der Geschichte Tunesiens stellte und von vielen Experten als demokratisches Ergebnis des arabischen Frühlings gesehen wird, erfährt der Zuschauer nicht.

Stattdessen überlässt es Schreiber dem Freiburger Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi, der bisher eher durch seine islamkritischen Thesen als durch seine Tunesien-Expertise aufgefallen ist, Mourous Glaubwürdigkeit zu bewerten. Dessen verschwörerisches Urteil: "Wir haben es hier mit einem Gelehrten zu tun, der sagt nicht, was er denkt. Der sagt, das was die Zuhörer hören möchten."

Bezeichnend für die Qualität der Auseinandersetzung ist auch, dass die einzige Stelle der Predigt, die Schreiber im anschließenden Studiogespräch Anlass für ausgiebige Kritik gibt, sich später als Falschübersetzung entpuppt. Aus "150.000 Türken", die als Gastarbeiter nach Deutschland kamen, macht Schreiber "150.000 Soldaten". Möglicherweise ist dies auch der Grund, warum die ARD den Beitrag mittlerweile aus ihrer Mediathek entfernte. (Ergänzung des Autors: Teil 1 des Moschee-Reports ist in der ARD-Mediathek verfügbar. Teil 2 - zu Neukölln - wurde im TV bis dato noch nicht aussgestrahlt, war aber schon in der Mediathek, wurde später wieder entfernt).

Rechercheergebnisse an den Verfassungsschutz weitergeleitet

Auch Schreibers sonstiges Auftreten gibt Anlass zu Skepsis, wie ernst es ihm mit einer vorurteilsfreien Bestandsaufnahme der Aktivitäten deutscher Moscheen ist: Am vergangenen Dienstag stellte Schreiber sein Buch zur TV-Reihe (oder umgekehrt) vor. Dessen Titel "Inside Islam" erinnert vielleicht nur zufällig an Jürgen Todenhöfers "Inside IS". Vielleicht auch nicht.

Unterstützt wurde er bei der Vorstellung von den beiden CDU-Politikern Düzen Tekkal und Jens Spahn, die beide - wie von jetzt an wohl auch Schreiber - in der Öffentlichkeit eher als Islamkritiker als Islamvermittler gelten. Letzter nutzte die Vorstellung auch gleich, um ein Moscheeregister zu fordern.

Im die Veröffentlichung begleitenden Deutschlandradio-Interview erklärte Schreiber, dass sämtliche von ihm besuchte Moscheen Orte seien, die der Integration in Deutschland entgegenwirken: "Der rote Faden war schon die Warnung vor dem Leben draußen in Deutschland. Es ging immer darum zu sagen: Wir, die Muslime, und die anderen, die Christen, die Ungläubigen."

Zumindest auf die bisher in der ARD veröffentlichten Auszüge trifft dieser Vorwurf jedenfalls nicht zu. An gleicher Stelle gibt Schreiber auch an, einzelne Predigten an den Verfassungsschutz weitergeleitet zu haben. Dass Journalisten ihre Rechercheergebnisse an Geheimdienste übermitteln, ist mehr als unüblich. Schreiber zufolge habe allerdings selbst der Verfassungsschutz in den Reden nichts Bedenkliches gefunden.

Dem Vorwurf der fehlenden fachlichen Einordnung und Bewertung der von ihm dokumentierten Predigten, entgegnet Schreiber in einem Gastbeitrag für Die Zeit. Unter der Überschrift "Niemand predigt Integration" schreibt er, er hätte keine Islamwissenschaftler finden können, die bereit gewesen wären, ihn bei seinen Recherchen zu unterstützen.

Stattdessen hätten sie ihm entweder Islambashing vorgeworfen oder ließen monatelang "Anrufe und E-Mails unbeantwortet". Doch einige dieser Islamwissenschaftler meldeten sich nach der Ausstrahlung des Moscheereports zu Wort.

"Ein kleiner Recherchefehler in solch einem Zusammenhang kann Existenzen bedrohen"

Mathias Rohe, Islamwissenschaftler an der Uni-Erlangen, würdigt im Deutschlandradio zwar Schreibers Bemühen, herauszufinden, was in deutschen Moscheen gepredigt wird. Rohe kritisiert aber Zahlenangaben Schreibers, wie z.B. dass in 80-90 Prozent der Moscheen antidemokratische Predigten gehalten würden. Davon Rückschlüsse auf die Einstellung von Muslimen in Deutschland zu ziehen, bezeichnet Rohe als "in höchstem Maße unseriös".

Schreibers Recherchen gäben "Anlass zu weiter Nachforschungen aber nicht Anlass zu Misstrauen gegenüber sämtlichen Moscheegemeinden", sagte Rohe.

Noch deutlicher wurde die Professorin für Islamwissenschaft an der Uni-Freiburg Johanna Pink. In einem offen Brief an die ARD-Chefredakteur, den der Tagesspiegel veröffentlichte, schreibt sie, dass der Moscheereport "verzerrend, insgesamt einseitig war und Fehler" enthielt.

Ein kleiner Recherchefehler in solch einem Zusammenhang kann Existenzen bedrohen, bis hin zu verweigerter Einbürgerung aufgrund der Mitgliedschaft in bestimmten Moscheevereinen.

Johanna Pink

Pink zeigt sich außerdem verwundert über Schreibers Behauptung, kein Islamwissenschaftler habe mit ihm zusammenarbeiten wollen: "Ich selber und viele mir bekannte Kolleginnen und Kollegen, die über die Webseiten ihrer Institute sehr leicht auffindbar sind, hätten Herrn Schreiber gern für Interviews zur Verfügung gestanden."

Ohnehin bietet die wissenschaftliche Literatur längst Antworten auf die Frage, was hinter den Türen von Moscheen passiert. So geheimnisumwoben wie Constantin Scheiber in seiner gefühlten Enthüllungsreportage den Anschein erweckt, ist das Thema bei weitem nicht: Wer wirklich daran interessiert ist, das fremde Leben seiner muslimischen Nachbarn zu verstehen, dem sei entweder die bereits 2010 veröffentliche Studie des Osnabrücker Religionssoziologen Rauf Ceylan "Die Prediger des Islam" oder ein Gang in die nächste Moschee empfohlen. Die Türen stehen offen - auch für "Deutsche".