Müssen Informationen etwas kosten?

Das Start-up-Unternehmen MobilePress will jedenfalls an personalisierten Informationen für mobile Endgeräte verdienen

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Bisher gibt es im Internet kostenlos Massen an digitaler Information. Dafür sind sie schwer zu finden und die Qualität ist recht unterschiedlich. Das Münchener Unternehmen MobilePress will das ändern: Wer zahlt, bekommt exklusives, hochwertiges Material auf Handy, PDA oder eBook geschickt.

Die Präsentationsfolien legt Axel Erbacher als dritten Gesprächspartner auf den Tisch. Behutsam, respektvoll, fast zärtlich berührt er sie immer wieder. Sie waren die vergangenen drei Monaten viel unterwegs, sprachen zusammen bei Zeitungsverlagen, Risikokapitalgebern, Werbeagenturen und Technikern vor. Erst war auf den Seiten eine Idee, jetzt ist es ein Start-up Unternehmen.

"Mobile Press überträgt aktuelle und personalisierte Informationen auf mobile Endgeräte" steht da. Der Satz des Münchener Gründers weckt Hoffnungen: Bei Zeitungslesern auf die selbst zusammengestellte digitale Zeitung, bei Verlegern darauf, mit digitalen Medien endlich Geld zu verdienen, bei Erbacher auf 25 Millionen potentielle Kunden in Deutschland.

In der Tat wird es immer wahrscheinlicher, in naher Zukunft Texte ohne Papier zu lesen. Der Anfang sind die heute schon verfügbaren WAP-Mobiltelefone mit großen Displays, auch die Bildqualität von Persönlichen Digitalen Assistenten (PDA) wird ständig besser, noch in diesem Jahr wird in Deutschland das erste eBook auf den Markt kommen. Das knapp Din-A-4 große Gerät mit Flüssigkristallbildschirm kann 4000 Seiten Text speichern, Aktualisierungen sind über ein integriertes Modem möglich.

Bisher haben Anbieter von digitalen Inhalten für ein Massenpublikum im Internet ihre Erfahrungen gesammelt. Und die sind nicht sonderlich gut. Der Haken bei der Sache ist, dass kaum jemand bereit ist, für digitale Texte Geld zu zahlen. Fast alle Angebote im Netz werden von Verlagen oder Risikokapitalgebern finanziert. Als das amerikanische online Magazin "Slate eine Abonnementgebühr erhob, rief niemand mehr das Angebot ab. Inzwischen kostet allein die Archivsuche, der Rest ist weiterhin kostenlos. Hans Joachim Fuhrmann, Sprecher des Bundesverbands der deutschen Zeitungsverleger (BDZV): "Geld werden wir erst im nächsten oder übernächsten Schritt verdienen."

Dieser Schritt könnte Axel Erbachers digitale Zeitung sein. Im Spätsommer will MobilePress das erste Angebot auf den Markt bringen. Die Benutzer sollen nach Stichworten ihre Themenfelder eingrenzen. Sie bekommen die Artikel als kleine Anreißer auf Mobiltelefon, eBook oder den PDA zugeschickt. Bei Interesse kann dann der ganze Artikel abgerufen werden. Mit leuchtenden Augen sprudelt Erbacher über: "Das ist doch der Traum jedes Zeitungslesers. Wir machen einen großen Kiosk, in dem jeder ganz persönlich aussuchen kann, was er lesen will - und auch nur gelesene Artikel bezahlen muss. Und zwar deutlich weniger, als sie heute bei einer professionellen Datenbank wie GBI für einen Artikel zahlen." Also für weniger als drei Mark.

Dass dieser 27jährige Student mit Küppersbusch-Frisur, Woody Allen-Brille und schüchternem Lächeln die Rekommerzialisierung von Information einleitet, ist schwer zu glauben. Er wirkt viel zu begeistert von der Idee, als dass er ans Geldverdienen denken könnte. Die Unternehmensgeschichte bestärkt das: Im Februar erzählte Erbacher in einem Schwabinger Cafe einer Freundin von seiner Idee. Sie war begeistert, er holte sich einen Studienfreund als Partner ins Boot, die Technik entwickelten Bekannte am Fraunhofer-Institut in Erlangen, das Marketing übernahm eine Düsseldorfer Agentur, in der Erbacher mal gejobbt hatte. Die exklusiven Inhalte sollen etablierte Print-Titel liefern.

"Wir verstehen uns als Dienstleister für die Verlage und Leser", drückt Erbacher das aus. Für die Wirtschaftsnachrichten, die den Anfang des Dienstes machen sollen, sei man in Gesprächen "mit einem großen Magazinverlag". BDZV-Sprecher Fuhrmann glaubt, dass mehr hinzukommen können: "Natürlich sind die Verlage an Dritten interessiert, die hohe Kompetenz mit der Technik haben. Um in den neuen Märkten Bereiche abzustecken verkaufen sie durchaus Inhalte weiter."

Die Frage ist aber, ob die Endnutzer diese Informationen auch kaufen. Günther Rager, Professor am Journalistik-Institut der Universität Dortmund, hat da seine Zweifel: "Die Zielgruppe für eine digitale Zeitung ist klein. Selbst die heutigen überregionalen Zeitungen erreichen nur einen Bruchteil der Bevölkerung." Erbacher rechnet hingegen damit, vor allem Mensche zu erreichen, die bisher nicht Zeitung lesen, weil für sie zuviel "uninteressantes Zeug" drinsteht.

Das Produkt von MobilePress sollte aber nicht als Fortentwicklung der Zeitung verstanden werden. Es ist eher eine Übertragung des Geschäftsmodells Zeitung auf das Internet. Und dass hier Bedarf nach neuen Produkten besteht, ist Grundkonsens bei Experten. Professor Rager ist überzeugt, dass "es im Internet zu wenig hochwertige Informationen gibt." Michael Haller, Professor am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Uni Leipzig, sieht Interesse bei Verlagen und Lesern: "Die Verlage werden in den nächsten fünf Jahren etwas in der Richtung machen, einfach weil sie mit Information Geld verdienen müssen. Und auf Benutzerseite gibt es Bedarf nach verlässlichen Informationen."

Die sind im Internet selten und schwer zu finden. Denn hier müssen Inhalte schnell und billig produziert werden. Bestenfalls bedeutet das die Übernahme von Agenturmeldungen, normalerweise aber das Kopieren von Texten von anderen Seiten. So multiplizieren Fehler sich unkontrolliert. Zweites Manko der kostenlosen Informationen im Netz ist, dass sie - wie zum Beispiel die Buchbesprechungen auf den Seiten der ECommerce Anbieter - entweder auf Produkte neugierig machen oder möglichst viele Benutzer möglichst lange bannen müssen, was auf den kleinsten gemeinsamen Nenner als Inhalt hinausläuft. Andererseits hat sich in Nischen des Netzes auch eine neue Informationskultur etabliert. So schreiben Rollenspielfans hundertseitige Quellenbände, die sie kostenlos zur Verfügung stellen. Die strikte Trennung zwischen Produzent und Konsument ist aufgehoben.

Und indem MobilePress diese wieder etabliert, werden die Informationen zum einen valider, zum anderen aber teuer. Die viel beschworene Gefahr einer Zwei-Klassen-Informationsgesellschaft ist zum Greifen nah. Günther Rager fürchtet: "Schon heute bestellen viele Haushalte die Zeitung aus finanziellen Gründen ab. Durch Projekte wie MobilePress können sie noch stärker von Informationen abgeschnitten werden. Abgesehen davon fehlt in Familien, die sich keinen Internetanschluss leisten können, heute schon viel Kompetenz. Es wird in Zukunft mehr Leute geben, die jeder Information aus dem Weg gehen."

Eine Aufsplitterung der Informationsgesellschaft droht aber nicht nur unter finanziellen Gesichtspunkten. Indem Benutzer ihr Informationsangebot bei MobilePress im Vorhinein einschränken, verengt sie ihre Perspektive stark. Hier sieht Michael Haller das zweite große Problem der neuen Technologie: "In Tageszeitungen wird man durch Informationen überrascht. Bei Modellen wie MobilePress ist der Informationshorizont eingeschränkt. Das hat viel mit der Segmentierung der Gesellschaft zu tun und wird in den nächsten 15 Jahren ein kulturpolitisches Problem werden."

Axel Erbacher verabschiedet sich nach dem Gespräch, läuft gen Schwabinger Heimat. An einem Zeitungskiosk bleibt er kurz stehen, schaut auf die Süddeutsche Zeitung und winkt zum Abschied: "Sehen sie, Informationen müssen einfach etwas kosten."