Mutige Entscheidung von Heiner Geißler

Auch mit Betonung auf das Recht zu gewaltfreien Demonstrationen trat der Ex-CDU-Generalsekretär der globalisierungskritischen Organisation Attac bei, während Verfassungsschutz und BKA wieder vor Gewalt im Rahmen der G8-Proteste warnen

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Nachdem die Polizei aufgrund der Befürchtung von Gewalttätigkeiten und Behinderungen ein Demonstrationsverbot um den Sicherheitszaun angeordnet hat (Die "internationalen Interessen" Deutschlands gegen die der Demonstranten), kündigte nun Heinz Fromm, der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, in einem Interview an, dass die Sicherheitsbehörden mit von Linksextremen ausgeübten Gewaltaktionen vor allem in Berlin, Hamburg und Norddeutschland vor dem G8-Gipfel in Heiligendamm rechnen. Es gebe Drohungen für das Treffen der europäischen und asiatischen Außenminister Ende Mai in Hamburg.

Fromm stellte dies in Zusammenhang mit der "militanten Kampagne", die seit 2005 "zu einer Vielzahl von Straftaten und bis heute zu 20 Brandanschlägen mit teils erheblichen Schäden geführt“ habe. Beim G8-Gipfel sei, so Fromm gegenüber der Passauer Neuen Presse, "mit Stör- und Blockade-Aktivitäten" zu rechnen. BKA-Chef Jörg Ziercke bekräftigt die Aussagen Fromms: "Es gibt konkrete Ankündigungen und Hinweise linksextremistischer Gruppen, etwa Bekennerschreiben, in denen Gewaltanwendung deutlich angedroht wird." Von drohenden Anschlägen gegen Personen, wie noch vor kurzem behauptet, wird nicht mehr gesprochen. Allerdings bringt Ziercke vergangene Brandanschläge und Aktionen mit den geplanten Protesten gegen den G8-Gipfel in einen Zusammenhang:

Wir haben es mit militanten Kampagnen zu tun, die den G-8 Gipfel in Heiligendamm stören wollen und die auch schon jetzt massiv Störungen verursacht und Anschläge begangen haben.

In letzter Zeit habe man monatlich rund 40 bis 45 Straftaten in Form von Brandanschlägen und Sachbeschädigung mit Farbbeutel registriert, die sich gegen das Gipfeltreffen richteten: "Zuvor lag die Zahl bei höchstens zehn bis 15 Straftaten … Diese Gruppen wollen Angst und Schrecken verbreiten." Die Razzien der letzten Woche rechtfertigte der BKA-Chef noch einmal als Präventivmaßnahme: "Wir haben deutlich gemacht, dass wir diese Personen im Visier haben."

Das BKA hat einen neuen Fahndungsaufruf veröffentlicht, der G8-Gegner anvisiert. "Im Rahmen der bislang durchgeführten Ermittlungen", so heißt es, "sind Personen aus der Szene der G8-Gegner ins Blickfeld der Strafverfolgungsbehörden geraten." Dabei geht es um einen Brandanschlag, der in der Nacht vom 16. auf den 17.10.2005 auf das Gebäude "Pavillon du Lac" in Tegel verübt wurde. Zur Tat bekannte sich die Gruppe "autonome gruppen / militant people (mp)". Das BKA hat neue Bilder veröffentlicht, auf denen zwei Verdächtige vor oder nach der Tat zu sehen sind.

Das Verbot von genehmigten Demonstrationen und Versammlungen im Umkreis von 200 Metern und das von unangemeldeten im Umkreis von bis zu 10 Kilometern um den Sicherheitszaun vom 30. Mai bis zum 9. Juni stößt auch in Teilen der Regierung und der Opposition auf Kritik. So sagte der für Innenpolitik zuständige SPD-Abgeordnete Dieter Wiefelspütz, dass solche umfassenden Demonstrationsverbote gut begründet werden müssten: "Das letzte Wort werden die Gerichte haben." Es müsse möglich sein, dass man in Deutschland friedlich und ohne Waffen gegen den G8-Gipfel demonstrieren könne.

Eine Anfrage von Ulla Jelpke von der Linkspartei an die Bundesregierung ergab, dass bis zum 16.5. trotz vieler Warnungen und Ankündigungen keine konkreten Hinweise auf geplante Anschläge oder Gewalttaten bekannt sind. Das Bundesinnenministerium spricht von einer "abstrakten Gefährdung" und beruft sich ansonsten auf die Gefährdungsanalysen der Sicherheitsbehörden.

Möglicherweise hat man sich in Deutschland, um die "internationalen deutschen Interessen" zu wahren, für die Durchführung des G8-Gipfels Russland zum Vorbild genommen. Dort fand letztes Jahr auf einer Insel in der Nähe von St. Petersburg der Gipfel statt, die Proteste waren gering, die Ergebnisse des Gipfels, auf dem man vor der jetzigen Eiszeit noch Einigkeit im Kampf gegen den Terrorismus zeigte, freilich auch. Ergebnisse in Bezug auf die Klimapolitik oder die Bekämpfung der Armut sind auch in Heiligendamm nicht zu erwarten.

Man stelle sich nur einen Augenblick vor, die Regierung von Belarus (Weißrussland) oder der russische Präsident erließen anlässlich internationaler Gipfel in ihren Ländern ähnliche restriktive Verfügungen. Wir können sicher sein, dass Bundesregierung und EU postwendend von "nicht akzeptablen" Einschränkungen der Meinungsfreiheit sprechen würden und scharfe diplomatische Noten nach Minsk bzw. Moskau schicken würden. Harsche Reaktionen wären auch heraufbeschworen worden, wenn Russland oder Belarus Regimekritiker und Gipfelgegner ähnlich rüde behandelt hätten, wie das die deutschen Innenbehörden vor 10 Tagen mit ihren Polizeirazzien gegen 40 alternative Einrichtungen getan hatten.

Peter Strutynski, Sprecher für den Bundesausschuss Friedensratschlag

Einen mutigen Schritt angesichts der aufgeregten Diskussion über Gewalt und deren Verhinderung im Kontext des G8-Gipfels hat der frühere CDU-Generalsekretär Heiner Geißler mit seinem Beitritt zu der globalisierungskritischen Organisation Attac unternommen. Attac ist Mitveranstalter der großen Demonstration am 2. Juni und des Alternativgipfels vom 5. bis 7. Juni in Rostock Als Grund nannte Geißler, dass er für das Recht auf gewaltfreie Demonstrationen eintrete, das Attac für sich in Anspruch nimmt, und für eine "humane Gestaltung der Globalisierung" kämpfe, die er für die wichtigste Aufgabe dieser Zeit betrachte. Zu den Warnungen vor Gewalt, die zu den Verboten führten, sagte er: „Es laufen immer bei Demonstrationen Leute mit, die das Demonstrationsrecht missbrauchen. Aber man kann nicht alle Leute in einen Topf werfen.“

Herbert Grönemeyer, Mitveranstalter des Konzerts in Rostock im Rahmen der von NGOs mit Bono und Geldof als Promis organisierten Kampagne Deine Stimme gegen Armut, gibt sich kämpferisch und erklärte am Dienstag in Berlin: "Politiker haben die Verantwortung, sich dem Protest zu stellen. Es sind unsere Vertreter, und sie haben zuzuhören, was wir sagen. Wenn die Menschen aggressiver werden, ist das auch ihre Verantwortung." Grönemeyer kritisierte dabei Deutschland, dass seine Zusagen zur Entwicklungshilfe bei weitem nicht eingelöst habe. Unterstützt wurde er von Bono: "Ich bin sehr besorgt, dass es Gewalt auf den Straßen geben könnte. Es gibt eine wirkliche Wut. Und ich fühle sie selbst, wenn ich in ein Krankenhaus komme und sehe dort die Menschen Schlange stehen, um zu sterben."