NPD: Verfassungsfeindlich, aber zu ungefährlich für die Demokratie

Das Bundesverfassungsgericht lehnt den Antrag der Bundesländer auf Verbot der neonazistischen Partei ab

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Mancher wollte nicht warten: Während Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle erst um 10.04 Uhr im Bundesverfassungsgericht mitteilte, dass das Gericht den Antrag auf ein Verbot der NPD abweist - meint: ein NPD-Verbot findet nicht statt - hatte Spiegel-Online um 10.01 Uhr schon das Verbot der NPD gemeldet. Kurz darauf folgte die Korrektur, auch andere Medien, etwa der MDR, waren "zu schnell" und hatten das Verlesen des Verbotsantrages durch Voßkuhle zu Beginn der Urteilsverkündung schon als dessen Bestätigung angesehen. Hektische Zeiten also.

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat am Dienstagmorgen mitgeteilt, dass die NPD nicht verboten wird. Letztlich bestätigte das Gericht die Befürchtungen der letzten Jahre (Ist die NPD verboten gut oder verboten schlecht?). Gerichtspräsident Voßkuhle benötigte rund zehn Minuten, um die Kurzfassung des Urteils und dessen Begründung vorzulesen, bevor der Senat zu einem Lesemarathon ansetzte, um ausführlich zu begründen, warum die NPD nicht verboten wird.

Für die Partei wirkt es wie ein Erfolg, schon kurz nach Bekanntwerden des Scheiterns begann die NPD in den sozialen Medien, dank des Urteils die Werbetrommel zu rühren und um neue Mitglieder zu buhlen. Erste - wohl vorbereitete - Statements von NPD-Parteichef Frank Franz kursierten, wonach seine Partei ein "zweifacher Verbotsverfahrenssieger" sei. Gerichtspräsident Voßkuhle erläuterte da noch die Kurzfassung des Urteils. Einstimmig habe der Senat entschieden, dass die NPD zwar eine Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung, verfassungsfeindlich und punktuell gefährlich für die Demokratie sei. Die Bedeutung der Partei erreiche indes nicht die Schwelle, die für ein Verbot notwendig sei.

Etwaige Straftaten, die Parteikader oder deren Mitglieder und Sympathisanten begingen - etwa Bedrohungen von Vertretern anderer Parteien auf kommunaler Ebene oder Angriffe auf Migranten - seien ein Fall für das Strafrecht, für Ermittlungsbehörden und Strafgerichte. Auf Einschüchterung und Bedrohung sowie den Aufbau von Gewaltpotentialen müsse mit den Mitteln des präventiven Polizeirechts und des repressiven Strafrechts rechtzeitig und umfassend reagiert werden, um die Freiheit des politischen Prozesses ebenso wie einzelne vom Verhalten der NPD Betroffene wirkungsvoll zu schützen. Ausreichend für ein Verbot sei derlei indes nicht, so Voßkuhle. Allerdings wolle die NPD die freiheitlich-demokratische Grundordnung "planvoll" abschaffen und bekämpfen.

Auch das völkisch-nationalistische und antisemitische Abstammungsprinzip der Partei verstoße gegen das Grundgesetz, zugleich habe die NPD eine Wesensverwandtschaft mit der NSDAP und dem historischen Nationalsozialismus. Die NPD sei anhand des politischen Konzeptes, das sie vertrete, zwar verbotswürdig. Jedoch sei ein Verbot einer verfassungsfeindlichen Partei nur gerechtfertigt, wenn sie ihre Ziele umsetzen könne und damit eine wirkliche Gefahr für die Demokratie sei. "Das ist bei der NPD nicht der Fall", so Gerichtspräsident Voßkuhle. 10.14 Uhr und Ende der Kurzfassung.

V-Leute spielten keine Rolle mehr

Die NPD ist laut Bundesverfassungsgericht also nicht verboten worden, weil sie zu bedeutungslos für ein Verbot sei. Anders als 2003, als das Gericht das erste NPD-Verbotsverfahren kippte, war diesmal nicht die V-Leute-Thematik ausschlaggebend für ein Scheitern des Verbotes. Seinerzeit hatte das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass unklar sei, welchen Anteil die V-Leute an Parteientscheidungen hatten und ob sie - quasi im Staatssalär stehend - selbst Verbotsgründe beigesteuert hatten.

Am Dienstag wies das Bundesverfassungsgericht darauf hin, dass die V-Leute-Thematik keinen Ausschlag für die Urteilsfindung gab. Es sei davon auszugehen, dass alle V-Leute rechtzeitig abgeschaltet worden seien vor dem Stellen des Verbotsantrags. Auch ein Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln sei nicht dazu genutzt worden, Prozessstrategie der NPD auszuspähen oder auf diesem Weg Verbotsgründe zu erlangen.

Die Gesellschaft ist weiter nach rechts gerückt

Helmut Lölhöffel kommentierte das Nicht-Verbot der neonazistischen Partei im "Blick nach Rechts" mit einem gesellschaftlichen Wandel: "Entscheidend für das zweite Scheitern eines Verbotsverfahrens war diesmal, dass sich der Blickwinkel verändert hat. Die Mehrheit der Gesellschaft ist, wie in weiten Regionen der Europäischen Union und in den Vereinigten Staaten von Amerika, nach rechts gerückt. Die Entscheidung in Karlsruhe spiegelt das wider. […] Das Bundesverfassungsgericht hat juristisch entschieden. Und damit einen Beitrag geleistet, dass es politisch weiter nach rechtsaußen geht mit dieser Republik. Fürchterlich."

Dies mag in Teilen moralisch und emotional argumentiert sein. Weiter gedacht zeigt es jedoch ein Problem auf, welche künftig tatsächlich zur Gefahr für die Demokratie in Deutschland werden könnte. Aktionsformen und Parteienlandschaft rechts der CDU haben sich in Deutschland in den letzten Jahren stark gewandelt. Die Alternative für Deutschland (AfD) ist nicht verfassungsfeindlich, allerdings gibt es einen völkisch-nationalistischen Flügel der Partei, der an die Macht strebt und in Teilen ähnliche Inhalte vertritt, wie die NPD. Ab wann würde hier eine Entwicklung eintreten, die dem demokratischen Rechtsstaat gefährlich werden könnte?

Weitaus offener neonazistisch als die NPD treten unterdessen Miniaturparteien wie "Die Rechte" und "Der III. Weg" auf. Deren lokal oder regional agierenden Verbände erfüllen ein Mindestmaß an Handlungen, die man als Partei erfüllen muss, um unter dem Parteienprivileg wirken zu können. Zugleich stellen sie wegen ihres radikalen Auftretens und der aggressiven Propaganda in manchen Bereichen Deutschlands schon heute eine Gefahr für die Allgemeinheit, Lokalpolitiker und Sicherheitsbehörden dar. Deutschlandweit gesehen sind sie indes noch unbedeutender als die NPD. Dank strategischen und geschulten Auftretens kommen die Strafverfolgungsbehörden hier oftmals an ihre Grenzen.

Eine braune Graswurzelrevolution zwischen Drohkulissen, verbalem Alltagsterror und organisierten (Klein-)Strukturen, zwischen Anschlagsplänen und planmäßig durchgeführter Anschläge findet längst statt (Völkischer Regionalismus in Deutschland). Das Urteil aus Karlsruhe werden Strategen und Kader in jenen Szenen sehr genau zur Kenntnis nehmen und für ihre Zwecke zu nutzen wissen.