NSU-Ermittlungen: Schirmte die Bundesanwaltschaft den Verfassungsschutz gegenüber dem Bundeskriminalamt ab?

Seite 2: Nerv im NSU-Komplex

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Die Rolle des Verfassungsschutzes ist ein Nerv im NSU-Komplex. Das Trio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos, Beate Zschäpe war in Chemnitz und Zwickau von mindestens zwei Dutzend V-Leuten geradezu "umzingelt" (Petra Pau, Obfrau der Linkspartei im Ausschuss). Einige sind enttarnt, andere noch nicht. Den Überblick muss die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe haben. Sie ist auch in die Rekrutierung von V-Personen eingebunden, wenn das in laufenden Strafverfahren geschieht.

Wie bei Thomas Starke, der im November 2000 vom LKA Berlin während des Prozesses gegen Mitglieder der rechtsextremen Band Landser als V-Person angeworben wurde. Er hatte 1998 dem untergetauchten Trio aus Jena in Chemnitz den ersten Unterschlupft besorgt. Starke, der sich heute Müller nennt, ist einer der neun weiteren Beschuldigten im NSU-Verfahren. Die BAW ermittelt auch gegen Starke, ohne dass sich bisher eine Anklageerhebung andeutet.

Die Personalie Ralf H.

Mit Starke hängt die Personalie Ralf H. zusammen. Dessen Personalausweis wurde im Brandschutt des Hauses in der Frühlingstraße in Zwickau gefunden. H. zählte zur Chemnitzer Neonazi-Szene und war mit Thomas Starke befreundet. Laut Medienberichten, so Petra Pau, soll der Verfassungsschutz die Absicht gehabt haben, H. anzuwerben.

Gibt es im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) oder im Landesamt in Sachsen eine Akte zu Ralf H.? Pau formuliert die "Bitte" an die Bundesregierung, diese Unterlagen, falls es sie gibt, doch dem Ausschuss vorzulegen. Die Vertreter der Bundesregierung, die mit im Rund sitzen, nicken. Ihnen bleibt nichts anderes übrig. Wie die Bitte erfüllt wird, wird man sehen. Ebenso, wie der Ausschuss das Ergebnis überprüft.

Ralf Marschner war nachgewiesenermaßen V-Mann des BfV in der rechtsextremen Szene in Zwickau und mit dem Trio gut bekannt (vgl. Was passierte am 4. November 2011 in Zwickau?). Der Ausschuss fragt auch den BKA-Ermittler Heimann nach Marschner. Dass der eine V-Person war, sei bei den Ermittlungen bekannt geworden, räumt Heimann ein. Der sei aber nicht selber Gegenstand der Ermittlungen gewesen. Marschner verließ nach dem Polizistenmord von Heilbronn im April 2007 "über Nacht das Land" (Clemens Binninger, Ausschussvorsitzender, CDU) und soll heute in der Schweiz leben

Der NSU-Untersuchungsausschuss No. 2 arbeitet mit den Unterlagen des BKA. Mit dessen eigenem Material weist er den Ermittlern Fehler, Mängel, Versäumnisse, willkürliche Bewertungen nach. Bei den Befragungen der fünf BKA-Mitarbeiter hörte sich das beispielhaft so an:

Wie viele Menschen haben in der Wohnung Frühlingstraße in Zwickau gelebt? War einer gar nicht regelmäßig da und wer? - Wir sind da nicht weitergekommen.

Die Überwachungskameras am Haus wurden erst eingerichtet, nachdem das Trio mit seinen Taten aufgehört hatte. Welchen Sinn macht das? - Vielleicht fühlten sie sich nicht sicher.

Wann wurden die Kameras installiert? - Konnte nicht ermittelt werden.

Haben Sie anhand der Videoaufzeichnungen ausgewertet, wer von Böhnhardt und Mundlos wenig auftaucht? - Dazu hatte ich keinen Auftrag.

Vom 31. Oktober bis 3. November 2011 gab es in der Frühlingstraße keine Internetnutzung. Sind die drei nicht dagewesen? - Das ist nicht so ungewöhnlich.

Am 1. November wollte sich vermutlich Beate Zschäpe mit einem Taxi zu einem Anwalt in der Polenzstraße fahren lassen. Sagt Ihnen die Polenzstraße etwas? - Im Moment nicht mehr.

Ausschuss: In der Polenzstraße 2 hat das Trio jahrelang gewohnt.

Böhnhardt und Mundlos nahmen Beute aus einem anderen Banküberfall mit zum nächsten Banküberfall in Eisenach. Ist das nicht absurd? - Es sei denn, man muss fliehen.

Wie hat Zschäpe von den Ereignissen in Eisenach erfahren? - Wir konnten es bis zum Schluss nicht sagen.

Was macht Sie so sicher, dass Zschäpe am 4. November in der Wohnung saß? - Wir haben keinen Hinweis auf eine andere Person.

Zschäpe floh vier Tage lang durch Deutschland: Unter anderem nach Chemnitz, Leipzig, Eisenach, Bremen, Hamburg, eventuell Braunschweig, Uelzen, Magdeburg, Jena. Warum diese Orte? - Vielleicht wegen ihrer emotionalen Ausnahmesituation.

Sie kennen nicht alle Fahrzeuganmietungen, richtig? - Ja, das ist so. Wir konnten nicht zu jeder Straftat eine Anmietung finden.

Ein Fahrzeugvermieter des Trios fuhr am Tag des Polizistenmordes von Heilbronn ebenfalls in Heilbronn vorbei. Zufall? - Das ist vielleicht tatsächlich ein Zufall, an den man nicht glaubt.

Wie kamen die Täter auf ihre Opfer an diesen Orten? - Die Frage haben wir uns auch lange gestellt. Wir können nicht sagen, welcher Mord welchen Hintergrund hat.

Sind Ihnen diese ganzen Widersprüche nicht selber aufgefallen? - Doch. Wir haben permanent diskutiert, die Presse verfolgt, Verschwörungstheorien verfolgt, aber nicht für alles eine Erklärung gefunden.