NSU-Prozess: Pure Verzweiflung auf der Anklagebank

Seite 2: Stahl

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Als man sich nun im Gerichtssaal darauf einstellte, dass Hermann Borchert mit seinem Plädoyer für die Angeklagte Zschäpe beginnt, beantragte ausgerechnet der Zschäpe-Alt-Verteidiger Wolfgang Stahl, die Hauptverhandlung doch zu unterbrechen - und zwar im Interesse ihrer Mandantin. Seine Begründung: Wenn jetzt mit dem Plädoyer begonnen werde und André Eminger stelle am Ende des Tages seine drei angekündigten Ablehnungsanträge, würden die Plädoyers auseinandergerissen werden. Prompt schloss sich einer der bisherigen Eminger-Anwälte, Michael Kaiser, an.

"Unser Plädoyer ist vier Wochen unterbrochen worden", entgegnete Bundesanwalt Herbert Diemer, das sei kein Argument. Außerdem sei sowieso vorgesehen, dass nach den Vorträgen der Zschäpe-Neuverteidiger Borchert und Mathias Grasel eine einwöchige Pause eingelegt werde, ehe die Alt-Verteidiger Stahl, Wolfgang Herr und Anja Sturm reden.

Stahl meinte, Borchert und Grasel hätten sich abgestimmt, insofern mache es Sinn, sie zusammen zu hören. Der Wohlleben-Anwalt Olaf Klemke schloss sich dem mit der Begründung an, die Bundesanwaltschaft habe schließlich "völlig ohne Plan und Abstimmung vor sich hinplädiert". Außerdem "regte" er an, wie er sagte, das Verfahren gegen André Eminger ganz abzutrennen.

Zwischendurch hatte die Wohlleben-Verteidigerin Nicole Schneiders die Sitzordnung bemängelt. Durch den dritten Eminger-Anwalt Sprafke werde es in ihrer Reihe nun sehr eng. Und auch sie "regte an", diese Sitzordnung zu ändern.

Kaiser

Danach fiel dem Eminger-Verteidiger Kaiser, der im Rollstuhl sitzt und deshalb weiter vorne platziert werden musste, auf, dass er im Bild der Videoübertragung zu sehen sei. Die Videoübertragung wird vorgenommen, damit Journalisten und Zuschauer auf der Tribüne sehen können, wer unter ihnen in den Reihen der Opferanwälte spricht.

Die Angeklagten werden auf dem Videobild abgedeckt. Kaiser wollte nun auch wieder abgedeckt werden. Richter Götzl entgegnete, bei der Kaschierung gehe es um die Angeklagten, nicht um die Anwälte, schließlich seien ja auch die Anwälte der Nebenklage immer im Bild. "Welche Probleme haben Sie denn damit?", wollte der Vorsitzende wissen, und Kaiser antwortete, er sei es "halt nicht gewohnt".

Zehn Mordopfer, jahrelanger Terror in den Reihen türkischer Gemeinschaften, und hier wird königlich-bayerisches Amtsgericht gespielt? Oder gibt es andere Hintergründe für dieses so demonstrative Verhalten mit Störungs- und Verschleppungsabsicht auf Seiten der Verteidigung? Wenn Zeitgewinn, wozu? Warten worauf? Ist es nur Ausdruck der nackten Angst vor dem bevorstehenden Urteil? Unkoordinierte Ersatzhandlungen von Verzweifelten? Oder handelt es sich um kalkulierte Versuche, Revisionsgründe herbeizuführen? Man mag es nicht so Recht glauben, denn die wären nicht sehr professionell gestartet worden.