NSU und Verfassungsschutz und kein Ende
- NSU und Verfassungsschutz und kein Ende
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Der Untersuchungsausschuss in Brandenburg befasst sich mit den V-Leuten "Piatto" und Toni S. und legt Strukturen frei, die bis auf die politische Ebene führen
Trotz der Urteilssprüche von München ist der NSU-Skandal weder vom Tisch noch sind die Hintergründe der zehn Morde aufgeklärt. Das zeigt, wie tief und fest dieser monströse Fall in den Strukturen der Bundesrepublik verankert sein muss und zu dem gehört, was NSU-Komplex genannt wird. Immer noch tagen einige parlamentarische Untersuchungsausschüsse, in denen man Blicke auf diese Strukturen gewinnen kann. So zum Beispiel im Landtag von Brandenburg.
Carsten Szczepanski und Toni S. sind zwei ehemalige Rechtsextremisten und V-Leute des Verfassungsschutzes, die zum Umfeld des NSU-Kerntrios (Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos, Beate Zschäpe) zählten. Szczepanski, der auch unter dem V-Mann-Namen "Piatto" bekannt ist, wurde vom Verfassungsschutz Brandenburg, obwohl Strafgefangener in Brandenburg, als Freigänger nach Chemnitz gesteuert, wohin das Jenaer Trio im Januar 1998 geflüchtet war. Über die die Quelle "Piatto" wusste der Verfassungsschutz, dass sich die drei in der Stadt aufhielten, zu wem sie in Kontakt standen, was sie planten und dass sie sich bewaffnen wollten.
Zusätzlich wurde das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in Köln über alle Informationen, die die Brandenburger Quelle lieferte, in Kenntnis gesetzt (NSU-Mann-V-Mann von höchster Güteklasse). Im Sommer 2000 hat der Verfassungsschutz seinen Spitzel "Piatto" abgeschaltet und sicherheitshalber enttarnt. Die Gründe sind nicht ganz klar. Seither lebt der Mann unter anderem Namen im Zeugenschutz und abhängig von den Behörden.
Auch der Brandenburger Toni S. hatte Kontakt zu Szene-Aktivisten, die wiederum in Chemnitz und Zwickau mit den drei Untergetauchten zu tun hatten. Toni S. war dabei an Herstellung und Vertrieb rechtsextremistischer Musik-CDs unter anderem der Band Landser beteiligt. Er war einer von vier oder fünf Spitzeln verschiedener Sicherheitsbehörden, die diesen CD-Handel kontrollierten. Dazu zählten Thomas St. (V-Person des LKA Berlin), Mirko H. (V-Person des BfV), Ralf M. (V-Person des BfV) oder Jan W. (mutmaßliche V-Person).
Nach seiner Enttarnung und Abschaltung zog Toni S. 2003 nach Dortmund. Ob er mit dem dortigen NSU-Mord 2006 in Zusammenhang steht, ist eine offene Frage. Ein Polizei-Informant bezichtigte ihn, an Mundlos oder Böhnhardt eine Waffe übergeben zu haben. Das bestreitet Toni S. Gesichert ist, dass er auch in der Nähe des Tatortes in der Mallinckrodtstraße verkehrte. Dort soll am Tattag sein Handy eingeloggt gewesen sein, wie man im Untersuchungsausschuss des Bundestages erfahren konnte.
Szczepanski und Toni S. sind zwei Fälle, die dokumentieren, wie intensiv und bestimmt der Verfassungsschutz mit seinen Quellen in der rechtsextremen Szene operierte, wie sehr der Geheimdienst zugleich die Strafverfolgungsorgane dominierte, Polizei und Staatsanwaltschaft - aber auch, dass die Ausmaße des NSU-Komplexes weit in politische Strukturen hineinreichen. Liegt dort die Antwort, warum der Skandal einfach nicht aufgeklärt werden kann?
Szczepanski, der heute einen anderen Namen trägt, war jetzt zum zweiten Mal vor den Untersuchungsausschuss in Potsdam geladen. Wie beim ersten Mal, im Juni 2018, herrschte erhöhte Polizeipräsenz am Landtag.
Eine Kulisse, die angetan ist, nicht nur den Zeugen zu schützen, sondern ihm auch zu demonstrieren, welchen Schutz er verliert und mit wem er sich anlegt, sollte er Dinge offenbaren, die nicht im Interesse dieses Sicherheitsapparates sind. Das könnte erklären, warum der Zeuge Szczepanski, dessen Vernehmung Journalisten und Zuhörer erneut lediglich per Tonübertragung verfolgen konnten, sehr oft eine fehlende Erinnerung ins Feld führte.
Allerdings, das sei an dieser Stelle bereits vermerkt, standen dem Zuträger des Verfassungsschutzes die Hauptamtlichen, die als Zeugen folgten, in Sachen Erinnerungsverlust in nichts nach - ein Ex-V-Mann-Führer (Deckname "Dirk Bartok"), ein Ex-Leiter der V-Mann-Führung (Peter G.) und sogar ein Ex-Verfassungsschutz-Chef (Heiner W.). Ihnen waren selbst Sachverhalte entfallen, die zum Teil schriftlich festgehalten worden waren und ihre Unterschrift trugen.
Der ehemalige Chef bestätigte einmal, dass ein Schriftstück zwar seine Paraphe trägt, zweifelte den Inhalt aber trotzdem an. Und der ehemalige Leiter der V-Mann-Führung eröffnete seine Befragung mit dem Statement, er habe alles im Kopf gelöscht und könne sich an rein gar nichts mehr erinnern - egal also, was er gefragt werden sollte. Wahrhaftigkeit und Respekt vor dem Parlament und dem Rechtsstaat sieht anders aus. Es ist aber nur die Fortsetzung ihres Verhaltens im aktiven Geheim-Dienst, wie sich zeigen sollte.
Kontrolle der "Anti-Antifa" durch den Verfassungsschutz
Zurück zum Zeugen Szczepanski. Ein paar Neuigkeiten fielen bei seiner Befragung doch an: Das Neonazi-Fanzine "United Skins", das er im Knast herstellte, sei vor dem Druck dem Verfassungsschutz vorgelegt worden. Beim Verschicken von einschlägigem Material habe sein VM-Führer mitgeholfen. Sein Handy, das er vom Dienst bekommen hatte, sei dort regelmäßig ausgewertet worden.
Auch die sogenannte "Anti-Antifa" war über Szczepanski unter Kontrolle des Verfassungsschutzes. Sie diente unter anderem dazu, aus der linken Szene Adressen und Telefonnummern zu sammeln. So nutze der Dienst also auch Spitzel in der Rechten für Erkenntnisse über die Linke.
Von Bedeutung könnte die Kontrolle der "Anti-Antifa" durch den Verfassungsschutz aber auch für Thüringen gewesen sein, wo es ebenfalls eine "Anti-Antifa" gab. Sie wurde abgelöst durch den "Thüringer Heimatschutz" (THS). Der wiederum wurde gegründet und angeführt von zwei V-Personen. Möglicherweise stand also auch die "Anti-Antifa" in Thüringen bereits unter Geheimdiensteinfluss.
Unbestimmt wurden Szczepanskis Auskünfte, als es um seine Kontakte mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) ging. Bei seiner ersten Vernehmung durch die Abgeordneten hatte er überraschend erklärt, nach seiner Abschaltung als V-Mann Gespräche mit dem BfV geführt zu haben. Er sei, erklärte er jetzt, damals schon im Zeugenschutzprogramm gewesen und von der Zeugenschutzstelle vorgeladen worden. Zum Inhalt des Gespräches konnte oder wollte er nichts sagen. Lediglich, dass es unter anderem um Nick G. gegangen sei, ein Rechtsextremist, der ebenfalls eine V-Person war.
Blockadehaltung über die Verbindung "BfV - Szczepanski/Piatto"
Die Abgeordneten sind inzwischen aber darauf gestoßen, dass Szczepanski 2012, nach dem Auffliegen des NSU, erneut vom BfV vernommen worden sein soll, und zwar in Potsdam Eiche, wo das Polizeipräsidium seinen Sitz hat. An ein solches Gespräch wollte er sich aber nicht mehr erinnern. Worum es bei dieser Vernehmung ging, konnten die Abgeordneten nicht sagen.
1998 war Szczepanski in eine Telefonüberwachung durch das BfV geraten. Sie galt aber nicht ihm, sondern seinem Gesprächspartner, wie die Vertreterin des Bundesamtes, in jenen Jahren Leiterin des Referates zum gewaltbereiten Rechtsextremismus, im Ausschuss bestätigte. Um wen es sich handelte, erfuhr man nicht, die Operation ist als geheim eingestuft, was sie umso interessanter macht.
Auch, wie das BfV die sogenannten Deckblatt-Meldungen des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) in Brandenburg ausgewertet hat, in denen die wichtigsten von "Piatto" gelieferten Informationen festgehalten wurden, wollte sie mit Verweis auf ihre Aussagegenehmigung nicht sagen. Das machte sie auch für dessen Kontakte zur gewalttätigen Organisation "Combat 18" geltend, wie für die Frage, wie häufig das BfV Kontakt zu Szczepanski hatte und wie viel Befragungen es mit ihm gebe. Sie selber will mit der Quelle persönlich keinen Kontakt gehabt haben.
Die Blockadehaltung legt aber erst Recht den Verdacht nahe, dass die Verbindung "BfV - Szczepanski/Piatto" von größerer Relevanz gewesen sein muss, als man es bisher weiß.