Nachgeben als Kompromiss verkauft

Die EU versucht mit der US-Regierung einen "Kompromiss" im Hinblick auf bilaterale Abkommen zur Immunität von US-Bürgern zu finden und unterminiert damit den Internationalen Strafgerichtshof

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Die transatlantischen Beziehungen zwischen Europa und den USA sind nicht nur wegen des geplanten Irak-Kriegs gespannt. Auch hinsichtlich der Haltung zum Internationalen Strafgerichtshof verschärfen sich die Konflikte. In beiden Angelegenheiten geht es allerdings um ein eminent wichtiges Thema, nämlich ob es der Staatengemeinschaft gelingt, eine gerechte, nicht interessengeleitete und von Macht abhängige Instanz zur Verfolgung und Bestrafung schwerer Vergehen (Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen) einzurichten. Im Augenblick sieht es so aus, als würde es die US-Regierung erreichen, noch vor dem wirklichen Beginn des Strafgerichtshofs diesen zu unterminieren, weil sie für sich in Anspruch nimmt, auch unabhängig von der Staatengemeinschaft und nicht erst nach einem Angriff militärisch gegen Unrechtssysteme vorgehen zu können.

Man wird realistischer Weise davon ausgehen müssen, dass dann, wenn Präsident Bush vom amerikanischen Kongress in der anstehenden Resolution die Erlaubnis erhält, militärisch gegen den Irak vorzugehen, dies auch geschehen wird - unabhängig davon, ob es noch zu einer Resolution des UN-Sicherheitsrates kommt. Irgendein Grund wird sich auf jeden Fall finden lassen, der eine mehr oder weniger starke Rechtfertigung dafür bietet. Und offen ist nicht nur, was nach einem möglichen Sturz des Regimes von Saddam Hussein, der nach dem Verschwinden von Usama bin Ladin wieder zum großen Schurken aufgebaut wurde, geschehen wird.

Die US-Regierung bietet dafür keine wirklichen Konzepte an, scheint sich in diplomatischen Schachzügen für die Kriegsvorbereitung und dem Durchspielen der militärischen Vorgehensweise zu erschöpfen. Die Frage ist nicht nur, wer dann in Irak die Macht übernehmen soll, sondern auch, was geschieht, wenn andere der meist nicht demokratisch legitimierten Regierungen gestürzt werden. Vor allem aber ist völlig unklar, ob es nach Hussein gleich weitere Feinde im andauernden Kampf gegen den Terrorismus geben wird, also ob dann Syrien, der Iran, Saudi-Arabien oder welches Land auch immer folgen wird.

Um sicher beim "enduring war" zu gehen, will die US-Regierung Immunität für alle ihre Bürger vor dem Strafgerichtshof, wurde bereits ein Gesetz verabschiedet, das dem Präsidenten ermöglicht, auch in Haft befindliche Beschuldigte mit militärischen Mitteln aus den Haag zu befreien, und hat man sogar die wenig verbindliche Unterschrift in einem bislang einmaligen Akt unter das Statut von Rom zurückgezogen, obgleich kaum je Gefahr bestehen dürfte, dass amerikanische Bürger vor den ICC kommen werden. Bislang hat die US-Regierung schon mit 12 Ländern solche bilateralen Verträge abgeschlossen (allerdings haben die an ISAF beteiligten Staaten ebensolche Abkommen auch mit Afghanistan getroffen: Doppelter Maßstab?).

Nachdem vor allem die europäischen Staaten die Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs vorangetrieben haben, scheinen sie nun wieder einmal nicht die Kraft zu finden, eine einheitliche Politik verfolgen zu können. Die britische Regierung, in vieler Weise ein US-Satellit, hat sich mit Berlusconi und auch der spanischen Regierung zusammen getan, um aus eigenen Interessen heraus der Großmachtspolitik der Bush-Administration zu folgen und dabei das hoffnungsvolle, wenn sicherlich auch noch keineswegs perfekte Projekt der Einrichtung eines globalen Rechtssystems, das wie in einem Rechtsstaat keine Ausnahmen kennen darf, in Scherben zu schlagen. Man muss es immerhin der deutschen Regierung hoch anrechnen, dass sie, trotz des starken Drucks, noch immer versucht, das Projekt zu retten, und nicht unter Aufgabe der Prinzipien als Geste der Versöhnung hier der US-Regierung entgegen kommt.

Das aber wird alles nichts nutzen. Die Außenminister haben sich jetzt auf einen "Kompromiss" geeinigt, der letztlich den Strafgerichtshof zur Farce machen wird, weil er höchstens gegen diejenigen vorgehen wird, die schwach sind. Die EU will es ihren Mitgliedern frei stellen, unter bestimmten Bedingungen bilaterale Verträge mit der USA einzugehen. Die Immunität soll dabei nicht alle US-amerikanischen Bürger betreffen, sondern nur Militärs und Regierungsangehörige. Just diese Personengruppe wäre aber wohl für das Begehen solcher Verbrechen verantwortlich zu machen, für die der Strafgerichtshof zuständig ist. Unter den Bedingungen des Kompromisses wären denn auch Milosevich und Co. sofort frei zu lassen.

Per Stig Moller, der Außenminister Dänemarks, das gegenwärtig die EU-Präsidentschaft innehat, will den "Kompromiss" so verkaufen, als würde man damit die "Integrität" des Statuts von Rom bewahren und den Strafgerichtshof nicht untergraben. Auch wenn Bürger der EU-Staaten, die einen solchen bilateralen Vertrag abschließen, keine Immunität genießen könnten und US-Bürger, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen begangen haben, nur dann nicht verfolgt werden sollen, wenn sie vor ein amerikanisches Gericht gestellt werden (was eigentlich sowieso Bestandteil des Statuts von Rom ist), so untergraben solche bilateralen Vereinbarungen den Strafgerichtshof, weil im Prinzip jeder Staat, der noch nicht ratifiziert hat, auf solche Ausnahmen pochen kann.

Vermutlich aber wird der US-Regierung auch dieser Kompromiss nicht reichen, denn sie will auch für ihre jeweiligen Verbündeten Immunität, bei deren Auswahl nach dem Motto: "Wer nicht für uns ist, ist unser Feind" sie womöglich nicht besonders wählerisch ist. Ein wahrhaft geschickter Schachzug wäre es jetzt höchstens, wenn der Irak das Statut ratifizieren und kein bilaterales Abkommen mit den USA abschließen würde. Aber auf ein solches riskantes Spiel wird sich Hussein nicht einlassen. Doch man stelle sich auf der anderen Seite vor, welche nachhaltige Bedeutung der ICC erhalten würden, wenn die USA jetzt das Statut ratifizieren und von der Staatengemeinschaft verlangen würden, Hussein und seinen Mitarbeitern den Prozess zu machen.

Weil aber beides derzeit unmöglich ist, wird nicht nur der Krieg gegen den Irak auf uns warten, sondern auch eine weitere Vertagung der Weltinnenpolitik, die mit rechtlichen Mitteln für den Frieden sorgt und nicht nur mit militärischer Gewalt der Mächtigen sowie der "asymmetrischen" Gewalt der Ohnmächtigen neue Konfliktzonen schafft.