Nachwehen einer ungeliebten Volkszählung

Nachdem Österreich seine Schäfchen gezählt hat, erleben diese böse Überraschungen

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Volkszählungen sind nirgends sonderlich beliebt. Als im Frühjahr dieses Jahres sich die meisten Österreicher dennoch der staatlich verordneten Erfassung fügten, ahnten aber wohl die Wenigsten, was auf sie noch zukommen könnte. Vom Innenministerium oder Gemeindebehörden erhalten "verdächtige" Einwohner jetzt die Aufforderung, doch zu begründen, warum sie hier und nicht woanders wohnen. Und auch die Bildungsministerin entdeckte die vermeintlich anonymen Datenbestände für ihr Ressort.

Österreichische Datenschützer haben im Moment Hochkonjunktur. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht ein verunsicherter Bürger die ARGE Daten um Rat ersucht. "Wir erleben derzeit durch die sogenannten Reklamationsverfahren massive Eingriffe in die Lebensführung der Menschen. Unbescholtene und bisher völlig unauffällig lebende Menschen müssen sich nunmehr wegen ihrer Lebensführung rechtfertigen", wettert der Datenschützer Hans G. Zeger.

Obwohl der österreichische Verfassungsgerichtshof bereits vor längerem festgestellt hat, dass es dem Bürger grundsätzlich frei steht, seinen Mittelpunkt der Lebensinteressen und damit seinen Hauptwohnsitz selbst zu bestimmen und zu definieren, trudeln in Österreichs Haushalten vermehrt Aufforderungen ein, doch gegenüber Gemeindebehörden oder dem Innenministerium zu begründen, warum man an einen bestimmten Ort lebt.

Viele Österreicher fielen ob dieser amtlichen Eingriffe in die Privatsphäre aus allen Wolken. "Die Stadt Wien erdreistet sich, die im Zuge der Volkszählung gesammelten Wohnsitzerklärungen eigenmächtig abzuändern. In meinem Fall ist das zumindest der Fall, wie mir eine Aufforderung zur Stellungnahme seitens des Innenministeriums kundgetan hat. Konkret hat das MA62 ganz locker meine Angabe '30 Tage Wien' auf '230 Tage in Wien' ergänzt, mit der Begründung, die ausgewiesene Aufenthaltsdauer in Wien sei unrealistisch, ...", zitiert Zeger aus dem Schreiben eines Betroffenen.

Anonymität vorgetäuscht?

Die Volkszählung erachteten die meisten Österreicher als anonym. Doch das Innenministerium startete eine Parallelaktion, die diese Befragung mit der Errichtung eines zentralen Melderegisters koppelte. Rein rechtlich war dieses Vorgehen abgedeckt. Kritiker werfen aber den Verantwortlichen vor, dies nicht klar in der Öffentlichkeit kommuniziert zu haben.

Jetzt hat der gezählte Österreich offensichtlich das Nachsehen und soll sich outen. Die behördliche Neugier gründet im Kampf der Gemeinden um Einwohner. Denn jeder Kopf bringt Geld, zumal Gemeindebudgets in Österreich nach Einwohneranzahl zugeteilt werden. "Es ist völlig unzumutbar, dass Streitigkeiten zwischen Gemeinden auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen werden", kommentiert Zeger das Vorgehen der Behörden. Die Parallelaktion des Innenministeriums hatte er bereits beim Start des Volksbegehrens als datenschutzrechtlich bedenklich kritisiert.

"Die Zählorgane agieren gleichzeitig als Organe des Innenministeriums und machen personenbezogene Erhebungen zum Meldegesetz. Ziel ist es, ein zentrales Melderegister zu schaffen, in dem jeder Bürger mit einem eindeutigen Personenkennzeichen registriert ist. (...) Mit dem zentralen Melderegister sollen die Behörden verpflichtet werden, bei jeder Eingabe eines Bürgers, bei jedem Antrag oder bei jedem sonstigen Verfahren, die Meldedaten zentral im Innenministerium zu überprüfen. Das Innenministerium ist verpflichtet derartige Anfragen zu protokollieren und zumindest drei Jahre aufzuheben.", warnte damals die ARGE Daten.

Das vernichtende Urteil von ARGE-Chef Hans G. Zeger: "Diese Parallelaktion kann als eigentlicher Sündenfall der Volkszählung angesehen werden. Seit der NS-Erhebung 1933 ("Generalinventur Deutschlands") kam es im deutschsprachigen Raum zu keiner Verknüpfung statistischer und personenbezogener Erhebungen."

Die Grünen fanden die Volkszählung auch nicht sonderlich erbaulich und gaben Tipps zur Verweigerung. Für die kleine österreichische Oppositionspartei war auch die Notwendigkeit dieser Aktion (die letzte Volkszählung fand 1991 statt) nicht gegeben. Die Daten wären bis zum Zeitpunkt ihrer Auswertung bereits längst wieder überholt, lautete ein Kritikpunkt.

Umstrittene Bildungsevidenz

"Nichts ist anonym", sah sich der Abgeordnete der Grünen, Peter Pilz, in seiner ablehnenden Haltung dann auch im Herbst dieses Jahres bestätigt. "Die Daten des Personenblattes werden anonymisiert aufgearbeitet und gespeichert", zitierte Pilz eine offizielle Erklärung vom März 2001. "Mit dieser Zusicherung sind acht Millionen ÖsterreicherInnen vorsätzlich getäuscht worden. Die 'Statistik Austria' hat die Volkszählungsdaten personenbezogen gespeichert.", so Pilz. Die Begründung dieses Vorwurfs: Die österreichische Bildungsministerin, Elisabeth Gehrer (ÖVP), legte im Juli 2001 ein "Bundesgesetz über die Dokumentation im Bildungswesen" zur Begutachtung vor. Darin hieß es: "Zwecks Erstbefüllung des Bildungsstandregisters (§ 10) hat die Bundesanstalt 'Statistik Österreich' die bei der Großzählung mit Stichtag vom 15. Mai 2001 erhobenen Daten über die höchste abgeschlossene Bildung einschließlich der Fachrichtung und der Hilfsmerkmale - Adressnummer, Geburtsdatum und Geschlecht zu speichern."

Was die vom Unterrichtministerium geforderte "Bildungsevidenz" für die Bildungspolitik eigentlich bringen soll, war auch vielen Gutachtern nicht so recht schlüssig. Einige Punkte wurden zwar bei einer Überarbeitung geändert, "die wesentlichen Belastungspunkte der Bildungsevidenz blieben jedoch", resümiert die ARGE Daten: "Mehr als 60jähriges Speichern von Schuldetaildaten, unklare Abgrenzung welche Daten tatsächlich gespeichert werden: z.B. 'festgestellter sonderpädagogischer Förderbedarf' - dahinter können alle Formen von Disziplinar- und Entwicklungsmaßnahmen versteckt werden", werden die Sündenfälle in dem Gesetzesentwurf aufgezählt. Schließlich komme es noch zu einem "Missbrauch von Sozialversicherungsnummer und Volkszählungsdaten."

Peter Pilz sieht darin einen weiteren Schritt in Richtung "Gläserner Mensch" . Der Bildungsministerin gehe es offenbar um das "Rausführen der Volkszählungsdaten aus der Anonymität", Mit der zentralen Evidenz könnten beispielsweise Ausbildungsdaten von Kindern mit dem beruflichen Werdegang der Eltern verknüpft werden, befürchtet Pilz.

Die sogenannte Bildungsevidenz hatte der konservativen Bildungsministerin eine Nominierung für den diesjährigen Big Brother Award-Austria eingebracht. Sie lieferte sich in der Publikumsgunst ein Kopf -an-Kopf-Rennen mit dem FPÖ-Klubchef, Peter Westenthaler, der für seine Forderung nach digitalen Fingerprints für alle letztlich die ausgelobten Kakerlaken (FPÖ-Fingerprint-Fantasien siegen beim Publikum) einheimste.