"Name, Vorname, Beruf"
Drive-by-Killing in Thessaloniki, Teil 3
Teil 2: Schützen wir das christliche Abendland
Der Film, der Griechenland 1955 einen Platz auf der Landkarte des europäischen Kinos sicherte (und Melina Mercouri über Nacht zum Star machte), heißt Stella. Inszeniert hat ihn Michael Cacoyannis, der Regisseur von Das Mädchen in Schwarz und Alexis Sorbas. Das Drehbuch schrieb Iakovos Kambanellis, nach seinem eigenen Theaterstück. Über die Grenzen Griechenlands hinaus bekannt wurde der Autor, als Mikis Theodorakis 1964 mit Maria Farantouri den Mauthausen-Liederzyklus aufnahm, eine Vertonung von vier Gedichten des KZ-Überlebenden Iakovos Kambanellis. Eine von Theodorakis’ Kompositionen wählte Costa-Gavras als Titelmelodie für Z aus.
Kambanellis schrieb die von Theodorakis vertonten Gedichte während der Arbeit an seinem autobiographischen Mauthausen-Roman, einem der besten Bücher über die KZ-Erfahrung und zugleich einem der wesentlichen Werke der griechischen Nachkriegsliteratur. Die mitunter surreale und stets brillant erzählte Geschichte beginnt mit der Befreiung des Lagers durch die Amerikaner. Wie wird das wohl gewesen sein, als Kambanellis wieder in seiner Heimat war und feststellte, dass sich die früheren Kollaborateure in Polizei und Armee breit machten, wohlwollend beobachtet von seinen amerikanischen Befreiern? Im KZ, schreibt er, brauchte man "eine Kruste aus Verrücktheit ums Hirn", wenn man überleben wollte. Was brauchte man in dem Griechenland, in das er danach zurückkehrte?
Dank des Einsatzes des Wiener Ephelant Verlags, wo er 2010 unter dem Titel Die Freiheit kam im Mai erschienen ist, kann man den Roman endlich auch in der deutschen Übersetzung von Elena Strubakis lesen. Wer sich wieder einmal ein gutes Buch mit Tiefgang kaufen will: es ist auch mit der "Mauthausen Cantata" auf CD lieferbar (Live-Aufnahme vom 7. Mai 1995 in der Gedenkstätte Mauthausen, gesungen von Maria Farantouri, dirigiert von Theodorakis; mit englischer und hebräischer Version sowie einer Rede von Simon Wiesenthal, der ebenfalls in Mauthausen befreit wurde). Theodorakis’ Musik zu "Andonis" - wir sind zurück bei Z - sorgt von Anfang an für ein Gefühl von Tempo und Entschlossenheit, das einen den ganzen Film hindurch begleitet. Wenn man weiß, woher sie kommt (und den Text von Kambanellis’ Gedicht über die "Treppe der Tränen" kennt), sieht man Z noch einmal anders, mit einem geschärften Blick für historische Kontinuitäten, für den Widerstand gegen Nazis, Nazikollaborateure und deren nützliche Idioten.
Laughing Boy
Die manchmal zu lesende Legende, der zufolge Theodorakis in dem Bergdorf Zatouna, in das ihn das Militärregime verbannt hatte, heimlich den Soundtrack komponierte, ist der Phantasie ihrer Urheber geschuldet. Allerdings besang er eine nach draußen geschmuggelte Musikkassette mit zwei Liedern für Z. Eines davon hören wir im Hintergrund, wenn sich der Reporter mit Dumas zum Essen trifft. Außerdem schlug er einige Kompositionen vor, die in einem direkten Zusammenhang zu seinem ermordeten Freund standen. Die berühmteste davon ist "The Laughing Boy", nach dem gleichnamigen Gedicht von Brendan Behan (deshalb hier der englische Titel anstelle des griechischen, "To gelasto paidi" oder auch, anders transkribiert, "To yelasto pedi"), die Costa-Gavras als Lambrakis-Thema auswählte. Wir hören es zum ersten Mal, wenn der Doktor in der Stadt eintrifft und die Gangway nach unten geht. Später, nach dem ersten Schlag auf den Kopf und vor seiner Rede, wird er - eskortiert vom Maurer und zu einem rückwärts gespielten Theodorakis-Stück - mühsam die "Treppe der Tränen" aus dem Gedicht von Kambanellis nach oben gehen.
"Laughing Boy" war der Spitzname von Brendan Behans Mutter Kathleen für Michael Collins, den Helden des irischen Unabhängigkeitskampfes und einen der Väter der Republik Irland, mit dem Kathleen befreundet war und der einem Attentat zum Opfer fiel wie Lambrakis. Behan schrieb das Gedicht als 13-Jähriger zu Collins’ Ehren. Später verfasste er - in gälischer Sprache - einen Einakter über einen britischen Soldaten, den einige IRA-Leute in Dublin als Geisel festhalten, während einer ihrer Kameraden in Belfast auf seine Hinrichtung wartet. Der Einakter war so erfolgreich, dass Behan ein abendfüllendes, von Bert Brecht und Kurt Weill beeinflusstes Stück daraus machte (in einer englischen und einer gälischen Version), in dem auch gesungen wird. Weil es schnell gehen musste und er noch ein Lied brauchte verwendete er das Gedicht, das er als Kind geschrieben hatte.
Ende der 1950er sah Mikis Theodorakis eine englischsprachige Aufführung von The Hostage in Paris, wo er mit einem Stipendium Musik studierte. Er war so beeindruckt, dass er beschloss, das Stück neu zu vertonen. 1962 wurde The Hostage - in griechischer Übersetzung und nun mit der Musik von Theodorakis - in Athen aufgeführt. Wegen der sehr rigiden Zensurvorschriften waren viele Griechen daran gewöhnt, auf versteckte Bedeutungen zu achten. Es war nicht schwer, Themen wie Bürgerkrieg, nationale Selbstbestimmung, Republik vs. Monarchie auf die eigene Situation und Geschichte zu beziehen. Als "Laughing Boy" bot sich Nikos Beloyannis an, der lächelnde Mann mit der Nelke. Das Lied "To gelasto paidi" wurde so mit Assoziationen an Demokratie und den Kampf gegen rechte Unterdrückung aufgeladen. Als Lambrakis-Thema in Z wurde das Lied endgültig zu einer Art griechischer Freiheitshymne, losgelöst von den irischen Ursprüngen. Maria Farantouri, als "größte Stimme Griechenlands" gefeiert und wichtigste Interpretin der Lieder ihres Entdeckers Theodorakis, ging nach dem Putsch der Obristen ins Exil. In Konzerten auf der ganzen Welt protestierte sie gegen die Militärdiktatur in ihrer Heimat, "To gelasto paidi" und "O Andonis" durften dabei selten fehlen.
Befreiende Kunst
Die Stimme von Mikis Theodorakis in Z und seine Musik sind der beste Beweis dafür, dass die Filmkunst subversiv sein und etwas bewirken kann. Der internationale Erfolg von Z war ein PR-Desaster für die Obristen, die erst kürzlich einen 250.000 Dollar schweren Auftrag für eine amerikanische Werbefirma zur Verbesserung des Images der Junta in den USA storniert hatten, weil sie dachten, sich die Ausgabe sparen zu können, nachdem Spiro Agnew, Sohn eines griechischen Einwanderers namens Anagnostopoulos, Nixons Vizepräsident geworden war (und dessen Sprachrohr für alles, was Bürgerrechtler, Kriegsgegner und Antimilitaristen auf die Palme brachte). Die Platte mit dem Soundtrack von Z war ein Verkaufsschlager. Das hatte einen nicht unerheblichen Anteil daran, dass die Proteste gegen die Junta immer lauter wurden und sich eine internationale, von Künstlern und Schriftstellern wie Leonard Bernstein, Dmitri Schostakowitsch, Harry Belafonte, Hanns Eisler, Pablo Neruda und Arthur Miller getragene Solidaritätsbewegung formierte, die die Freilassung des mittlerweile in einem Internierungslager auf der Halbinsel Attika festgehaltenen und an Tuberkulose erkrankten Theodorakis forderte. 1970 konnte Jean-Jacques Servan-Schreiber in Verhandlungen mit dem Junta-Chef Georgios Papadopoulos erreichen, dass Theodorakis nach Frankreich ausreisen durfte.
Die Ankunft des Komponisten und Regimegegners am Pariser Flughafen, wo ihn nebst anderen bekannten Persönlichkeiten Costa-Gavras und Melina Mercouri erwarteten, war ein internationales Medienereignis, das viele nie vergessen haben. Wenn François Hollande bei den aktuellen Schuldengipfeln für mehr Kulanz gegenüber den Griechen eintritt macht er das vermutlich mit Blick auf das eigene Staatsdefizit, aber auch, weil sich Frankreich Griechenland in besonderer Weise verbunden fühlt, seit General de Gaulle in den 1960ern seine Kulturanstrengungen unternahm und seit prominente, von den Obristen verfolgte Griechen wie Mikis Theodorakis in Frankreich Asyl fanden. Zur Wahrheit gehört allerdings mit dazu, dass es bei de Gaulle in erster Linie um wirtschaftliche und militärische Interessen ging, die Kulturoffensive nur Mittel zum Zweck war. Der General wollte die "schmähliche amerikanische Bevormundung" der Europäer beenden. Bei seinem Athen-Besuch im Mai 1963 forderte er die Griechen auf, an die von Ioannis Metaxas begründeten Traditionen anzuknüpfen. Wer an französischen Bildungseinrichtungen ausgebildet wurde wie die Kinder der damaligen Eliten, so das Kalkül, würde später in Frankreich kaufen und sich französische Berater ins Land holen, keine Amerikaner; dass Metaxas von 1936 bis 1941 als mit dem König paktierender Diktator regierte, fiel dabei nicht ins Gewicht.
Pieter Hendriks hat bei Youtube neben vielen anderen Bild- und Tondokumenten einen kurzen TV-Bericht über die Proben zu einem Konzert hochgeladen, das Theodorakis 1972 in Hamburg gab. Der Sprecher verliest einen Text, aus dem man erfährt, dass der Künstler für Demokratie in seiner Heimat kämpfe, sich jetzt in Hamburg jedoch "als Komponist griechischer Folklore" vorgestellt habe. Da war der deutsche Bildungsbürger bestimmt beruhigt: privat ein Sozialist, aber beruflich ein Folkloreheini, der dem passionierten Griechenlandurlauber musikalische Impressionen von seiner Heimat als Touristenparadies servierte, ohne Obristen-Scheußlichkeiten. Oder war es doch nicht ganz so einfach? Das Stück, das Theodorakis da einübt, ist "To gelasto paidi" - wenn auch in einer energiegeladeneren Version als in Z, wo es eher elegisch arrangiert ist. Politischer ging es kaum. (Bei deutschen Filmfreunden allerdings war der Wiedererkennungseffekt stark eingeschränkt, weil sich hierzulande wieder einmal die Synchron-Vandalen ausgetobt hatten. Ives Montand kommt nicht zum Lambrakis-Thema in Thessaloniki an, sondern zu etwas, das die Bearbeiter wohl für "Spannungsmusik" hielten und so gut fanden, dass sie die Dialoge entfernten, um durch nichts von diesem Kunstgenuss abzulenken.)
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